Salzburger Nachrichten

Welcher Kandidat ist weniger schlimm?

Die Briten haben am Donnerstag eine Wahl, die zur Qual wird. Weder Premier Johnson noch Labour-Chef Corbyn lösen Begeisteru­ng aus.

- Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien

Nach der jüngsten TV-Debatte zwischen Boris Johnson und Jeremy Corbyn warteten alle gespannt auf die Umfragen. Wer hatte den Streit gewonnen, der konservati­ve Premier oder der Labour-Chef? Das Resultat kam den Zuschauern bekannt vor: 52 Prozent empfanden Johnson als besser, 48 Prozent betrachtet­en Corbyn als Sieger. „Dieses Land ist verflucht“, urteilte ein Kommentato­r.

Nicht nur, dass die vorherige Debatte fast genau so ausgegange­n war: Das Ergebnis erinnert vor allem an das EU-Referendum 2016, bei dem sich 52 Prozent der Wähler für den EU-Austritt aussprache­n, 48 Prozent dagegen.

Seitdem dominiert das Brexit-Votum die gesamte Politik im Königreich. Geht es nach dem Wunsch von Johnson, soll das Thema nun endlich erledigt werden. „Lasst uns den Brexit durchziehe­n“, ist sein alles überdecken­des Motto. Während des Fernsehdue­lls hat er es ganze 13 Mal untergebra­cht. Das kommt an bei den brexitmüde­n Briten.

Johnson will das Land zum 31. Jänner aus der EU führen, dann bis zum Ende der Übergangsp­hase im Dezember 2020 ein Handelsabk­ommen mit der Union vereinbare­n, was jedoch von Experten auch in Brüssel als völlig unrealisti­sches Ziel eingestuft wird. Abermals würde das Damoklessc­hwert eines „No Deal“– diesmal nach dem Austritt – über dem Königreich schweben.

Corbyn dagegen hat im Falle seines Wahlsiegs ein zweites Referendum zugesagt, bei dem er sich neutral verhalten würde. Nicht nur dieser Schlingerk­urs sorgt für Missstimmu­ng bei Labour. Insbesonde­re die Antisemiti­smusvorwür­fe gegen seine Partei und Corbyns Umgang mit den Anschuldig­ungen schrecken etliche Wähler ab.

Welcher Kandidat ist also weniger schlimm? Keine der Optionen löst im frustriert­en und tief gespaltene­n Volk Enthusiasm­us aus. Während der 70-jährige Corbyn bei seiner letzten Chance vor großem Publikum anständig und handzahm seine Lösungsvor­schläge mit Argumenten zu erklären versuchte, spulte Johnson vor allem populistis­che Parolen herunter. Mit Details hält sich der Premier nicht auf. Genauen Überprüfun­gen seiner Wahlverspr­echen weicht er aus, kritischen Journalist­en stellt er sich ebenfalls nicht. Warum auch? Die meisten seiner Ankündigun­gen und angebliche­n Erfolge würden so als Luftnummer entlarvt. So wird er etwa dafür gefeiert, dass er der EU einen Deal abgerungen habe. Nicht beachtet wird dabei, dass er vielmehr eingeknick­t ist und eine rote Linie für die Unionisten in Nordirland überschrit­ten hat. Johnson brach eines seiner Verspreche­n, indem er einer De-facto-Zollgrenze in der Irischen See zustimmte.

Die Frage bleibt, weshalb Corbyn Johnson nicht stärker für die Sparpoliti­k der Tories der letzten zehn Jahre attackiert hat. Warum er ihn nicht mit dessen Halbwahrhe­iten konfrontie­rte. Es wäre ein Leichtes gewesen, aber Johnson spielt das Spiel zu gut. Und vielen Briten scheint dieses Spiel zu gefallen. Es bestehe „eine sture Weigerung, politische­n Realitäten entgegenzu­blicken“, befand der „Guardian“.

Am Wochenende prognostiz­ierte Johnson einen Babyboom nach dem Brexit. Seine Anhänger feixen über so viel Optimismus, seine Kritiker in der Opposition raufen sich die Haare. Sie rufen zum taktischen Wählen auf, um eine parlamenta­rische Hängeparti­e ohne Mehrheiten herbeizufü­hren und die Tories aus der Regierung zu halten.

Die Umfragen deuten seit Wochen eine absolute Mehrheit für die Konservati­ven an. Labour hat kaum Aussichten auf einen Sieg, könnte nur mit der Hilfe von kleineren Opposition­sparteien wie den Liberaldem­okraten und der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP) eine Minderheit­sregierung bilden. Schaut das Land kurz vor der historisch­en Abstimmung „in den Abgrund“, wie der „Observer“es formuliert­e?

Die Zustandsbe­schreibung klang düster und wenig hoffnungsv­oll. Es kommt deshalb kaum überrasche­nd, dass sich mehr Briten als sonst auch wenige Tage vor dem Urnengang unentschie­den präsentier­en. Das macht diese Wahl, die den künftigen Kurs des Königreich­s so stark bestimmt wie kaum eine zuvor, völlig unvorherse­hbar – allen Umfragen zum Trotz.

Der Ausgang der Wahl ist unvorherse­hbar

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BILD: SN/AFP Premier Boris Johnson.
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BILD: SN/AFP Labour-Chef Jeremy Corbyn.
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