Touristenmagnet wurde zur Todesfalle
Beim Ausbruch des White-Island-Vulkans vor der Küste Neuseelands dürften zahlreiche Touristen ums Leben gekommen sein. Es könnte die Vorstufe zu einer noch viel größeren Eruption sein.
Es waren erschütternde Nachrichten, die einige Stunden nach dem Ausbruch des White-Island-Vulkans, knapp 50 Kilometer vor der Küste Neuseelands, bekannt gegeben wurden: Laut Polizei dürfte es keine Überlebenden geben. Fünf Tote haben die Behörden bestätigt. Montagabend hieß es, weitere acht Personen würden noch vermisst. 31 befinden sich im Krankenhaus. 23 Personen konnten mit Booten oder Hubschraubern gerettet werden.
Bei den Opfern handelt es sich durchwegs um Touristen. Denn der White-Island-Vulkan gilt als Urlauberparadies. Auf dem winzigen Eiland tummeln sich jährlich etwa 10.000 Besucher. Nach Angaben des österreichischen Außenministeriums liegen derzeit keine Hinweise vor, dass Österreicher zu Schaden gekommen sind.
Nach mehreren Erkundungsflügen mit Flugzeugen und Hubschraubern sagte ein Behördensprecher: „An keinem Ort sind Lebenszeichen gesichtet worden. Auf Grundlage der vorliegenden Informationen glauben wir nicht, dass sich auf der Insel noch Überlebende befinden.“
Gespenstisch waren auch die Bilder einer Überwachungskamera: Eine Gruppe von Besuchern hielt sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs im Krater auf. Mehr als ein halbes Dutzend Menschen war innerhalb des Kraterrands unterwegs, als der White-Island-Vulkan gegen 14.10 Uhr (Ortszeit; 2.10 Uhr MEZ) plötzlich eruptierte. Dann wurde das Bild dunkel.
Der Ausbruch sei nicht unerwartet gekommen, meint Wolfgang Lenhardt, Chef der Geophysik an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. „Einmal taucht die Pazifische Platte unter Neuseeland, dann die Australische. Es ist extrem kompliziert.“
Diese Verschiebungen bewirkten auch immer wieder Erdbeben – wie zuletzt jenes in Christchurch. Dort kamen am 22. Februar 2011 bei einem Beben der Stärke 6,3 insgesamt 185 Menschen ums Leben. White Island sei „immer gefährlich“, ähnlich wie der Krakatau in Indonesien. 2018 hatte der Ausbruch des Anak
Krakatau einen Tsunami ausgelöst, bei dem mehr als 420 Menschen ums Leben kamen und 7200 verletzt wurden.
Dass es sich um einen aktiven Vulkan handle, „vergessen die Menschen leider, wenn der bislang letzte Ausbruch schon länger her ist“, erklärt Lenhardt. 1914 wurden zehn Männer, die im Schwefelbergbau tätig waren, getötet. Wie sich die Situation auf White Island weiterentwickle, sei derzeit nicht abzusehen. Man müsse auch mit einer größeren Explosion rechnen, wenn sich der Krater mit Wasser fülle. „So wie bei Santorin.“Lenhardt beobachtete am Montagnachmittag (Ortszeit) den Austritt von weiteren Wolken aus Wasserdampf. Auch eine Einschränkung des Flugverkehrs sei denkbar, sollten feine Aschepartikel in die Luft geschleudert werden. Der örtliche Zivilschutz habe die Lage nach dem Ausbruch im Griff, sagte Lenhardt. So wie in der Nähe anderer Vulkane werde auch bei White Island penibel darauf geachtet, dass vorerst niemand mehr Zugang zur Insel habe. „Die haben das gut im Griff.“Dass es sich um einen Touristenmagneten handle, sei klar: „Es ist eben für viele sehr spannend, sich in der Nähe eines aktiven Vulkans aufzuhalten.“
Geophysisch gesehen habe der Ausbruch von White Island nichts mit jenen in der Mittelmeerregion zu tun – also mit Vesuv und Stromboli. Letzterer war am 3. Juli 2019 heftig eruptiert. Eine Person starb, zwei Anrainer wurden verletzt, rund 100 Touristen wurden vorsorglich von der Insel gebracht. Die Plattenverschiebung finde dort in einigen Dutzend Kilometern Tiefe statt, während es in Neuseeland einige Hundert Kilometer seien, erklärt Lenhardt.
Einer der ersten Wissenschafter, die die geologischen Besonderheiten Neuseelands erforschten, war der in Deutschland geborene Ferdinand von Hochstetter. Er übersiedelte schon in jungen Jahren nach Wien, lehrte dort an der Universität und nahm 1857, mit nur 28 Jahren, an der berühmten Weltumsegelung mit der Fregatte „Novara“teil. 1859 kehrte er via Sydney nach Wien zurück, wo er 1884 starb.
White Island wurde 1769 von dem britischen Seefahrer James Cook entdeckt, der ihr auch den Namen gab. Grund dafür war, dass White Island ständig in einer Wolke von weißem Dampf und Rauch erschien. Mehrere Unternehmen bieten heute Tagestouren für Touristen zu dem Vulkan an.
„White Island ist immer gefährlich – ähnlich wie der Krakatau.“
Wolfgang Lenhardt, Geophysiker