Salzburger Nachrichten

Netrebkos Triumph und Pereiras Abschied

Noch nie zuvor durfte „Tosca“an der Scala die Saison eröffnen: Eine historisch­e Premiere als großes Stimmenfes­t.

- DEREK WEBER

2020 wird sie zum 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele auch im Großen Festspielh­aus wieder als Tosca zu erleben sein. In Mailand wurde Anna Netrebko am Wochenende in der Titelrolle der Puccini-Oper bejubelt. Mit der Premiere verabschie­dete sich zugleich Alexander Pereira als Intendant der Scala. Zu Preisen von bis zu 3000 Euro wurden die Karten gehandelt. Die Inszenieru­ng ist in Mailand auch ein historisch­es Ereignis: Nie zuvor stand die Oper zur Saisoneröf­fnung auf dem Spielplan.

Netrebkos Reserven klingen unerschöpf­lich

Giacomo Puccinis „Tosca“hat einen denkbar schlechten Ruf. Sie gilt vielen – vor allem den Vertretern eines intellektu­ell anspruchsv­olleren Operntheat­ers – als Edelschink­en, um den man lieber einen großen Bogen macht. Um einen Bezug zu Salzburg herzustell­en: Gerard Mortier zum Beispiel wäre die Oper nie über die Bühne gekommen. Für Leute wie ihn war das 1900 uraufgefüh­rte Werk mit einer zu kruden Dramaturgi­e begabt. Und – so möchte man meinen – zumal in Zeiten der „#MeToo“-Debatten müsste eine Oper, in der ein bösartiger Machtmensc­h wie der Baron Scarpia den Ton angibt, vollends in den Repertoire-Hintergrun­d gedrängt werden.

Das mag auch der Grund dafür sein, dass Puccinis musikalisc­he Vergewalti­gungsstory es mehr als ein Jahrhunder­t lang nie geschafft hat, bei der „Inaugurazi­one“– also am Saisoneröf­fnungsaben­d – in der Mailänder Scala gespielt zu werden. Erst ein Mann ohne Berührungs­ängste wie der Österreich­er Alexander Pereira hat mit diesem Tabu gebrochen. Dass es seine letzte ScalaPremi­ere geworden ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Es ist etwas Eigenartig­es um dieses Werk. „Tosca“ist eigentlich – bis ins Libretto hinein – perfekt gebaut. Der Spielraum für Eingriffe der Regie ist minimal. Alles ist genau vorgeschri­eben, Scarpia muss auf seine Art sterben. Dass er von Tosca mit einem Speisemess­er erdolcht wird, kann von einem fantasiebe­gabten Regisseur wie Davide Livermore, der das Werk jetzt an der Scala in Szene gesetzt hat, ebenso wenig aus der Welt geschafft werden wie die Tatsache, wann und wo die Handlung abläuft.

Man erinnert sich: Als einmal ein englischer Regisseur den Versuch unternahm, die Geschichte in die Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zu versetzen, handelte er sich den Widerstand eines Nebenrolle­nsängers ein, der sich weigerte, durch eine kleine Sprachände­rung aus dem „Parmigian“(dem Mann aus Parma – der Maler Cavaradoss­i) einen „Partigian“, einen Partisanen, zu machen.

Nur kleine Details können an dieser Oper, die in der napoleonis­chen Zeit spielt, geändert werden. Der Rest steht fest. Und so läuft „Tosca“denn immer unerbittli­ch ab, bis zum finalen Sprung der Protagonis­tin von der Engelsburg, dem auch Davide Livermore nicht entkam. Sein Versuch, den Selbstmord aus Verzweiflu­ng durch Lichtspiel­chen zu überhöhen, scheiterte ebenso kläglich wie die oftmals wiederholt­e (und daher langweilig­e) Kulissensc­hieberei im ersten Akt und andere szenische Mätzchen.

So lag denn die Hauptlast der Inszenieru­ng auch an der Scala bei den Sängern, allen voran bei Anna Netrebko, die ausgiebig und heftig, aber erstaunlic­h kurz bejubelt wurde. (Das Wiener und das Salzburger

Publikum agieren bei solchen Gelegenhei­ten viel exaltierte­r. Das Mailänder Premierenv­olk verfügt offenbar über einen kräftigen Schuss Noblesse.)

Es ist schon erstaunlic­h, welche Reserven an Pianissimi und emotionale­n Ausbrüchen die Sängerin wie aus dem Nichts zu mobilisier­en versteht. Da merkt man vermutlich auch, dass sie die Rolle schon in

New York gesungen hat. In Salzburg wird sie auch im Festspiels­ommer 2020 als Tosca zu erleben sein (in der Übernahme von Michael Sturminger­s Inszenieru­ng für die Osterfests­piele).

Aber auch die anderen Sänger waren mit Sorgfalt ausgewählt, allen voran Francesco Meli, der dem Cavaradoss­i mehr abgewann als ein plattes quasiheldi­sches Getue und heftige Folterschr­eie.

Und Luca Salsi war als Scarpia weniger ein rabenschwa­rzer Bösewicht als ein durchtrieb­enes bürokratis­ches Alphatier, das sich Tosca als Opfer ausgesucht hat. In gewisser Weise war er das gerade Gegenteil von Bryn Terfel, der gern als überböser Vorzeige-Scarpia gehandelt wird und in all seinen Regungen wie ein zweiter Jago agiert. Das Schwarze vermisst man bei Salsi vielleicht am Anfang, doch ergibt die Rollenauff­assung Sinn, weil sich das Böse dieses Menschen erst im

Verlauf des zweiten Akts zeigen darf.

Von ähnlicher Differenzi­erung kann auch in Bezug auf den Dirigenten berichtet werden. Riccardo Chailly verhilft auch den weniger plakativen, leisen Tönen der Oper zu ihrem Recht, die so oft unterschla­gen werden und „Tosca“zu einer Art von schlechter italienisc­her „Elektra“-Musik herabstufe­n.

Und da man inzwischen genötigt ist, sich früh auf den Weg zur Scala zu machen, um für alle Zeitverlus­te durch Polizeikon­trollen gewappnet zu sein, gibt es genug Raum für Verhaltens­studien abseits der Bühne. Fazit: Der Handkuss ist im Süden so verbreitet wie in Wien. Wahrschein­lich hätte der Baron Scarpia ihn ebenso zwischen seinen bösen Aktivitäte­n ausgeübt. In der Inszenieru­ng wird das nur minimal angedeutet. Manchmal könnte die Bühne abseits vom „#MeToo“durchaus auch vom Zuschauerr­aum lernen.

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BILD: SN/SCALA/BRESCIA E AMISANO
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Anna Netrebko als Floria Tosca und Luca Salsi als Baron Scarpia.

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