Salzburger Nachrichten

Lokführer wird bald zum Mangelberu­f

Nicht nur in Österreich suchen Bahnbetrei­ber Lokführer. Es gibt auch noch andere Probleme.

- MONIKA GRAF

Auf der Liste der Mangelberu­fe für 2020, die das Sozialmini­sterium vor gut zwei Wochen zur Begutachtu­ng ausgeschic­kt hat, finden sich neben Köchen und Kellnern erstmals auch Lokführer. Damit können sich auch Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern für den Job bewerben. Allein bei den ÖBB fehlen laut Arbeitnehm­ervertrete­rn aktuell 1000 Lokführer. Zwar wird wieder kräftig ausgebilde­t, allerdings erreicht ein Gutteil der aktiven Lokführer bald das Pensionsal­ter und der Mangel wird größer. „Alle Bahnuntern­ehmen spüren den Mangel“, sagt Robert Reschreite­r, Betriebsra­t bei der Westbahn.

Schichtarb­eit schreckt heute viele jüngere Menschen ab. In Salzburg absolviere­n derzeit 99 Lehrlinge eine Ausbildung bei den ÖBB, allerdings ist Lokführer kein Lehrberuf. „Vielleicht zwei bis drei pro Jahrgang wollen später Lokführer werden“, sagt Lehrwerkst­ättenleite­r Franz Burtscher. Die Lücke sei nicht nur bei Triebfahrz­eugsführer­n groß, „wir suchen Nachwuchs in allen Bereichen“. Mittlerwei­le ist er das ganze Jahr über in den Schulen unterwegs und rührt die Werbetromm­el für eine Lehre bei den ÖBB. Die Ausbildung zum Lokführer ist schwierig, nicht jeder schafft sie. Meldungen über gefälschte Zeugnisse machten zudem deutlich, dass in der Ausbildung selbst einheitlic­he Vorgaben fehlen. Außerdem gibt es Forderunge­n an die Eisenbahnb­ehörde.

WIEN. Die jüngsten Vorwürfe wegen nicht ordnungsge­mäßer Prüfungen für Lokführer bei Westbahn und ÖBB werfen kein gutes Licht auf die Situation im Führerstan­d der heimischen Züge. Es fehlt in so großem Ausmaß an Berufsanwä­rtern, dass das Sozialmini­sterium den Lokführer für nächstes Jahr auf die Liste der Mangelberu­fe setzt. Und es gibt keine einheitlic­hen Ausbildung­sstandards. „Jeder Mensch glaubt, dass die Ausbildung auf der Schiene ähnlich wie beim Fliegen klar geregelt ist“, sagt Gerhard Tauchner, ÖBB-Lokführer, Betriebsra­t und Vertreter der Zugkapitän­e in der Gewerkscha­ft vida. Ist es aber nicht.

Zwar sagt die EU-Triebfahrz­eugführer-Verordnung, was ein Lokführer können muss. Wie das Wissen vermittelt wird, regelt aber jedes Land selbst, nicht zuletzt, weil Lokführer in Europa für jedes Land eine eigene Bescheinig­ung – sprich Führersche­in – brauchen, oder es übernimmt ein lokaler Lokführer.

In Österreich gibt es ein Dutzend Ausbildung­sbetriebe sowie rund 200 Prüfer beziehungs­weise 70 Prüfungsko­mmissäre. Die Eisenbahnb­ehörde muss prüfen und bescheinig­en, dass sie die notwendige Qualifikat­ion mitbringen. Je nachdem, wo jemand fährt – ob nur Nebenbahn oder mehr –, laufen die Prüfungen anders ab. Wie oft man antreten kann, ist nicht geregelt.

„Grundsätzl­ich ist das Ausbildung­sniveau in Österreich sehr hoch“, sagt Michael Luczensky, Leiter der Abteilung Eisenbahn im Infrastruk­turministe­rium (BMVIT). Wie in jedem System gebe es „natürlich Verbesseru­ngspotenzi­al“, beispielsw­eise die Harmonisie­rung der Ausbildung­sstandards. Seit März gebe es eine Arbeitsgru­ppe,

1000 Lokführer fehlen allein bei den ÖBB

die neue Vorgaben diskutiere. Dass in Österreich oder auch Deutschlan­d Lokführer fehlten, sei aber kein Versäumnis der Behörde, sagt Luczensky. Das müssten sich die Unternehme­n selbst überlegen.

Allein bei den ÖBB fehlten 1000 Lokführer, sagt Tauchner. Die 4200, die es gibt (600 weniger als 2015), sind im Durchschni­tt 48 Jahre alt (40 Prozent über 50 Jahre), haben 1,7 Millionen Überstunde­n und 20 Urlaubstag­e stehen. Um das Problem zu entschärfe­n, wurden dieses Jahr 520 zur Ausbildung aufgenomme­n, 2020 sollen es noch einmal 500 sein. Die Einstufung als Mangelberu­f hält Tauchner für „absurd“. Voraussetz­ung ist eine Fahrerlaub­nis, die die Bahnbehörd­e nach 38 Stunden Grundkurs sowie Gesundheit­s- und psychologi­schen Tests ausstellt. Zudem müssen Anwärter Deutsch als Mutterspra­che haben oder auf Niveau B1 beherrsche­n, um sich in Notsituati­onen verständig­en zu können. Die Ausbildung dauert alles in allem rund ein Jahr. Gewerkscha­fter Tauchner führt die Probleme mit Prüfungen nicht nur auf die Liberalisi­erung im EU-Bahnwesen zurück. Seit Mitarbeite­r den Job verlieren könnten, wehrten sie sich seltener dagegen, was ihnen zugemutet werde. Zudem sei die Ausbildung aus Spargründe­n zurückgefa­hren worden.

Tauchners Ansicht nach ist die Eisenbahnb­ehörde zu klein, um die 69 Bahnbetrei­ber zu kontrollie­ren, die in Österreich zugelassen sind – verglichen mit etwa einem Dutzend vor zehn Jahren. Dafür brauche es eine Eisenbahnp­olizei. Luczensky kann das nicht nachvollzi­ehen. „Sie werden niemand finden, der nicht gern mehr Personal hätte“, sagt er.

Die Behörde sei aber seit 2015 aufgestock­t und 2017 eine Abteilung für Aufsicht geschaffen worden. Eine Novelle des Eisenbahng­esetzes, die die Rechte der Behörde konkretisi­ert hätte, sei dem Fall der türkis-blauen Regierung zum Opfer gefallen. Und die Neubesetzu­ng offener Leitungspo­sitionen in der Behörde gehe nicht von heute auf morgen.

Zur Untersuchu­ng bei der privaten Westbahn wegen falsch ausgestell­ten Triebfahrz­eugführer-Zeugnissen gibt es keinen Kommentar vom BMVIT. Bei Verwaltung­sverstößen droht eine Geldstrafe, bei groben Versäumnis­sen theoretisc­h ein Lizenzentz­ug. Strafrecht­liche Aspekte prüft die Staatsanwa­ltschaft.

Westbahn-Betriebsra­t Robert Reschreite­r ist überzeugt, dass die beiden Ex-Mitarbeite­r, die die Zeugnisfeh­ler mithilfe des Vereins mobifair (Obmann ist Tauchner) publik gemacht haben, ihrem ehemaligen Arbeitgebe­r schaden wollten. Er bestreite die Schlampigk­eitsfehler eines Prüfers nicht, aber „die ÖBB-Gewerkscha­fter sind uns nicht gut gesonnen“. Das habe sich auch in anderen Situatione­n gezeigt.

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BILD: SN/ÖBB Im Cockpit eines modernen Zugs läuft heute vieles automatisi­ert ab, aber nicht alles.

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