So läuft die Wirtschaft perfekt im Kreis
„Cradle to cradle“– von Wiege zu Wiege – heißt ein Industriemodell, das Abfall vermeiden will. Namhafte Firmen sind darauf aufmerksam geworden, darunter zahlreiche österreichische.
„Cradle to cradle“– von Wiege zu Wiege – heißt ein Industriemodell, das Abfall vermeiden will.
WIEN. Der Frosch macht es schon lang. Der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing macht es ebenso wie der Wäsche- und Strumpfhersteller Wolford. Der hat vor einem Jahr eine eigene Kollektion auf den Markt gebracht, die als „cradle to cradle“(kurz C2C) zertifiziert ist. Das heißt „von Wiege zu Wiege“(oder zum Ursprung) und trifft den Kern der Sache genauer als die Begriffe „nachhaltig“oder „umweltfreundlich“.
Lenzing, Wolford und das Mainzer Unternehmen Werner & Mertz, das seine Reinigungsund Pflegemittel (wie Frosch und Erdal) auch in Hallein erzeugt, gehören zu Vorreitern dieser Form von Nachhaltigkeit.
Sie setzen die Idee von Umweltschutz radikaler und konsequenter um, als das bisher oft der Fall war. Denn die vom deutschen Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart (*1958) entwickelte Idee der Kreislaufwirtschaft geht über herkömmliche Ansätze wie die Verringerung von Schadstoffen weit hinaus. Das bringe nichts, meint Braungart. „Im Ozean schwimmen zehn Millionen Tonnen Plastik. Ist es besser, wenn es nur neun Millionen sind?“
Es gehe darum, keinen Müll zu produzieren, sondern ausschließlich Stoffe, aus denen ohne schädliche Rückstände wieder Neues entstehen könne. „Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Müll erzeugt“, sagt Braungart. Alle anderen würden Stoffe erzeugen, die andere wieder verwenden können.
Das Ziel sei also, „gute Materialien zu verwenden, anstatt darüber nachzudenken, wie wir Müll reduzieren können“. Ein Produkt, das Abfall werde, sei einfach nur ein schlechtes Produkt, bringt Braungart sein zusammen mit dem US
Architekten William McDonough entwickeltes Modell auf den Punkt. Ihr 2002 erschienenes Buch „Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things“plädiert dafür, Produkte in einem biologischen oder technischen Kreislauf zu halten.
Es gebe viele falsche Vorstellungen über sinnvolles ökologisches Verhalten. „Wir denken, wir schützen die Umwelt, wenn wir ein bisschen weniger Schweinereien machen.“Aber das gehe oft nach hinten los. Autoreifen halten heute doppelt so lang wie vor 20 Jahren. Doch darin stecken 600 Chemikalien, von denen 500 niemals in die Umwelt kommen dürfen. „Wir haben das Falsche perfekt gemacht und damit perfekt falsch.“Ziel müsse es sein, Produkte von Anfang an
so zu gestalten, dass sie sich für geschlossene Stoffkreisläufe eignen. Also alle Bestandteile können vollständig und gefahrlos in die Biosphäre zurück oder in hoher Qualität wiedergewonnen werden.
Davon sind die meisten Recyclingverfahren weit entfernt. Ein aus Kostengründen in Malaysia gedruckter Werbeprospekt enthalte rund 90 krebserzeugende Substanzen. Kommt er ins Altpapier und wird wieder aufbereitet, landen die giftigen Chemikalien in Schlamm und Schlacke und am Ende als Füllstoff in Kartons. „Das Mistzeug, einmal in der Welt, vergiftet also am Ende unsere Pizzapackung und unsere Adventkalender.“
Recycling funktioniert in der Regel nicht, weil die Produkte nicht dafür ausgelegt sind. Daher müsse die Ökologie nicht am Ende des Lebenszyklus eines Produkts ansetzen, sondern beim Anfang. Eben bei der Wiege (cradle) statt bei der Bahre. „Die Denkweise der Zukunft besteht nicht in der Minimierung des ökologischen Fußabdrucks“, sagt Braungart. Mit Moral habe das nichts zu tun. „Mir geht es ausschließlich um Innovation, Qualität und Schönheit – und um sonst gar nichts.“Begonnen hat alles, als sich Braungart als junger Chemiker in den 80erJahren der Umweltschutzorganisation Greenpeace anschloss. Als Aktivist behinderte er das Versenken von Giftmüll im Meer und demonstrierte an Rauchfängen von Chemiefabriken gegen das Verpesten der Luft. Um die ökologischen Ideen in die Praxis umsetzen zu können, beteiligte sich Greenpeace an der Gründung der Environmental Protection Enforcement Agency EPEA, „um die PS auch auf die Straße zu kriegen“. Die Idee nahm schneller Fahrt auf, als man erwartet hatte. Heute entsprechen weltweit bereits mehr als 11.000 Produkte den C2C-Kriterien. Braungart ist gefragter Experte. Unlängst habe (Google-Mitgründer) Larry Page angefragt, wie sich Feinstaub in Produkten verhindern ließe. Der Name war eine Idee seines Vaters. Ursprünglich wollte man den neuen Zugang „das intelligente Produktesystem“nennen. Weil aber der Begriff „intelligent design“in den USA schon untrennbar mit der Debatte um die göttliche Schöpfung der Welt verbunden war, musste man einen neuen Namen suchen, der idealerweise englisch und einprägsam sein sollte.