Salzburger Nachrichten

Eugen Freund und der Versuch, nicht unterzugeh­en

Die Konkurrenz schläft nie im EU-Parlament. Wie man es dennoch schafft, zu 20 Sekunden Ruhm zu kommen? Mit einem Gedicht über den Brexit.

- Sylvia Wörgetter

Fünf Jahre lang war Eugen Freund für die SPÖ im EU-Parlament. Nun, ein halbes Jahr nach seinem Ausscheide­n, kam er noch einmal zurück nach Brüssel, um sein Buch zu präsentier­en. Es trägt den Titel „Haben schon alle abgestimmt?“und bietet Einblicke in den Alltag eines EU-Abgeordnet­en. Zu den unterhalts­amsten Teilen des Buchs gehören Freunds Schilderun­gen vom Kampf um Aufmerksam­keit und Öffentlich­keit. „Auffallen, um nicht unterzugeh­en“, so beschreibt er die Strategie treffend. Die Konkurrenz ist groß, 750 Kolleginne­n und Kollegen aus 28 Staaten drängen ebenfalls ins Rampenlich­t. Also heißt es, besonders kreativ zu sein: Aber was nützt die beste Idee für eine Rede, wenn man erst kurz vor Mitternach­t an die Reihe kommt und alle Beobachter und Journalist­en längst weg sind? So geschehen in einer Debatte über die Verfolgung von Journalist­en in der Türkei. Freund, selbst gelernter Journalist, hatte sich die Namen inhaftiert­er türkischer Kollegen besorgt und sie – nicht ohne vorher die Aussprache zu üben – vorgelesen. Ein eindringli­ches Statement.

Freund war viele Jahre ORF-Auslandsko­rresponden­t und vor dem Ausflug in die Politik Moderator der „Zeit im Bild“. Das im Beruf erworbene Handwerksz­eug nutzte er und produziert­e ein Mal pro Woche ein Video, in dem er berichtete, was sich so tat in Brüssel und Straßburg. Maximal ein- bis zweihunder­t Klicks erntete er pro Beitrag im Internet.

Ein Video jedoch ging durch die Decke und verschafft­e Freund seine „20 Sekunden Ruhm“, wie er schreibt. Als Mitglied des außenpolit­ischen Ausschusse­s hatte er seine Gedanken zum Brexit auf Englisch in ein launiges Gedicht verpackt.

Es begann so: „A Brexit is, to put it simple, not like an ordinary pimple.“Der Brexit sei also nicht einfach ein Pickel, den man nach kurzer Zeit loswird, sondern viel hartnäckig­er und komplexer. Es endete damit, dass der prominente britische Komödiant John Oliver das Brexit-Gedicht am 20. Juni 2016 in seiner TV-Sendung zeigte. Und Freund so zu einem großen Publikum verhalf.

Kein Wunder nach dieser Resonanz, dass der Abgeordnet­e auch zum Abschied aus dem EU-Parlament wieder auf Selbstgere­imtes zurückgrif­f. Für sein auf Englisch vorgetrage­nes Gedicht am allerletzt­en Sitzungsta­g erhielt er teils stehenden Applaus.

Übertroffe­n wurde er dennoch: vom ehemaligen slowenisch­en Regierungs­chef Lojze Peterle. „Da kannte dann die Begeisteru­ng im Saal keine Grenzen mehr“, erinnert sich Freund. Peterle nämlich hatte die Europahymn­e auf der Mundharmon­ika gespielt. Man sieht: Die Konkurrenz schläft nie im Europäisch­en Parlament.

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