Sie hilft den rechtlosen Frauen in China
Guo Jianmei wird am Mittwoch mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Ihre Arbeit wird im eigenen Land sabotiert.
19 Monate lang musste Li Yan leiden. Ihr Ehemann schlug sie, drückte brennende Zigaretten in ihrem Gesicht aus, manchmal musste die Chinesin aus der südwestlichen Provinz Sichuan nächtelang in Unterwäsche auf dem Balkon verbringen, mitten im Winter. Es war der 3. November 2010: Ihr Mann schaute Yan beim Abwasch zu, griff dann zu seinem Luftgewehr und zielte wenige Zentimeter über Yans Kopf. Das Ehepaar geriet in einen Streit. Mit dem Gewehrkolben schlug Tan Yong auf das Bein seiner Frau ein. Sie riss ihm die Waffe aus der Hand und zog sie ihm über den Kopf. Yans Mann starb.
Dass so viele Details dieser Verzweiflungstat öffentlich wurden, liegt an der chinesischen Menschenrechtsanwältin Guo Jianmei und dem von ihr gegründeten Frauenrechtszentrum, die den Fall von
Li Yan dokumentierten. Die Juristin bietet seit 1995 eine kostenlose Rechtsberatung für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder am Arbeitsplatz diskriminiert werden. Das Rechtsberatungszentrum für Frauen war die erste Nichtregierungsorganisation in China, die sich allein auf die Durchsetzung der Rechte von Frauen spezialisierte. Am heutigen Mittwoch wird sie dafür mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt.
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist in China ein großes Problem. Li Yans Fall passierte genau zu der Zeit, als eine landesweite Befragung der „All-China Women’s Federation“,
der offiziellen Organisation der Frauenbewegung in China, 2010 erstmals Zahlen zu häuslicher Gewalt veröffentlichte: Jede vierte verheiratete Frau im Alter zwischen 24 und 60 Jahren ist schon einmal Opfer von häuslicher Gewalt geworden. Doch die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Das ergibt sich allein aus der Flut an Fällen, die die Anwältin Jianmei Tag für Tag bearbeitet. In den vergangenen 25 Jahren berieten Jianmei und ihr Team 120.000 Frauen in ganz China und vertraten in mehr als 4000 Prozessen Frauen vor Gericht.
Lange Zeit war Jianmei, die in der zentralchinesischen Provinz Henan aufgewachsen ist, im Staatsdienst. Nach ihrem Studium 1983 arbeitete die heute 58-Jährige im Justizministerium in Peking, direkt im Machtzentrum der Kommunistischen Partei.
Der Wendepunkt in ihrem Leben kam 1995. Jianmei besuchte die in Peking stattfindende Internationale
Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen. Eine der Gäste war die Ehefrau des damaligen US-Präsidenten, Hillary Clinton. Ein Satz Clintons blieb Jianmei im Gedächtnis: „Frauenrechte sind Menschenrechte.“Ein anderer Gast stellte die Frage, warum es keine Nichtregierungsorganisationen in China gebe, die sich auf Rechtsberatung von Frauen spezialisierten. Diese Erkenntnis schockierte Jianmei – und ermunterte sie zugleich, ihren sicheren Job in der Regierung zu kündigen und ein Forschungs- und Beratungszentrum für Frauen in China zu gründen.
Die Juristin arbeitet auf gefährlichem Terrain. Die Kommunistische Partei sieht es nicht gern, dass das Bild der chinesischen Familie als harmonische und friedliche Keimzelle der Volksrepublik zerrüttet ist. In den vergangenen 25 Jahren wurde das Frauenberatungszentrum mehrmals geschlossen. Bis 2010 war es an der juristischen Fakultät in Peking angesiedelt, musste offenbar wegen des Drucks aus der Regierung schließen.
Doch Guo Jianmei bleibt hartnäckig. Momentan bietet sie ihre kostenfreie Rechtsberatung unter der Pekinger Kanzlei Qianqian an, die sie gegründet hat. Der Name bedeutet fleißig. Eine Eigenschaft, die auch auf Jianmei zutrifft. Trotz Repressionen arbeitet sie unablässig für die Rechte von Frauen.
So auch im Fall von Li Yan. Die Frau, die ihren Ehemann aus Verzweiflung ermordet hatte, wurde 2011 zum Tode verurteilt. Jianmei machte den Fall publik, er fand international Gehör. Der Druck auf die chinesische Justiz erhöhte sich – mit Erfolg. Die Todesstrafe für Yan wurde dieses Jahr aufgehoben.