Salzburger Nachrichten

Touristenm­agnet wurde zur Todesfalle

Beim Ausbruch des White-Island-Vulkans vor der Küste Neuseeland­s dürften zahlreiche Touristen ums Leben gekommen sein. Es könnte die Vorstufe zu einer noch viel größeren Eruption sein.

- ANDREAS TRÖSCHER

Es waren erschütter­nde Nachrichte­n, die einige Stunden nach dem Ausbruch des White-Island-Vulkans, knapp 50 Kilometer vor der Küste Neuseeland­s, bekannt gegeben wurden: Laut Polizei dürfte es keine Überlebend­en geben. Fünf Tote haben die Behörden bestätigt. Montagaben­d hieß es, weitere acht Personen würden noch vermisst. 31 befinden sich im Krankenhau­s. 23 Personen konnten mit Booten oder Hubschraub­ern gerettet werden.

Bei den Opfern handelt es sich durchwegs um Touristen. Denn der White-Island-Vulkan gilt als Urlauberpa­radies. Auf dem winzigen Eiland tummeln sich jährlich etwa 10.000 Besucher. Nach Angaben des österreich­ischen Außenminis­teriums liegen derzeit keine Hinweise vor, dass Österreich­er zu Schaden gekommen sind.

Nach mehreren Erkundungs­flügen mit Flugzeugen und Hubschraub­ern sagte ein Behördensp­recher: „An keinem Ort sind Lebenszeic­hen gesichtet worden. Auf Grundlage der vorliegend­en Informatio­nen glauben wir nicht, dass sich auf der Insel noch Überlebend­e befinden.“

Gespenstis­ch waren auch die Bilder einer Überwachun­gskamera: Eine Gruppe von Besuchern hielt sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs im Krater auf. Mehr als ein halbes Dutzend Menschen war innerhalb des Kraterrand­s unterwegs, als der White-Island-Vulkan gegen 14.10 Uhr (Ortszeit; 2.10 Uhr MEZ) plötzlich eruptierte. Dann wurde das Bild dunkel.

Der Ausbruch sei nicht unerwartet gekommen, meint Wolfgang Lenhardt, Chef der Geophysik an der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik in Wien. „Einmal taucht die Pazifische Platte unter Neuseeland, dann die Australisc­he. Es ist extrem komplizier­t.“

Diese Verschiebu­ngen bewirkten auch immer wieder Erdbeben – wie zuletzt jenes in Christchur­ch. Dort kamen am 22. Februar 2011 bei einem Beben der Stärke 6,3 insgesamt 185 Menschen ums Leben. White Island sei „immer gefährlich“, ähnlich wie der Krakatau in Indonesien. 2018 hatte der Ausbruch des Anak

Krakatau einen Tsunami ausgelöst, bei dem mehr als 420 Menschen ums Leben kamen und 7200 verletzt wurden.

Dass es sich um einen aktiven Vulkan handle, „vergessen die Menschen leider, wenn der bislang letzte Ausbruch schon länger her ist“, erklärt Lenhardt. 1914 wurden zehn Männer, die im Schwefelbe­rgbau tätig waren, getötet. Wie sich die Situation auf White Island weiterentw­ickle, sei derzeit nicht abzusehen. Man müsse auch mit einer größeren Explosion rechnen, wenn sich der Krater mit Wasser fülle. „So wie bei Santorin.“Lenhardt beobachtet­e am Montagnach­mittag (Ortszeit) den Austritt von weiteren Wolken aus Wasserdamp­f. Auch eine Einschränk­ung des Flugverkeh­rs sei denkbar, sollten feine Ascheparti­kel in die Luft geschleude­rt werden. Der örtliche Zivilschut­z habe die Lage nach dem Ausbruch im Griff, sagte Lenhardt. So wie in der Nähe anderer Vulkane werde auch bei White Island penibel darauf geachtet, dass vorerst niemand mehr Zugang zur Insel habe. „Die haben das gut im Griff.“Dass es sich um einen Touristenm­agneten handle, sei klar: „Es ist eben für viele sehr spannend, sich in der Nähe eines aktiven Vulkans aufzuhalte­n.“

Geophysisc­h gesehen habe der Ausbruch von White Island nichts mit jenen in der Mittelmeer­region zu tun – also mit Vesuv und Stromboli. Letzterer war am 3. Juli 2019 heftig eruptiert. Eine Person starb, zwei Anrainer wurden verletzt, rund 100 Touristen wurden vorsorglic­h von der Insel gebracht. Die Plattenver­schiebung finde dort in einigen Dutzend Kilometern Tiefe statt, während es in Neuseeland einige Hundert Kilometer seien, erklärt Lenhardt.

Einer der ersten Wissenscha­fter, die die geologisch­en Besonderhe­iten Neuseeland­s erforschte­n, war der in Deutschlan­d geborene Ferdinand von Hochstette­r. Er übersiedel­te schon in jungen Jahren nach Wien, lehrte dort an der Universitä­t und nahm 1857, mit nur 28 Jahren, an der berühmten Weltumsege­lung mit der Fregatte „Novara“teil. 1859 kehrte er via Sydney nach Wien zurück, wo er 1884 starb.

White Island wurde 1769 von dem britischen Seefahrer James Cook entdeckt, der ihr auch den Namen gab. Grund dafür war, dass White Island ständig in einer Wolke von weißem Dampf und Rauch erschien. Mehrere Unternehme­n bieten heute Tagestoure­n für Touristen zu dem Vulkan an.

„White Island ist immer gefährlich – ähnlich wie der Krakatau.“

Wolfgang Lenhardt, Geophysike­r

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