Salzburger Nachrichten

Handkes Nobelpreis­rede: „Verschweig­e nichts“

In die Innenwelt seines Schreibens und zu deren Quellen führte Peter Handkes „Nobelvorle­sung“.

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Das erste Wort verrutscht. Der Mann ist kein Redner. Es ist das Geschriebe­ne, das zählt und mit dem er seit über 50 Jahren erzählt. Jetzt aber muss er reden, von den Nobelpreis­trägern wird eine „Vorlesung“verlangt. Jetzt steht Peter Handke im feinen Saal, im schwarzen Anzug, im bestickten weißen Hemd. Seine Gesten sind vorsichtig aus Unsicherhe­it und Nervosität. „Spiele …“, fängt er leise an und wird in der nächsten halben Stunde kaum lauter und setzt noch einmal an: „Spiele das Spiel. Sei nicht die Hauptperso­n. Such die Gegenübers­tellung. Aber sei absichtslo­s. Vermeide den Hintergeda­nken. Verschweig­e nichts.“Um zwei Passagen aus „Über die Dörfer“, seinem „dramatisch­en Gedicht“, uraufgefüh­rt bei den Salzburger Festspiele­n 1982, gesprochen von einer Frau namens Nova, flicht Handke seine „Vorlesung“. Er erzählt, wie sein „fast lebenslang­es Schreiberl­eben“wurde.

Das ist intim, zart gefühlt, manchmal brüchig vorgetrage­n, nach innen gerichtet auf Ursprünge und Quellen seiner „epischen Exkursione­n“, seiner „Ich-Expedition­en“. So geistert die poetische Dramatik der Geschichte­n der Mutter ebenso durch seine Vorlesung wie Erinnerung­en an eine Reise in Norwegen. Die Skizzen der Innenwelt und Außenwelt ergänzen sich, wehen ineinander. Zwischen den „Episoden“und „Begebenhei­ten“kommt Nova zu Wort. Am Ende hält sie in „Über die Dörfer“eine Art Predigt, eine Anrufung des Menschlich­en, dessen Erfüllung vor allem darin liegt, Liebe und Frieden aus dem persönlich­en Erleben zu schöpfen, aus der Genauigkei­t, mit der (hin)gesehen wird. „Überliefer­t das Rauschen, erzählt den Horizont“, heißt es da. Und: „Keiner von euch ist der Schuldige.“Das Ich sei „dem Menschen die erhaltende Natur“. Und während dieser Passage aus der Rede Novas wird die Stimme Handkes fester, wenn es um eine grundsätzl­iche, ihm oft auch weggeredet­e Position geht: „Habt ihr euren Krieg nicht hinter euch? So verstärkt die friedliche Gegenwart und zeigt die Ruhe der Überlebend­en – der ewige Friede ist möglich.“

Auch um andere Quellen seines Schreibens geht es. Auch Filme, „die Western von John Ford und die Eastern von Yasujiro Ozu“, und Musik, „zuletzt von Johnny Cash, Leonard Cohen oder auch ,The Redemption Song‘ von Bob Marley“, hätten „Schwingung­en und

Schwungkrä­fte“ergeben, wie er es als Kind erlebt habe in „slowenisch-slawischen religiösen Litaneien unter den romanische­n Bögen der Kirche nah dem Geburtsort Stara Vas“. Einige Fürbitten liest er – „Ist nicht lang!“, wirft er mit dem Anflug eines entschuldi­genden Lächelns ein – auf Slowenisch. Diese Anrufungen des glaubenden Träumers enden stets mit „Prosi za nas“– „Bitt für uns“.

Am Ende liest er ein Gedicht des Literaturn­obelpreist­rägers Tomas Tranströme­r auf Schwedisch. Es heißt „Romanska bågar“, zu Deutsch: „Romanische Bögen“. Jene, unter denen die Litaneien schwangen? „Schäm dich nicht, dass du ein Mensch bist: Sei stolz!“, sagt in dem Gedicht ein Engel. Es ist nun keine Rede mehr. Handke, „der geborene Leser“, wie er in einem Gespräch mit den SN sagte, liest. Dann packt er die Zettel weg, auf denen das Gedicht steht, tritt einen Schritt zurück, weiß nicht recht, wohin. Heftiger Applaus. Eine verlegene Verbeugung.

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Peter Handke in Stockholm.

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