Salzburger Nachrichten

Grasser, Strache und die 70 Kickl-Stunden

Viel war vor der EU-Wahl von glühenden Europäern die Rede. Dabei sind glühende Herdplatte­n viel interessan­ter.

- WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM Alexander Purger

Die Politik ist reich an Absonderli­chkeiten. Eine davon ist die sogenannte Wiener Stunde. Es handelt sich um eine Verrechnun­gseinheit, die festlegt, wie lange welche Partei bei Parlaments­debatten reden darf. Zu diesem Zweck wird jede Stunde Redezeit auf die Parteien aufgeteilt, und zwar exakt im Verhältnis zu deren Größe. Da sich diese Minuten-Verteilere­i nicht immer genau ausgeht, ist die Wiener Stunde in der laufenden Legislatur­periode nicht 60, sondern 62 Minuten lang.

Absonderli­ch, nicht wahr? Aber nix gegen die Kickl-Stunde. Wie erinnerlic­h hat der Klubobmann der Freiheitli­chen am Samstag der vorvergang­enen Woche so rund um die Mittagszei­t verkündet, der Parteiauss­chluss seines einstigen Chefs Heinz-Christian Strache wäre nur noch eine Frage von Stunden. Seither ist mehr als eine Woche ins Land gezogen und Strache ist immer noch Parteimitg­lied. Im Vergleich dazu sind die Abweichung­en der Wiener Stunde ein Klacks. Die Kickl-Stunde dauert mittlerwei­le schon zehn Tage!

Erklärbar ist das nur mit der Relativitä­t der Zeit, die Karl Farkas einmal auf folgende Weise beschriebe­n hat: Wenn man sich, so sagte der Altmeister des Wiener Kabaretts, nackt auf eine glühende Herdplatte setzt, kommt einem selbst die kürzeste Zeitspanne wie eine Ewigkeit vor. Sitzt man hingegen mit einem verführeri­schen Mädchen auf einem Sofa, vergeht sogar die längste Zeit wie im Fluge. – So weit die Relativitä­tstheorie nach Farkas.

Im gegenständ­lichen Fall heißt das: Die Blauen tun zwar so, als wäre ihr Ex-Chef eine Ibiza-heiß glühende Herdplatte und sie selbst nackt. Quasi: e = HC2. In Wahrheit ist Strache für die FPÖ aber immer noch ein verführeri­sches Mädchen. Daher empfindet sie die Zeit, die sie mit ihm weiterhin in derselben Partei sitzen muss, nicht als Wochen, sondern als viel, viel kürzer. Eben als Kickl-Stunden.

Der ehemalige Innenminis­ter könnte seine Ungeduld, was den Parteiauss­chluss Straches betrifft, übrigens auch mit dem Gedanken an den französisc­hen Superpolit­iker Talleyrand zähmen. Dieser müsste für Kickl schon insofern ein Vorbild sein, als Talleyrand sein geliebtes Amt als Minister über nicht weniger als vier Regimewech­sel hinweg rettete. Und außerdem sagte er: „Probleme, die man aufschiebt, sind dadurch schon halb gelöst.“So gesehen müsste das Strache-Problem der FPÖ schon längst ganz gelöst sein, nicht wahr?

Aber apropos glühende Herdplatte: Fällt einem da nicht ein anderer Ex-Freiheitli­cher, nämlich Karl-Heinz Grasser, ein? Sein BuwogVerfa­hren dauert bereits doppelt so lange wie der Nürnberger Prozess, nämlich zwei Jahre. In FPÖ-Dimensione­n übersetzt sind das also schon gut und gerne 70 Kickl-Stunden.

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