Eugen Freund und der Versuch, nicht unterzugehen
Die Konkurrenz schläft nie im EU-Parlament. Wie man es dennoch schafft, zu 20 Sekunden Ruhm zu kommen? Mit einem Gedicht über den Brexit.
Fünf Jahre lang war Eugen Freund für die SPÖ im EU-Parlament. Nun, ein halbes Jahr nach seinem Ausscheiden, kam er noch einmal zurück nach Brüssel, um sein Buch zu präsentieren. Es trägt den Titel „Haben schon alle abgestimmt?“und bietet Einblicke in den Alltag eines EU-Abgeordneten. Zu den unterhaltsamsten Teilen des Buchs gehören Freunds Schilderungen vom Kampf um Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit. „Auffallen, um nicht unterzugehen“, so beschreibt er die Strategie treffend. Die Konkurrenz ist groß, 750 Kolleginnen und Kollegen aus 28 Staaten drängen ebenfalls ins Rampenlicht. Also heißt es, besonders kreativ zu sein: Aber was nützt die beste Idee für eine Rede, wenn man erst kurz vor Mitternacht an die Reihe kommt und alle Beobachter und Journalisten längst weg sind? So geschehen in einer Debatte über die Verfolgung von Journalisten in der Türkei. Freund, selbst gelernter Journalist, hatte sich die Namen inhaftierter türkischer Kollegen besorgt und sie – nicht ohne vorher die Aussprache zu üben – vorgelesen. Ein eindringliches Statement.
Freund war viele Jahre ORF-Auslandskorrespondent und vor dem Ausflug in die Politik Moderator der „Zeit im Bild“. Das im Beruf erworbene Handwerkszeug nutzte er und produzierte ein Mal pro Woche ein Video, in dem er berichtete, was sich so tat in Brüssel und Straßburg. Maximal ein- bis zweihundert Klicks erntete er pro Beitrag im Internet.
Ein Video jedoch ging durch die Decke und verschaffte Freund seine „20 Sekunden Ruhm“, wie er schreibt. Als Mitglied des außenpolitischen Ausschusses hatte er seine Gedanken zum Brexit auf Englisch in ein launiges Gedicht verpackt.
Es begann so: „A Brexit is, to put it simple, not like an ordinary pimple.“Der Brexit sei also nicht einfach ein Pickel, den man nach kurzer Zeit loswird, sondern viel hartnäckiger und komplexer. Es endete damit, dass der prominente britische Komödiant John Oliver das Brexit-Gedicht am 20. Juni 2016 in seiner TV-Sendung zeigte. Und Freund so zu einem großen Publikum verhalf.
Kein Wunder nach dieser Resonanz, dass der Abgeordnete auch zum Abschied aus dem EU-Parlament wieder auf Selbstgereimtes zurückgriff. Für sein auf Englisch vorgetragenes Gedicht am allerletzten Sitzungstag erhielt er teils stehenden Applaus.
Übertroffen wurde er dennoch: vom ehemaligen slowenischen Regierungschef Lojze Peterle. „Da kannte dann die Begeisterung im Saal keine Grenzen mehr“, erinnert sich Freund. Peterle nämlich hatte die Europahymne auf der Mundharmonika gespielt. Man sieht: Die Konkurrenz schläft nie im Europäischen Parlament.