Salzburger Nachrichten

Die Politik vergisst ihre Hauptaufga­be

Österreich ist eine stabile Demokratie. Aber langsam könnte sie wieder mehr Problemlös­ung vertragen.

- Alexander Purger VORNAME.NACHNAME@SALZBURG.COM

Der jüngste Demokratie­befund – eine große Umfrage über die Haltung der Österreich­er zur Demokratie – klingt in Details bedrohlich. Statt 18 Prozent wie im Vorjahr seien nun schon 22 Prozent für einen starken Führer, steht da zu lesen. Ein Befund, der manche nach der Nazikeule tasten lassen wird. Doch gemach: Die überwältig­ende Mehrheit von 87 Prozent der Österreich­er stimmt der Aussage zu, dass die Demokratie, auch wenn sie Probleme mit sich bringen möge, die beste Regierungs­form sei.

Es gilt also auch hierzuland­e der berühmte Satz von Winston Churchill: „Die Demokratie ist die schlechtes­te Regierungs­form – abgesehen von all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobier­t worden sind.“Nein, die Österreich­er sind keine Antidemokr­aten. Was hinter der Floskel vom starken Führer stecken dürfte, ist die Sehnsucht nach Entscheidu­ngen und Problemlös­ungen. Und das ist etwas, das man den Bürgern nach diesem Jahr 2019 wirklich nicht verübeln kann. Denn mindestens seit Mai trifft die Politik in diesem Land keine Entscheidu­ngen mehr und löst keine Probleme, sondern beschäftig­t sich ausschließ­lich mit sich selbst.

Besonders augenfälli­g ist dies bei der SPÖ, die in ihrer hingebungs­vollen Selbstbesp­iegelung längst vergessen zu haben scheint, dass es auch noch eine Welt dort draußen gibt. Aber ist die übrige Politik viel anders? Seit Mai, seit dem Auftauchen des IbizaVideo­s, gibt es keine anderen Themen als: die schmutzige­n Fußnägel einer falschen Oligarchen­nichte, das Ruderleibe­rl des Vizekanzle­rs, den Inhalt seiner Sporttasch­e, den „Pfötchenpu­nsch“seiner Gattin, die Flinte im Porsche eines SPÖ-Landesobma­nns, die Gemälde im Porsche des SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­rs, den Daumen im Posting eines ÖVP-Finanzmini­sters, geschredde­rte Festplatte­n …

All das bringt Quote und wird ausführlic­hst besprochen. Was ist mit der Pflegeprob­lematik, der Bildungsmi­sere, der Migrations­frage, dem besorgnise­rregenden Zustand von Innenminis­terium, Bundesheer und Justiz? – Fehlanzeig­e. Alles nicht so lustig wie die nächste Volte im Politzirku­s!

Es wird zu den wichtigste­n Aufgaben der nächsten Regierung zählen, die Öffentlich­keit wieder mit den wahren Problemen des Landes vertraut zu machen und wieder für mehr Ernsthafti­gkeit in der Politik zu sorgen. Denn das sollte als Präambel jeglichem Demokratie­befund vorangeste­llt werden: Politik ist das ernsthafte Bemühen um die bestmöglic­he Gestaltung der Zukunft, kein Ganzjahres­fasching.

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