So liefern Dialoge Stoff für Diskussion
Beobachtungen am letzten Wochenende des ausgiebigen „Festivals für Musik“der Internationalen Stiftung Mozarteum.
Der Begriff der „Dialoge“als Motto des herbstlichen „Festivals für Musik“der Internationalen Stiftung Mozarteum ist so offen wie dehnbar. In der nun auf zwei intensive Wochen ausgebauten Veranstaltungsfolge ging es deshalb nicht nur um Spiegelungen Mozart’scher Werke durch Neue Musik, sondern auch um Begegnungen unterschiedlicher Stile und Kulturen, ein Ausschwärmen vom Konzertsaal auf verschiedene (und für Musik ungewöhnliche) Schauplätze und eine Vielzahl an Kooperationen.
So füllte sich beispielsweise am Samstag der Große Saal des Mozarteums auch mit Teilnehmern eines breit gestreuten „Dialog“-Forums des Landes zum Thema Integration, wofür als musikalischer Botschafter der türkische Ausnahmepianist und Komponist Fazıl Say ein perfektes Bindeglied darstellte. Für die „Große Fazıl-Say-Nacht“brachte er ausschließlich eigene Kompositionen aus mehreren Jahrzehnten mit: Klavier- und Kammermusik, Werke für Soli und Kammerensemble und zwei große Instrumentalkonzerte für Flöte und Cello.
Fazıl Say schreibt Musik, die geprägt ist von den Traditionen seiner Heimat, etwa im offensiven Aufgreifen von Lied- und Tanzelementen. Sie offeriert weniger kunstvolle Verarbeitungen als vielmehr plastische Klangerzählungen, zuweilen durchaus naiv im Gestus und gemixt mit jazzigen Rhythmen und filmmusikalischen Elementen. Solche
Zugänglichkeit, verpackt in klassische Satzmuster, provozierte denn auch, etwa im rasanten Perpetuum mobile der Violinsonate von 1997, spontanen Zwischenapplaus. Benjamin Herzl nutzte die Chance der Zusammenarbeit mit dem Komponisten-Pianisten zu einer fulminanten Darbietung.
Die substanzvollsten Ergebnisse zeitigten die Solokonzerte für Flöte (mit einem Finale für Bassflöte), bravourös und quasi anatolisch-authentisch gespielt von Bülent Evcil, und für Cello, das der Widmungsträgerin Camille Thomas bestens genutztes virtuoses Futter bietet. Für den „Soundtrack“sorgte die Camerata Salzburg unter der blutjungen, hoch talentierten italienischen Dirigentin Nil Venditti.
Dialoge, die vor allem durch Bach-Choralbearbeitungen zur dramaturgischen Einheit verbunden waren, offerierte der Abend des Geigers Benjamin Schmid und der Salzburg Orchester Solisten, wobei hier auch mit dem Begriff des „Originals“gespielt wurde. Zentrales Werk war das (auch Bach zitierende) Violinkonzert Alban Bergs, das – in einer Fassung von Johannes Krall – hier als durchaus riskante, aber bestechend intensive große Kammermusik neue Qualitäten an Dringlichkeit und Transparenz offenbarte. Schmid war glänzend disponierender Erster unter Gleichen.
Und auch das Schlusskonzert am Sonntag, mit der rund um Mozarts Todestag obligaten Aufführung des Requiems, wurde zum Dialog der Sonderklasse. Mit der Verpflichtung des extrem individuell zu Werke gehenden Dirigenten Constantinos Carydis wurde die Wiedergabe zu einer verblüffenden Zeitreise. Das eingangs von Mitgliedern des Salzburger Bachchors intonierte Madrigal des Renaissancemeisters Gesualdo um Themen von Tod und Leben wurde dank seiner kühnen chromatischen Reibungen wie zu einem Vorschein des dunklen und seinerseits weit in die (romantische, ja expressionistische) Zukunft vorausweisenden Requiems, das hier wie eine Brücke in die Zukunft wirkte. Extrem spannte Carydis die „langsamen“Passagen aus, um umso direkter, fast rabiater, die entsprechenden Sätze der Dies-IraeSequenz
durch alle Aggregatzustände der Dramatik zu jagen. Nach den ersten acht Takten des Lacrimosa, bis wohin Mozart das Werk „vollendet“hat, folgte eine lange Generalpause, dann ein kleines Orgelfragment, ehe die restlichen Teile zum treibenden Abgesang gebündelt wurden. Mit Danae Kontora, Anna Stéphany, Mauro Peter und dem im rasch genommenen „Tuba mirum“wunderbar biegsamen Bass Milan Siljanov war ein werkspezifisch angemessenes Solistenquartett tätig, der Bachchor folgte den dynamisch durchaus ungewohnten Anweisungen des Dirigenten präzise, nur die Soprane wirkten etwas (über)an(ge)strengt. Nach langem Schweigen: Jubel und Standing Ovations. Und mancher Diskussionsstoff.