Lokführer wird bald zum Mangelberuf
Nicht nur in Österreich suchen Bahnbetreiber Lokführer. Es gibt auch noch andere Probleme.
Auf der Liste der Mangelberufe für 2020, die das Sozialministerium vor gut zwei Wochen zur Begutachtung ausgeschickt hat, finden sich neben Köchen und Kellnern erstmals auch Lokführer. Damit können sich auch Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern für den Job bewerben. Allein bei den ÖBB fehlen laut Arbeitnehmervertretern aktuell 1000 Lokführer. Zwar wird wieder kräftig ausgebildet, allerdings erreicht ein Gutteil der aktiven Lokführer bald das Pensionsalter und der Mangel wird größer. „Alle Bahnunternehmen spüren den Mangel“, sagt Robert Reschreiter, Betriebsrat bei der Westbahn.
Schichtarbeit schreckt heute viele jüngere Menschen ab. In Salzburg absolvieren derzeit 99 Lehrlinge eine Ausbildung bei den ÖBB, allerdings ist Lokführer kein Lehrberuf. „Vielleicht zwei bis drei pro Jahrgang wollen später Lokführer werden“, sagt Lehrwerkstättenleiter Franz Burtscher. Die Lücke sei nicht nur bei Triebfahrzeugsführern groß, „wir suchen Nachwuchs in allen Bereichen“. Mittlerweile ist er das ganze Jahr über in den Schulen unterwegs und rührt die Werbetrommel für eine Lehre bei den ÖBB. Die Ausbildung zum Lokführer ist schwierig, nicht jeder schafft sie. Meldungen über gefälschte Zeugnisse machten zudem deutlich, dass in der Ausbildung selbst einheitliche Vorgaben fehlen. Außerdem gibt es Forderungen an die Eisenbahnbehörde.
WIEN. Die jüngsten Vorwürfe wegen nicht ordnungsgemäßer Prüfungen für Lokführer bei Westbahn und ÖBB werfen kein gutes Licht auf die Situation im Führerstand der heimischen Züge. Es fehlt in so großem Ausmaß an Berufsanwärtern, dass das Sozialministerium den Lokführer für nächstes Jahr auf die Liste der Mangelberufe setzt. Und es gibt keine einheitlichen Ausbildungsstandards. „Jeder Mensch glaubt, dass die Ausbildung auf der Schiene ähnlich wie beim Fliegen klar geregelt ist“, sagt Gerhard Tauchner, ÖBB-Lokführer, Betriebsrat und Vertreter der Zugkapitäne in der Gewerkschaft vida. Ist es aber nicht.
Zwar sagt die EU-Triebfahrzeugführer-Verordnung, was ein Lokführer können muss. Wie das Wissen vermittelt wird, regelt aber jedes Land selbst, nicht zuletzt, weil Lokführer in Europa für jedes Land eine eigene Bescheinigung – sprich Führerschein – brauchen, oder es übernimmt ein lokaler Lokführer.
In Österreich gibt es ein Dutzend Ausbildungsbetriebe sowie rund 200 Prüfer beziehungsweise 70 Prüfungskommissäre. Die Eisenbahnbehörde muss prüfen und bescheinigen, dass sie die notwendige Qualifikation mitbringen. Je nachdem, wo jemand fährt – ob nur Nebenbahn oder mehr –, laufen die Prüfungen anders ab. Wie oft man antreten kann, ist nicht geregelt.
„Grundsätzlich ist das Ausbildungsniveau in Österreich sehr hoch“, sagt Michael Luczensky, Leiter der Abteilung Eisenbahn im Infrastrukturministerium (BMVIT). Wie in jedem System gebe es „natürlich Verbesserungspotenzial“, beispielsweise die Harmonisierung der Ausbildungsstandards. Seit März gebe es eine Arbeitsgruppe,
1000 Lokführer fehlen allein bei den ÖBB
die neue Vorgaben diskutiere. Dass in Österreich oder auch Deutschland Lokführer fehlten, sei aber kein Versäumnis der Behörde, sagt Luczensky. Das müssten sich die Unternehmen selbst überlegen.
Allein bei den ÖBB fehlten 1000 Lokführer, sagt Tauchner. Die 4200, die es gibt (600 weniger als 2015), sind im Durchschnitt 48 Jahre alt (40 Prozent über 50 Jahre), haben 1,7 Millionen Überstunden und 20 Urlaubstage stehen. Um das Problem zu entschärfen, wurden dieses Jahr 520 zur Ausbildung aufgenommen, 2020 sollen es noch einmal 500 sein. Die Einstufung als Mangelberuf hält Tauchner für „absurd“. Voraussetzung ist eine Fahrerlaubnis, die die Bahnbehörde nach 38 Stunden Grundkurs sowie Gesundheits- und psychologischen Tests ausstellt. Zudem müssen Anwärter Deutsch als Muttersprache haben oder auf Niveau B1 beherrschen, um sich in Notsituationen verständigen zu können. Die Ausbildung dauert alles in allem rund ein Jahr. Gewerkschafter Tauchner führt die Probleme mit Prüfungen nicht nur auf die Liberalisierung im EU-Bahnwesen zurück. Seit Mitarbeiter den Job verlieren könnten, wehrten sie sich seltener dagegen, was ihnen zugemutet werde. Zudem sei die Ausbildung aus Spargründen zurückgefahren worden.
Tauchners Ansicht nach ist die Eisenbahnbehörde zu klein, um die 69 Bahnbetreiber zu kontrollieren, die in Österreich zugelassen sind – verglichen mit etwa einem Dutzend vor zehn Jahren. Dafür brauche es eine Eisenbahnpolizei. Luczensky kann das nicht nachvollziehen. „Sie werden niemand finden, der nicht gern mehr Personal hätte“, sagt er.
Die Behörde sei aber seit 2015 aufgestockt und 2017 eine Abteilung für Aufsicht geschaffen worden. Eine Novelle des Eisenbahngesetzes, die die Rechte der Behörde konkretisiert hätte, sei dem Fall der türkis-blauen Regierung zum Opfer gefallen. Und die Neubesetzung offener Leitungspositionen in der Behörde gehe nicht von heute auf morgen.
Zur Untersuchung bei der privaten Westbahn wegen falsch ausgestellten Triebfahrzeugführer-Zeugnissen gibt es keinen Kommentar vom BMVIT. Bei Verwaltungsverstößen droht eine Geldstrafe, bei groben Versäumnissen theoretisch ein Lizenzentzug. Strafrechtliche Aspekte prüft die Staatsanwaltschaft.
Westbahn-Betriebsrat Robert Reschreiter ist überzeugt, dass die beiden Ex-Mitarbeiter, die die Zeugnisfehler mithilfe des Vereins mobifair (Obmann ist Tauchner) publik gemacht haben, ihrem ehemaligen Arbeitgeber schaden wollten. Er bestreite die Schlampigkeitsfehler eines Prüfers nicht, aber „die ÖBB-Gewerkschafter sind uns nicht gut gesonnen“. Das habe sich auch in anderen Situationen gezeigt.