Lust auf ein langes Liebesleben
Herkömmliche Ratgeber helfen in langjährigen Partnerschaften, in denen die Sexualität eingeschlafen ist, wenig. Sie vermitteln nur Techniken. Partner brauchen aber oft andere Anregungen.
Der Reformator Martin Luther (1483–1546) legte wohl einst die Norm fest: Er sagte, zwei Mal Sex in der Woche sei das rechte Maß. Das setzt Paare heute noch unter Druck. Die Realität, wie sie Paartherapeuten und die Forschung kennen, schaut anders aus. Sind Paare länger als zwei Jahre zusammen, haben sie durchschnittlich drei Mal im Monat Sex. Also etwa alle zehn Tage. Manche Menschen schlafen öfter miteinander, andere seltener. Das passt, wenn beide damit zufrieden sind. In langjährigen Partnerschaften kann es aber passieren, dass sich Wünsche auseinanderentwickeln, was der Beziehung nicht guttut. Paartherapeut und Psychologe Wolfgang Krüger hat sich dazu Originelles einfallen lassen.
SN: Sie haben für langjährige Partnerschaften eine durchaus frohe Botschaft parat … Wolfgang Krüger: Ja. In langjährigen Partnerschaften ist entgegen pessimistischen Annahmen erfüllte Sexualität möglich. Wenn man mit dem Sexleben unzufrieden ist, sollte man sich nicht damit abfinden und resignieren. Meiner Erfahrung als Therapeut nach hilft es aber wenig, sich in einschlägige Ratgeberbücher zu vertiefen. Man kann sich dort schon die ein oder andere Anregung holen, aber in der Sexualität geht es nicht um Techniken, sondern um Grundlegenderes. Es ist relativ schwierig zu begreifen, was Sexualität ist. Man muss dazu die Persönlichkeit der Betreffenden kennen, oft auch deren Kindheit. Man sollte die Wünsche und Fantasien kennen, die jedoch die Partner sehr häufig einander nicht anvertrauen. Und da sind wir schon beim richtigen Stichwort. Zur Sexualität gehört ein Mindestmaß Vertrautheit.
SN: Auch in langjährigen Beziehungen sagen sie einander nicht, was sie sich wünschen? Auch dann nicht. Das ist sozusagen heißes Pflaster. Denn damit lassen wir zu, dass der andere in unsere Tiefen blicken kann. Und auch nach 20 Jahren Zusammensein gibt es Teile am Partner, die wir nicht kennen. Wir kennen den anderen nur ausschnittsweise. Meist wissen wir, was er nicht mag. Auch die eigene Leidenschaft bleibt oft rätselhaft. Und im Alltag achten wir zu wenig darauf, was zur Sexualität dazugehört. Es genügt ja nicht, abends mal einen Knopf zu drücken.
SN: Was sind die Voraussetzungen ihrer Ansicht nach?
Damit erotische Schwingungen entstehen, ist Anerkennung wichtig. Den Partner immer und immer wieder mit ehrlicher und echt empfundener Anerkennung zu verwöhnen ist eine Voraussetzung und eine Basis für die gelingende Partnerschaft.
Erotik ist ein körperliches Gespräch, ein seelisch-körperlicher Austausch, der eine tiefe Bindung zwischen zwei Menschen voraussetzt. Hierzu gehören vor allem Gespräche und die Fähigkeit, sich auch mit den eigenen seelischen Verletzungen und Schwächen zu zeigen. Nur so kann sich eine Stimmung aufbauen. Eine weitere Grundlage für erfüllte Sexualität ist die eigene Lebensfreude, die Freude am Genuss und die Neugier.
SN: Oft genug ist der Alltag ein Bremsfaktor. In einer Familie mit Kindern, in der beide Partner arbeiten und eventuell die Eltern zu pflegen sind, bleibt wenig Raum und Energie, um Stimmungen aufzubauen. In allen Partnerschaften haben Frauen und Männer mit Belastungen von außen zu kämpfen, die müde und abgespannt machen. Das Paar sollte dann schauen, wie es sich trotzdem Partnerschaftsinseln schaffen kann – und wenn es nur alle vierzehn Tage ist. Sonst kommt es zu Rückzug und Resignation.
Man sollte also schon zuvor den anderen immer wieder fragen: „Was kann ich tun, dass du glücklich bist?“Wenn beide angefangen haben, sich zurückzuziehen, mit Gesprächen, dem Küssen und Umarmen aufzuhören, dann wird auch die Sexualität eingestellt.
Dauert so ein Zustand länger als drei Monate, ist das ein Alarmzeichen, auch wenn die reine Sexhäufigkeit nicht alles über das erotische Leben in der Partnerschaft aussagt. Doch in der Sexualität spüre ich besonders, dass wir zusammengehören. Wenn das verloren geht, wird es für die Beziehung gefährlich.
SN: Sie haben sich für die Paartherapie einen ungewöhnlichen Weg überlegt und empfehlen das auch ohne Therapie … Ich habe angefangen, in der Therapie mit klassischen erotischen Romanen zu arbeiten. Sie sind hilfreich, da sie anders als die Pornografie, die nur beziehungsfernen Hochleistungssex präsentiert, auch die emotionale Dynamik von Paaren, ihre Erfahrungen, ihre Ängste und Hoffnungen und Schwierigkeiten beschreiben.
In diesen Werken wird deutlich, dass Sex eine ganze Welt ist, die in der erotischen Begegnung zum Ausdruck kommt. Insofern waren diese erotischen Romane schon seit Jahrhunderten anregende Ratgeber. Viele Paare sagen, sie hätten fehlende Modelle für das Liebesleben im Kopf. Deshalb profitieren wir sehr davon, wenn wir sie lesen.
SN: Welche Romane empfehlen Sie und warum? „Salz auf unserer Haut“ist ein Beispiel: Darin lernen wir, dass wir uns vor allem geliebt fühlen müssen, damit der Sex gelingt. Das klingt so selbstverständlich und ist doch so schwer zu realisieren. Und wir sollten uns selbst lieben und unsere innere Anstandsdame beiseiteschieben, damit wir unbekümmert und schamlos die Erotik genießen können. Dies bedeutet aber auch, dass wir im Alltag unsere Bedürfnisse durchsetzen, unsere Wünsche realisieren. Je glücklicher wir in einer Beziehung sind, desto besser ist der Sex. Dann steigt unser Begehren und unsere erotischen Fantasien fangen zu blühen an.
Wolfgang Krüger
ist Tiefenpsychologe und Paartherapeut in Berlin. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Überwindung von Ängsten und Depressionen sowie Beziehungsproblemen. Sein neuestes Buch „Die erfüllte Sexualität. Erkenntnisse aus zwölf erotischen Romanen“ist gerade erschienen (Books on Demand, Norderstedt 2019).