Ärzte können Krebs immer besser heilen
Erste große Erfolge und Hoffnungen beruhen auf neuen, zielgenaueren Immuntherapien.
Die Krebsforschung ist heute nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten in kleinen und kleinsten Trippelschritten unterwegs. Die Fortschritte sind heute so groß, dass der diesbezüglich früher schaumgebremste Leiter des Salzburger Krebsforschungszentrums, Richard Greil, bereits davon träumt, bis 2050 die meisten Krebserkrankungen heilen zu können. Dank der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit in der Forschung und im Uniklinikum ist Salzburg auch bei einer neuen Immuntherapie gegen besonders aggressive Formen der Leukämie und von Lymphdrüsenkrebs europaweit vorn mit dabei.
Erste Patienten konnten Greil und sein Team bereits erfolgreich ohne große Nebenwirkungen behandeln. Wie funktioniert dieser Therapieansatz, der in Zukunft die große Waffe gegen alle Tumorarten sein könnte?
Vereinfacht erklärt muss man dafür zunächst aus dem Blut der Patienten Abwehrzellen extrahieren. Weil diese sogenannten T-Killerzellen die Krebszellen nicht mehr erkennen können, werden sie gentechnisch verändert. Viren dienen dabei als „trojanische Pferde“, indem sie Genprodukte in die Zelle einschleusen. Danach werden die manipulierten Abwehrzellen im Labor vermehrt und in die Blutbahn der Patienten zurückgebracht. Die erneut scharfgemachten Killerzellen können dann wieder Jagd auf Krebszellen machen.
SALZBURG. Die neuen großen Hoffnungsträger in der Krebsmedizin sind gentechnologisch veränderte Immunzellen. Damit haben Krebszellen deutlich geringere Chancen, sich trickreich dem Immunsystem zu entziehen. Sie werden erkannt und eliminiert. Derzeit ist diese Technologie zwar noch auf wenige Krebsarten beschränkt. Das Ziel ist aber natürlich, die manipulierten Abwehrzellen einmal bei allen Tumorarten einsetzen zu können.
Richard Greil, der Leiter der interdisziplinären Krebsforschung in Salzburg, berichtet von Patienten am Uniklinikum mit einer besonders aggressiven Form von Lymphdrüsenkrebs
(B-Zell-Lymphom), die als geheilt gelten können. Bisher war bei rund der Hälfte dieser Patienten im ersten Ansatz einer Chemo-Immuntherapie eine Heilung erreichbar. Half das nicht oder kam es zu Rückfällen, blieb noch die Option einer hochdosierten Chemotherapie in Verbindung mit einer autologen (vom Patienten stammenden) Stammzelltransplantation. Schlug auch dieser Versuch fehl, betrug die Überlebensdauer oft nur noch fünf bis sechs Monate.
Die bisherigen Erfolgsraten in der noch sehr kurzen Einsatzdauer der gentechnisch veränderten Immunzellen sind jedenfalls im Vergleich zu anderen Therapien nach Angaben Greils außergewöhnlich: Bei 80 Prozent der Patienten bildet sich der Tumor zurück, bei 50 Prozent verschwindet er vollkommen. Und, soweit man dies nach knapp 1,5 Jahren Beobachtungszeit sagen kann: möglicherweise dauerhaft.
Wie funktioniert nun diese Technik konkret, die zeigt, dass man die Krebsmedizin immer mehr auf den jeweiligen Patienten zuschneiden muss? Für die CAR-T-Zell-Therapie (Chimeric Antigen Receptor T-Cell) müssen den Patienten zunächst weiße Blutkörperchen, sogenannte T-Zellen, entnommen werden. Danach werden sie gentechnisch umprogrammiert, vermehrt und dem Krebspatienten wieder zugeführt.
Grundsätzlich gilt dabei: Damit Abwehrzellen die Tumorzellen vernichten können, müssen sie diese an ihrer Oberflächenstruktur erkennen. Das Hinterhältige an den Krebszellen ist aber, dass sie sich tarnen. Sie ähneln häufig gesunden
Körperzellen und werden daher nicht als fremd erkannt.
Deshalb muss man die Abwehrzellen des Patienten wieder scharfmachen. Greil erklärt, wie das funktioniert: „Ein Genprodukt wird dabei über ein Virus in die T-Zellen eingeschleust. Das Virus arbeitet wie ein trojanisches Pferd. Mit dem künstlichen T-Zell-Rezeptor sind die Abwehrzellen dann wieder in der Lage, den Tumor zu erkennen und anzugreifen.“
Vorerst werden die CAR-T-Zellen über zwei Pharmafirmen (Novartis, Gilead) kommerziell an sehr wenigen Orten auf der Welt hergestellt. Das heißt: Der Aufwand, der hinter dieser neuen Technologie steckt, ist noch sehr groß.
Derzeit sind in Europa die CAR-TZell-Präparate für diffus großzellige B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome (eine spezielle Form von Lymphknotenkrebs) Erwachsener und die B-akute lymphatische Leukämie von Kindern und Jugendlichen zugelassen. Die Tumorzellen sind bei diesen Krebsarten über Blut, Knochenmark und Lymphknoten für die CAR-T-Zellen gut erreichbar. Hingegen werden andere Zellreihen der Blutbildung und andere Organe nicht direkt angegriffen.
Bei soliden Tumoren, die sich fest an einem Platz im Körper befinden, steckt diese Technologie noch in den Anfängen und ist derzeit noch mit deutlich größeren Hürden konfrontiert. Der Grund: Die Krebszellen solcher Tumoren haben oft unterschiedlichste Oberflächenmerkmale, selbst bei der gleichen Tumorart können sie sich stärker unterscheiden. Das trifft auch auf die Krebszellen eines einzigen Patienten zu. Zudem sind die meisten infrage kommenden Zielstrukturen an den Krebszellen auch im normalen Gewebe unverzichtbarer Organe vorhanden und wären damit Angriffsziel der manipulierten Abwehrzellen.
Krebsforscher Greil sieht hier dennoch großes Potenzial, weil man die T-Zellen beliebig konstruieren kann. Künftig werde man Tumoren nicht nur über eine, sondern über mehrere Erkennungsstrukturen erfassen können und damit einen spezifischeren und selektiveren Effekt auf die Tumorzellen im Vergleich zu normalem Gewebe erzielen. Damit wäre diese Therapie nach Angaben Greils nicht nur wirksamer, sondern sie hätte auch weniger Nebenwirkungen.
Derzeit können die CAR-T-Zellen eine sehr starke Immunreaktion auslösen. Hohes Fieber, Kreislaufprobleme, aber auch neurologische Beschwerden wie Benommenheit, Sprech- und Schreibschwierigkeiten bis hin zu epileptischen Anfällen können vorübergehend auftreten. Greil hat deshalb ein hoch trainiertes und interdisziplinär aufgestelltes Team an der Seite, um die CAR-T-Zell-Therapie überhaupt durchführen zu dürfen. In Österreich haben nur fünf Kliniken die dafür nötige Zulassung.
Greil wird selbst ein CAR-T-ZellGerät anschaffen, um experimentell im Tierversuch und an Tumorzellen von Patienten forschen zu können. „Die Idee ist, Techniken und Methoden dieses Therapieansatzes zu verbessern und allenfalls die CAR-T-Zellen selbst herzustellen. Voraussetzung ist, dass die Technologien für eine extreme Individualisierung des Ansatzes zur Verfügung stehen und die komplexen Rechtsfragen geklärt sind. Wir wollen auch dafür vorbereitet sein.“
„Virus arbeitet als trojanisches Pferd.“