Maroni statt Fakten
Sebastian Kurz, Werner Kogler und mehr als hundert Expertinnen und Experten verhandeln im Dauermodus. Doch worüber? Das ist ihr Geheimnis.
Zumindest ein Termin galt am Montag als nicht verschiebbar: Um 18 Uhr lud ÖVP-Chef Sebastian Kurz, wie er das seit etlichen Jahren tut, zu „Punsch & Maroni“in den Garten des Wiener Kursalon Hübner. Seit zwei Jahren, nämlich seit Kurz an der Spitze der ÖVP und bald wieder der Regierung steht, eilt die halbe Republik zu dem winterlichen Ereignis. Der designierte Bundeskanzler wollte seine Gäste nicht warten lassen. Daher hatten die Koalitionsverhandlungen, die am Montag den ganzen Tag andauerten, ein feststehendes Ende.
Die Verhandlungen hatten um neun Uhr begonnen, und sie liefen auf drei Ebenen. Zunächst trafen jene Verhandlungsleiter, die die sechs Hauptthemen behandeln, jeweils unter vier Augen zusammen. Ein Vieraugengespräch führten zu diesem Zeitpunkt auch die Chefverhandler, also Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler. Um 13 Uhr traf man einander dann in der sogenannten Steuerungsgruppe, die aus Kurz, Kogler und jeweils fünf ihrer engsten Vertrauten besteht. Diese Steuerungsgruppe ist es auch, die über die Aufnahme einer Koalition oder aber Abbruch der Verhandlungen entscheiden wird. Zumindest theoretisch. Denn laut Statut darf das bei der ÖVP Parteichef Kurz ganz allein entscheiden, ein entsprechendes Pouvoir hat er sich bereits bei Amtsantritt vor mehr als zwei Jahren zusichern lassen. Bei den Grünen muss noch der Bundeskongress zur Absegnung der Frage „Koalition oder keine Koalition?“einberufen werden.
Inhaltlich ließen sich die Verhandler auch am Montag nicht in ihre Karten blicken. Sebastian Kurz war vor aufgeregt flimmernden Live-Kameras immerhin die Neuigkeit zu entlocken, dass man sich beim Thema Sport leichter einigen könne als bei anderen Sachfragen.
Denn: „Es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Parteien.“Wie hoch die Chancen auf einen positiven Abschluss der Koalitionsverhandlungen seien, darauf wollte sich Kurz „nicht festlegen“.
Somit steht also immer noch nicht fest, ob es je eine türkis-grüne Koalition geben wird. Doch die „message control“, also die strikte Kontrolle des Informationsflusses nach außen, bei den beiden Parteien funktioniert schon sehr gut. Denn Werner Kogler, der anschließend an Kurz vor die Kameras trat, sagte nahezu dasselbe wie der designierte Kanzler: nämlich weitgehend nichts. Bei einigen Themen hätten die beiden Parteien bereits „Brücken gebaut“, bei anderen hingegen gebe es noch gröbere Divergenzen. Im Übrigen gehe, was den Fortgang der Gespräche betrifft, Qualität vor Geschwindigkeit. Ganz ähnlich hatte es zuvor Kurz ausgedrückt.
Trotz der dürftigen Informationslage ist klar, dass dieser Montag ein wichtiger Verhandlungstag war. Kurz und Kogler hatten bereits am Wochenende die Zwischenberichte der mehr als hundert Expertinnen und Experten entgegengenommen, die in den vergangenen Wochen in 33 Arbeitsgruppen inhaltliche Positionen erarbeitet hatten. Diese Berichte wurden am Montag gesichtet. Die Gespräche gehen am Dienstag weiter. Am Mittwoch werden Kurz und Kogler neuerlich zusammentreffen. Mit einem Abschluss der Gespräche in den kommenden Tagen ist nicht zu rechnen. Kurz sprach ausdrücklich von den „nächsten Wochen“, in denen die beiden Parteien nun versuchen würden, auf einen gemeinsamen Nenner in möglichst vielen Politikfeldern zu kommen. Ganz ähnlich – es lebe die „message control“– ließ sich Kogler vernehmen: Er sei „zuversichtlich“, dass die beiden
Parteien „in den nächsten Tagen und Wochen vorankommen“würden. Worüber die Verhandler konkret sprechen, in welchen Bereichen (außer dem Sport) es bereits Teileinigungen gibt und wo es noch hakt, erfuhren die Journalisten auch nach beharrlichem Nachfragen nicht. Man habe Stillschweigen vereinbart, sagte Kurz.
Aus dem Kreis der Verhandlungsteilnehmer ist zu erfahren, dass zwar schon einige Kapitel „so gut wie fertig“ausverhandelt seien – aber das seien „eher die unwichtigen Kapitel“, hörten die SN hinter den Kulissen. Auch die Tatsache, dass es in einer Koalition nicht ohne Kompromisse gehe, müsse von manchen erst gelernt werden, sagte einer der Gesprächsteilnehmer, der ungenannt bleiben will. Es gebe auf beiden Seiten Verhandlungspartner, „die glauben, ihre Vorstellungen zu hundert Prozent zu verwirklichen. Die müssen wir einfangen“. Und manch Grüner konstatiert mit Interesse, dass es einen großen Unterschied mache, ob man bei den Gesprächen einem „türkisen“oder einem „schwarzen“ÖVPler gegenübersitze.
Zur Erklärung: Die „Türkisen“sind Sebastian Kurz und sein engeres Umfeld, zu dem auch die Landesparteiorganisationen Wien und Niederösterreich zählen. Die „Schwarzen“sind jene, die zwar ebenfalls hinter dem erfolgreichen Parteichef stehen, aber die eigenständige Linie ihrer Parteiorganisation (inklusive schwarzer Parteifarbe) beibehalten haben.