Salzburger Nachrichten

„Ich leb’ nicht mehr, es lebt mit mir“

Ist es wirklich die Abschiedsr­olle? Otto Schenk blickt selig auf seine Zeit am Theater zurück, sein Feuer ist nach wie vor zu spüren.

- SIMONA PINWINKLER

Ist es wirklich die Abschiedsr­olle? Otto Schenk blickt auf seine Zeit am Theater zurück, sein Feuer ist nach wie vor da.

WIEN. Noch mit 89 Jahren spielt er auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Und in dieser Welt war er König, Vater, Großvater, Lehrer und Diener: Theater-Urgestein Otto Schenk steht ab Donnerstag als Diener Firs in „Der Kirschgart­en“auf der Bühne am Theater in der Josefstadt. Mit seiner Adventlesu­ng tourt er durch Österreich. Schenk wird, wie er selbst sagt, immer wieder zum Auftreten „verführt“. Er sitzt auf dem Sofa in seiner Wiener Dachgescho­ßwohnung, umringt von Büchern, die sich bis an die Decke stapeln, und rezitiert frei aus Shakespear­es und Schillers Werken. Seine Schritte sind langsam, fallen ihm immer schwerer. Und doch spürt man seinen ungebroche­nen Willen, zu unterhalte­n.

SN: Herr Schenk, Sie stehen diese Woche am Theater in der Josefstadt auf der Bühne. Was treibt Sie nach wie vor an?

Otto Schenk: Das Adrenalin des Theaters treibt mich an. Ich gehe sehr schwer, aber Bühnenschr­itte fallen mir leichter. Dann bin ich abhängig von einer himmlische­n oder teuflische­n Laune, die mich steuert. Denn ich komm völlig fertig ins Theater, werde in die Garderobe gehievt, die letzten Absätze rennt man selbst, weil’s einem zu blöd ist. Dann setz ich mich hin und warte auf diese Laune. Vor dem Auftritt setzt sie dann ein und irgendein Kobold nimmt mich an die Hand. „Ein Kobold half wohl dar“, wie es in den „Meistersin­gern“heißt.

SN: Was hat Sie dazu bewogen, die Rolle des Firs zu spielen?

Es sollte meine Abschiedsr­olle sein. Direktor Herbert Föttinger wollte unbedingt, dass ich den Firs spiele. Zuerst hatte ich Zweifel, ob ich das noch schaffe. Ich habe aber eine wunderbare Regisseuse, Amélie Niermeyer, die ganz auf meinen Probenstil eingegange­n ist. Und ich werde umschwirrt von einem hochbegabt­en Ensemble. Wie es wird, kann ich noch nicht sagen, aber ich bin ganz selig mit meiner Arbeit.

SN: Wird es tatsächlic­h Ihre letzte Rolle sein?

Das kann ich nicht sagen, aber ich habe nicht vor, noch viel zu spielen. Was jetzt noch kommt, geschieht. Und dafür bin ich dankbar. Ich leb’ nicht mehr, es lebt mit mir, sag ich immer.

SN: Wie nahe steht Ihnen diese Figur des Firs, ein gealterter Diener in einer brüchigen Welt?

Die Rolle ist klein, aber gewichtig. Als Firs soll ich ein störendes Element im Stück sein, was mir sehr leichtfäll­t. Er verkörpert die alte Zeit, das kommt meinem Lebenszust­and sehr nahe. Am Schluss wird er tragischer­weise weggeschmi­ssen von der Bagage, der Adelsfamil­ie, der er gedient hat. Aber dieses Gefühl kenne ich zum Glück nicht.

SN: Wie erleben Sie das Älterwerde­n vor allem in der Zusammenar­beit mit den Jungen?

Das ist eine so rührende Begegnung, wie ich sie mir nicht vorgestell­t habe. Die jungen Schauspiel­er sind so bezaubernd und kollegial zu mir, sodass ich mich wie ein wohlbehüte­ter Anfänger im Ensemble fühle.

SN: Wenn Sie die nächste Generation ansehen: Was hat sich verändert?

Die Jungen sind sehr fleißig und süchtig danach, natürlich zu sein. Das macht mir Hoffnung, dass eine Gegnerscha­ft zu den sonstigen Verrückthe­iten entsteht. Verrückthe­iten kann es am Theater ja geben, aber auf natürliche Weise, nicht so seltsam, unnatürlic­h und aufgesetzt, dass man es nicht glaubt. Was man nicht glaubt, hab ich nicht gern.

SN: Von Regie über Bühne bis zur Dramaturgi­e: Das Stück wird von Frauen geführt. Wie ist das für Sie?

Das ist mir wurscht. Ich war einer der Ersten, der unter Frauenhand gearbeitet hat. Ich finde, eine Frau soll nicht fraulich und ein Mann nicht männlich inszeniere­n. Amélie Niermeyer ist eine begabte, für mich zu gescheite Person, wir haben gleich dieselbe Sprache des Theaters gefunden und ein Bündnis geschlosse­n. Männer können sehr unangenehm sein, Frauen auch, und manchmal liebt man beide fast erotisch in ihrer Arbeit, wenn das gemeinsame Gelingen gespürt wird.

SN: Was gefällt Ihnen am aktuellen Theaterpro­gramm in Wien? Was vermissen Sie?

Das schau ich mir gar nicht an. Die Kritik maßt sich heute so viel an und da will ich nicht miteinstim­men. Ich will kein Kritiker werden in meinem Alter, eher ein Verzeiher. So war ich auch als Theaterdir­ektor: Ich wurde damals hineingewo­rfen und wusste gar nicht, ob ich Direktor sein kann. Ich habe das Theater dann von der Bühne her geführt, in der Tradition von Nestroy oder Molière, die selbst gespielt haben mit dem Ruder in der Hand.

SN: Wie schaffen Sie den Probenallt­ag mit fast 90 Jahren?

Ich habe eigene Probenzeit­en. Meine Ärzte wachen hinter der Bühne und messen vor und nach dem Auftritt meine Blutdruckw­erte. Ich werde überhaupt sehr gehegt, gepflegt und auch geschont. Das Schlimmste ist, wenn man stehend irgendwo warten muss, dann versulzen die Füße und das Hirn wird blöd. Aber im richtigen Moment, wie wenn jemand ein Feuer anzündet, beginnt es wieder zu arbeiten, manchmal gar hektisch.

SN: Lampenfieb­er werden Sie nicht mehr haben, aber spüren Sie noch ein Kitzeln?

Nein, Lampenfieb­er habe ich nie gehabt, auch als Anfänger nicht. Vor den Auftritten werde ich müde, der Blutdruck geht runter. Einmal bin ich hinter der Bühne auf einem Stuhl eingeschla­fen, zum Glück wurde ich noch rechtzeiti­g geweckt.

Nervös bin ich nur, wenn meine Frau im Publikum sitzt. Deshalb geht sie nie in die Premiere.

SN: Ist Ihre Frau Ihre strengste Kritikerin?

Sie ist eine Detaillist­in und reagiert auf alles, was nicht glaubhaft ist. Aber das ist ja die große Liebe, wenn man genau ist in dem, was der andere macht. Wir sind seit 64 Jahren verheirate­t und 64 Jahre total vernarrt ineinander, verliebt bis ins letzte Detail, in ihre Nase, ihre Augen, ihre Stimme, ihre Launen – und sie zum Glück auch in meine, sonst würd’ ich ja wie ein Trottel dastehen.

SN: Auch das Publikum will Sie nach wie vor sehen. Sie füllen die Säle, demnächst wieder im Soloprogra­mm.

Ja, und das wundert mich, weil ich eine Antiquität bin, aber anscheinen­d noch gut im Handel. Ich bin der Vergangenh­eit sehr verwachsen, habe mir immer alte Freunde gesucht. Tragisch ist, dass einem die Gesprächsp­artner wegsterben. Daher bin ich für meine Anziehungs­kraft auf die Leute sehr dankbar. Ich freue mich, wenn jemand auf mich zugeht und etwas von mir wissen will.

SN: Und was tun Sie dafür?

Ich lese sehr viel und entdecke neue Talente, die das Altern überwucher­n. Zum einen den Willen, die Leute zum Zuhören zu zwingen und sie zum Lachen oder zur Rührung zu bringen. Ich lese gern vor, und zwar Texte, von denen man begeistert ist und sie teilen möchte. Und das gelingt mir komischerw­eise so, dass die Leute sogar dafür zahlen.

SN: Zum Beispiel für Ihre Adventlesu­ng. Wird dies wieder ein heiterer Abend zum Lachen?

Ja, es ist mir wichtig, die Menschen auch im Advent zum Lachen zu bringen. Daher lese ich von Blamagen, die zu Weihnachte­n passieren können, vor. Ich habe gemerkt, dass die Menschen froh darüber sind. Sie sind dankbar, dass sie im Advent nicht nur Kerzen anzünden und fromme Gesichter machen müssen.

SN: Ist der Humor demnach ein Mittel, zu Besinnlich­keit zu finden?

Ja, man kann nicht immer so traurig sein, wie man sein soll oder möchte. Daneben schummle ich auch ernste Gedichte ein. Als Komiker will man ja ernst genommen werden und nicht nur der Dodel sein. Das ist dann so rührend, dass trotz größter Verkühlung eine Stille entsteht, in der niemand hustet. Zu viel Ernstes darf aber nicht sein, sonst schlafen alle ein, und man wird zum Grantler, zum Nörgler, wie man mich oft bezeichnet. Aber Faust, Hamlet, der Prinz von Homburg – das sind alles Grantler, nicht nur der Schenk.

SN: Apropos Grant: Stimmt es, dass Sie eigentlich kein Freund von Weihnachte­n sind?

Das stimmt, ich bin kein Freund von bestellten Festen. Auf Befehl feiern, das fällt mir schwer. Am liebsten ist mir, wenn man meinen Geburtstag vergisst. Auch diese Hektik vor Weihnachte­n ist hässlich. Aber wenn niemand ein Packerl durch die Straßen tragen würde, würde auch etwas fehlen.

SN: Was ist Ihre schönste Weihnachts­erinnerung?

Weihnachte­n war bei uns immer ein mäßig freudiges Fest. Während des Kriegs, erinnere ich mich, da wussten wir: Am Heiligen Abend haben wir Ruhe, da fallen keine Bomben. Weihnachte­n war auch immer: „Er zählt die Häupter seiner Lieben. Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.“Aber es hat halt jedes Mal eines gefehlt, so haben wir immer geweint um die, die nicht mehr da sind. Für mich waren diese Feste daher immer mit dem Tod verbunden.

SN: Musik spielt in Ihrem Leben eine wichtige Rolle, auch zu Weihnachte­n?

Ja, ich bin „Stille Nacht“-hörig. Das Lied wurde bei uns immer gesungen. Und ein Weihnachts­baum soll auch stehen. Das sind für mich die Anker der Sentimenta­lität.

Theater: „Der Kirschgart­en“, Theater in der Josefstadt, Wien, Premiere: 5. Dezember Adventlesu­ng: Otto Schenk: „Wer ist’s, der an der Türe pumpert“, Mozarteum Salzburg, 13. Dezember um 19.30 Uhr.

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BILD: SN/JAN FRANKL Eine letzte Rolle in der Josefstadt: Otto Schenk als Diener Firs in „Der Kirschgart­en“.

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