Grasser, Strache und die 70 Kickl-Stunden
Viel war vor der EU-Wahl von glühenden Europäern die Rede. Dabei sind glühende Herdplatten viel interessanter.
Die Politik ist reich an Absonderlichkeiten. Eine davon ist die sogenannte Wiener Stunde. Es handelt sich um eine Verrechnungseinheit, die festlegt, wie lange welche Partei bei Parlamentsdebatten reden darf. Zu diesem Zweck wird jede Stunde Redezeit auf die Parteien aufgeteilt, und zwar exakt im Verhältnis zu deren Größe. Da sich diese Minuten-Verteilerei nicht immer genau ausgeht, ist die Wiener Stunde in der laufenden Legislaturperiode nicht 60, sondern 62 Minuten lang.
Absonderlich, nicht wahr? Aber nix gegen die Kickl-Stunde. Wie erinnerlich hat der Klubobmann der Freiheitlichen am Samstag der vorvergangenen Woche so rund um die Mittagszeit verkündet, der Parteiausschluss seines einstigen Chefs Heinz-Christian Strache wäre nur noch eine Frage von Stunden. Seither ist mehr als eine Woche ins Land gezogen und Strache ist immer noch Parteimitglied. Im Vergleich dazu sind die Abweichungen der Wiener Stunde ein Klacks. Die Kickl-Stunde dauert mittlerweile schon zehn Tage!
Erklärbar ist das nur mit der Relativität der Zeit, die Karl Farkas einmal auf folgende Weise beschrieben hat: Wenn man sich, so sagte der Altmeister des Wiener Kabaretts, nackt auf eine glühende Herdplatte setzt, kommt einem selbst die kürzeste Zeitspanne wie eine Ewigkeit vor. Sitzt man hingegen mit einem verführerischen Mädchen auf einem Sofa, vergeht sogar die längste Zeit wie im Fluge. – So weit die Relativitätstheorie nach Farkas.
Im gegenständlichen Fall heißt das: Die Blauen tun zwar so, als wäre ihr Ex-Chef eine Ibiza-heiß glühende Herdplatte und sie selbst nackt. Quasi: e = HC2. In Wahrheit ist Strache für die FPÖ aber immer noch ein verführerisches Mädchen. Daher empfindet sie die Zeit, die sie mit ihm weiterhin in derselben Partei sitzen muss, nicht als Wochen, sondern als viel, viel kürzer. Eben als Kickl-Stunden.
Der ehemalige Innenminister könnte seine Ungeduld, was den Parteiausschluss Straches betrifft, übrigens auch mit dem Gedanken an den französischen Superpolitiker Talleyrand zähmen. Dieser müsste für Kickl schon insofern ein Vorbild sein, als Talleyrand sein geliebtes Amt als Minister über nicht weniger als vier Regimewechsel hinweg rettete. Und außerdem sagte er: „Probleme, die man aufschiebt, sind dadurch schon halb gelöst.“So gesehen müsste das Strache-Problem der FPÖ schon längst ganz gelöst sein, nicht wahr?
Aber apropos glühende Herdplatte: Fällt einem da nicht ein anderer Ex-Freiheitlicher, nämlich Karl-Heinz Grasser, ein? Sein BuwogVerfahren dauert bereits doppelt so lange wie der Nürnberger Prozess, nämlich zwei Jahre. In FPÖ-Dimensionen übersetzt sind das also schon gut und gerne 70 Kickl-Stunden.