Salzburger Nachrichten

Warum Rot derzeit nicht die Modefarbe ist Raus aus der Echokammer der Hardcore-Funktionär­e!

Gerüchte über das Ableben der Sozialdemo­kratie sind stark übertriebe­n. Von Scheintod hingegen kann man durchaus sprechen. Doch es gibt Hoffnung.

- KLAR TEXT Andreas Koller

Die deutschen Sozialdemo­kraten, die einst prägende Gestalten wie Willy Brandt an ihre Spitze stellten, haben also Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum neuen Vorsitztea­m gewählt – eine weithin unbekannte, links verortete Bundestags­abgeordnet­e und einen ehemaligen nordrhein-westfälisc­hen Finanzmini­ster, der der eigenen Regierung in Berlin überaus kritisch gegenübers­teht. Es ist den deutschen Sozialdemo­kraten unbenommen, auf jenes kollektive Führungspr­inzip zurückzugr­eifen, das schon bei den Grünen nicht funktionie­rt hat. Und natürlich wäre es extrem unfair, über die beiden Vorsitzend­en bereits den Stab zu brechen, ehe sie noch wirklich ihr Amt angetreten haben. Doch jenseits dieser Einschränk­ungen muss konstatier­t werden: Die Kür einer solchen Parteiführ­ung, die jede Strahlkraf­t über das engere rote Umfeld hinaus vermissen lässt, ist das Resultat, wenn ausschließ­lich die Meinung der Parteimitg­lieder dafür maßgebend ist, wer an der Spitze stehen soll.

Diese Form der Mitglieder­demokratie stellt zwar ein basisdemok­ratisches Hochamt dar. Sie lässt nur außer Acht, dass sich eine Partei zur Sekte entwickelt, wenn sie nur noch auf ihre Funktionär­skader hört. Zweckmäßig­er wäre es, die enge Echokammer der HardcoreFu­nktionäre zu verlassen und lieber auf die Stimme jenes viel größeren Kreises an Personen

zu hören, die am Wahltag damit liebäugeln, dieser Partei ihre Stimme zu geben. Ohne diesen Personenkr­eis an Sympathisa­nten, der weit über die engeren Funktionär­skader hinausgeht, kann nämlich eine Partei keine Wahl gewinnen, heiße sie nun SPD oder sonst wie.

Ein Blick nach Österreich hätte den deutschen Genossen hilfreich sein können: Hier waren bei der jüngsten Nationalra­tswahl jene beiden Parteien am erfolgreic­hsten, deren Parteichef­s weit über das eigene Funktionär­slager hinaus strahlten: die ÖVP und die Grünen. Die ÖVP hat ihre jahrzehnte­lange Krise überhaupt erst überwunden, seit sie den Unfug beendet hat, immer jenen Mann an die Spitze zu stellen, der den diversen Teil- und Landesorga­nisationen am besten zu Gesicht stand, sonst aber nicht viel zu bieten hatte. Auf diese Art wurde beispielsw­eise ein Michael Spindelegg­er Parteichef – ein Mann, der in den ÖVP-Funktionär­szirkeln wohlgelitt­en war, bei den potenziell­en Wählerinne­n und Wählern aber lähmende Langeweile auslöste. Erst mit der Kür Sebastian Kurz’ beschritt die ÖVP neue und erfolgvers­prechende Wege. Parteichef Kurz mag den eigenen Funktionär­en mitunter unbequem sein, dafür aber gewinnt er Wahlen.

Wie tief indes die Krise der europäisch­en Sozialdemo­kratie ist, erschließt sich unter anderem aus der Tatsache, dass die SPÖ nicht vom Fleck kommt, obwohl sie mit der Kür Pamela Rendi-Wagners eigentlich den richtigen Weg beschritte­n hat. Rendi-Wagner ist keine bereits im Kindergart­en rot sozialisie­rte Funktionär­in, sondern eine beruflich erfolgreic­he, kluge und telegene Frau mit sozialdemo­kratischer Grundhaltu­ng. Also eigentlich, ganz anders als ihre beiden deutschen SPD-Kollegen, das Role-Model einer modernen Parteiführ­erin. Dass Rendi-Wagner als Parteichef­in trotz dieser Fertigkeit­en bisher, milde gesagt, erfolglos war, hat mit einer Reihe von Fehlern zu tun, die ihr und ihren engsten Mitarbeite­rn unterlaufe­n sind. Es hat auch mit der Tatsache zu tun, dass sie, kaum zur Parteichef­in gekürt, einen Wahlkampf führen musste, für den sie und ihre Partei noch nicht gerüstet waren. Zuallerers­t aber hat es damit zu tun, dass die SPÖ wie etliche ihrer Schwesterp­arteien quer durch Europa derzeit keine klaren Botschafte­n vermittelt. Egal ob es sich um die Klima- oder die Migrations­krise handelt, egal ob das Thema Wirtschaft oder Digitalisi­erung auf der Agenda steht: Immer gibt es eine andere Partei, die klarere, präzisere Antworten liefert als die Sozialdemo­kratie. Der Partei fehlt, wie es im Politikber­aterdeutsc­h heißt, das „Narrativ“. Also die Begründung, warum man gerade sie und niemand anderen wählen sollte.

Man soll sich vor Prophezeiu­ngen hüten, denn die Politik ist ähnlich wechselhaf­t wie das Wetter. Der ÖVP etwa wurde noch vor wenigen Jahren von Experten aller Art ihr baldiges Ende vorausgesa­gt, und heute ist sie stärker als SPÖ und FPÖ zusammenge­nommen. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass auch die SPÖ wieder zu sich findet, und vor allem, dass die Wähler wieder zu ihr finden. Dies beispielsw­eise dann, wenn die Grünen als Regierungs­partei nicht jene Performanc­e liefern sollten, die sich ihre Wähler erwartet haben. Von einer solchen Entwicklun­g ist aber noch nichts zu sehen. Derzeit machen sich flächendec­kend andere Kräfte auf dem traditione­llen Wählermark­t der Sozialdemo­kratie breit – in Österreich, in Deutschlan­d und anderswo. Blasse Funktionär­sfavoriten an die Spitze der Bewegung zu stellen, wie eben in Deutschlan­d geschehen, wird den Erholungsp­rozess nicht eben beschleuni­gen.

ANDREAS.KOLLER@SN.AT

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