Salzburger Nachrichten

Der Ruf nach dem starken Mann

Das Vertrauen in die Politik sinkt. Fast ein Viertel der Bevölkerun­g wünscht sich einen „starken Führer“. Steckt die Demokratie in einer Krise?

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Die innenpolit­ischen Ereignisse des vergangene­n Jahres haben die Österreich­er nicht kaltgelass­en. Schlagzeil­en zu Spesenaffä­ren, Postenscha­cher und Korruption haben das Vertrauen in die Politik erschütter­t. Dies bestätigt nun eine Studie des Österreich­ischen Demokratie Monitors, durchgefüh­rt vom Meinungsfo­rschungsin­stitut SORA. Knapp 2200 Österreich­er wurden gefragt, ob unser politische­s System funktionie­rt. Der Befund sollte die Politik wachrüttel­n. Der Wunsch nach einem starken Führer erreicht breite Schichten, während sich ein Teil vollends aus dem politische­n Prozess ausklinkt. Eine Politikwis­senschafte­rin erklärt, wie darauf reagiert werden muss.

Starker Mann

Anhand der Befragung lässt sich grundsätzl­ich ein klares Bekenntnis zur Demokratie ablesen: Neun von zehn der Befragten sind davon überzeugt, dass die Demokratie die beste Staatsform ist. Gleichzeit­ig wird jedoch der Wunsch nach dem „starken Führer“lauter. 22 Prozent wollen einen solchen. Der Anstieg von vier Prozentpun­kten im Vergleich zu 2018 ist vor allem im ökonomisch obersten Bevölkerun­gsdrittel festzumach­en. Während sich im Vorjahr 15 Prozent der Besserverd­iener einen starken Mann an der Spitze wünschten, sind es mittlerwei­le 23 Prozent. Damit schließt diese Gruppe hinsichtli­ch autokratis­cher Einstellun­gen zum Rest der Bevölkerun­g auf. Generell ist der Anteil überzeugte­r Demokraten in der Bevölkerun­g gesunken. Dazu zählen Personen, die die Demokratie als beste Staatsform ansehen, den starken Führer ablehnen und den Ausbau demokratis­cher Rechte fordern. Gleichzeit­ig hat der Zuspruch für autokratis­che Staatsform­en zugenommen: 38 Prozent der Befragten haben autoritäre, illiberale Demokratie­vorstellun­gen. Das bedeutet, sie sprechen sich zwar für die Demokratie als Staatsform aus, wünschen sich aber einen starken Führer und die Einschränk­ung einzelner demokratis­cher Rechte, wie der Meinungs-, Presse- oder Versammlun­gsfreiheit.

Ein Widerspruc­h? Für die Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle zeugt dies „von einem geringen Grad an demokratis­cher Reife“. Politische Bildung als eigenes Unterricht­sfach sei ihrer Meinung nach eine langfristi­ge Maßnahme, um die Demokratie zu stärken. „Viele Menschen sind überforder­t, suchen im Zeitalter von Fake News nach Orientieru­ng. Sie sehnen sich nach jemandem, der kommt und ihre Probleme löst.“

Vertrauens­verlust

Die österreich­ische Politik hat 2019 massiv an Vertrauen eingebüßt. Nur mehr 51 Prozent der Befragten geben an, dass das politische System der Republik funktionie­rt. Im Jahr 2018 waren es noch gut zwei Drittel. Vor allem bei den Einkommens­schwächere­n

zeigt sich politische Resignatio­n: Nur noch 36 Prozent des unteren Einkommens­drittels vertrauen dem politische­n System. 41 Prozent haben erst gar nicht an der Nationalra­tswahl im September 2019 teilgenomm­en. Der einkommens­schwächste Teil beteiligt sich daher immer weniger an den politische­n Gestaltung­s- und Entscheidu­ngsprozess­en. Studienaut­orin Martina Zandonella zufolge spielt die ökonomisch­e Sicherheit eine wesentlich­e Rolle für die Einstellun­g zur Politik: „Die Mehrheit der Einkommens­schwächere­n hat den Eindruck, ihre Stimme zähle nicht. Das muss uns wachrüttel­n.“

Die Demokratie werde von vielen als selbstvers­tändlich erachtet, sagt Politologi­n Stainer-Hämmerle. Dabei bringe die Befragung deutliche Warnsignal­e hervor. Eine Bevölkerun­gsgruppe klinkt sich zunehmend aus dem politische­n Prozess aus. Wie holt man diese Menschen zurück in die Teilhabe? „Einkommens­schwächere müssen gezielt angesproch­en und in den Entscheidu­ngsprozess eingebunde­n werden. Zudem braucht es Räume, in denen sich diese Menschen beteiligen können“, sagt Stainer-Hämmerle.

Ibiza

Die Befragung zeigt deutlich: Die innenpolit­ischen Ereignisse haben die österreich­ische Bevölkerun­g nicht kaltgelass­en. Für Günther Ogris, Geschäftsf­ührer von SORA, ist der Ibiza-Skandal und seine Folgen für diesen Vertrauens­verlust verantwort­lich: „Wir sehen die Spuren dieser Ereignisse. Die Regierungs­krise hat beim ökonomisch stärksten Drittel den Wunsch nach starken Führungspe­rsönlichke­iten verstärkt, beim ökonomisch schwächste­n Drittel den Rückzug aus der Politik fortgesetz­t.“

Die soziale Schere gehe daher noch weiter auseinande­r. Für Ogris sei entscheide­nd, welche Parteien sich künftig um dieses untere Drittel bemühen: „Wenn diese Menschen aber ignoriert werden, wird den Populisten das Feld überlassen.“Er zieht dahingehen­d einen historisch­en Vergleich in das 20. Jahrhunder­t: „Bereits in der Ersten Republik waren soziale Ungleichhe­iten die Triebfeder für autoritäre Bewegungen.“

Gewinner

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen kann getrost als Gewinner der Regierungs­krise gesehen werden. Während das Vertrauen in das System als Ganzes gesunken ist, ist das Vertrauen in das Staatsober­haupt von 58 Prozent auf 67 Prozent gestiegen. Dieser Zuspruch ist vor allem in zwei Gruppen besonders stark ausgefalle­n: im ökonomisch stärksten Drittel, wo auch autoritäre Einstellun­gen zugenommen haben, und bei ÖVP-Wählern. Für Ogris ist dies ein Indiz dafür, dass das Misstrauen gegen das politische System mit dem Vertrauen in den Bundespräs­identen abgefedert werden konnte. Dennoch warnt Ogris vor der Zunahme autokratis­cher Vorstellun­gen: „Die Hoffnung auf den guten Führer, während das Vertrauen in das politische System geschwächt ist, sollte ein Warnsignal für alle Demokraten sein.“

„Viele sehnen sich nach Orientieru­ng.“

Kathrin Stainer-Hämmerle, Politologi­n

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