Die Politik vergisst ihre Hauptaufgabe
Österreich ist eine stabile Demokratie. Aber langsam könnte sie wieder mehr Problemlösung vertragen.
Der jüngste Demokratiebefund – eine große Umfrage über die Haltung der Österreicher zur Demokratie – klingt in Details bedrohlich. Statt 18 Prozent wie im Vorjahr seien nun schon 22 Prozent für einen starken Führer, steht da zu lesen. Ein Befund, der manche nach der Nazikeule tasten lassen wird. Doch gemach: Die überwältigende Mehrheit von 87 Prozent der Österreicher stimmt der Aussage zu, dass die Demokratie, auch wenn sie Probleme mit sich bringen möge, die beste Regierungsform sei.
Es gilt also auch hierzulande der berühmte Satz von Winston Churchill: „Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – abgesehen von all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“Nein, die Österreicher sind keine Antidemokraten. Was hinter der Floskel vom starken Führer stecken dürfte, ist die Sehnsucht nach Entscheidungen und Problemlösungen. Und das ist etwas, das man den Bürgern nach diesem Jahr 2019 wirklich nicht verübeln kann. Denn mindestens seit Mai trifft die Politik in diesem Land keine Entscheidungen mehr und löst keine Probleme, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit sich selbst.
Besonders augenfällig ist dies bei der SPÖ, die in ihrer hingebungsvollen Selbstbespiegelung längst vergessen zu haben scheint, dass es auch noch eine Welt dort draußen gibt. Aber ist die übrige Politik viel anders? Seit Mai, seit dem Auftauchen des IbizaVideos, gibt es keine anderen Themen als: die schmutzigen Fußnägel einer falschen Oligarchennichte, das Ruderleiberl des Vizekanzlers, den Inhalt seiner Sporttasche, den „Pfötchenpunsch“seiner Gattin, die Flinte im Porsche eines SPÖ-Landesobmanns, die Gemälde im Porsche des SPÖ-Bundesgeschäftsführers, den Daumen im Posting eines ÖVP-Finanzministers, geschredderte Festplatten …
All das bringt Quote und wird ausführlichst besprochen. Was ist mit der Pflegeproblematik, der Bildungsmisere, der Migrationsfrage, dem besorgniserregenden Zustand von Innenministerium, Bundesheer und Justiz? – Fehlanzeige. Alles nicht so lustig wie die nächste Volte im Politzirkus!
Es wird zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Regierung zählen, die Öffentlichkeit wieder mit den wahren Problemen des Landes vertraut zu machen und wieder für mehr Ernsthaftigkeit in der Politik zu sorgen. Denn das sollte als Präambel jeglichem Demokratiebefund vorangestellt werden: Politik ist das ernsthafte Bemühen um die bestmögliche Gestaltung der Zukunft, kein Ganzjahresfasching.