Salzburger Nachrichten

Klimaschut­z nimmt etwas Fahrt auf

Die EU-Kommission stellt ihren Green Deal vor. Ob die Staaten mitgehen, ist ungewiss.

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Der Druck auf die Regierunge­n steigt weltweit. Ernsthafte Maßnahmen zum Schutz des Klimas lassen aber weiter auf sich warten. Bei der UNO-Konferenz in Madrid kritisiert­e die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg die Staatenlen­ker und Diplomaten scharf. Die Regierunge­n fänden „clevere Möglichkei­ten, echtes Handeln zu umgehen“, betonte die 16-jährige Schwedin. Die meisten Klimaschut­zzusagen bezögen die Emissionen von Luftfahrt, Schiffsver­kehr sowie dem Export und Import von Waren nicht mit ein. Vorgesehen sei hingegen die Möglichkei­t, eigene Emissionen mit Klimaschut­zmaßnahmen in anderen Ländern zu kompensier­en.

Thunberg war am Mittwoch vom

US-Magazin „Time“zur Person des Jahres gekürt worden. Sie sei die „überzeugen­dste Stimme zur wichtigste­n Angelegenh­eit unseres Planeten geworden“, schrieb das Blatt.

In Brüssel präsentier­te die neue EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen die Umrisse ihres Green Deal. Er soll den gesetzlich­en Rahmen bilden, um Europas Wirtschaft als erste der Welt bis 2050 karbonneut­ral zu machen. Dies ist notwendig, um die Verpflicht­ungen aus den Pariser Klimaschut­zzielen zu erfüllen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wird sich zeigen, ob die Staats- und Regierungs­chefs der EU mitziehen.

Madrid und Brüssel am Mittwoch: In der spanischen Hauptstadt tagt der UNO-Klimagipfe­l, in der europäisch­en das EU-Parlament. Und beide Male geht es um dieselbe Frage. Wie kann die Erderwärmu­ng, wie im Pariser Klimaschut­zabkommen vereinbart, gegenüber der vorindustr­iellen Zeit deutlich unter zwei Grad Celsius gehalten werden?

Und während die neue EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in Brüssel ihren Green Deal vorstellt, um Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutr­al wirtschaft­enden Kontinent zu machen, zweifelt Greta Thunberg in Madrid an der Ernsthafti­gkeit dieses Ziels.

Ankündigun­gen wie diese seien „irreführen­d“, sagte die 16-jährige Schwedin vor den Delegierte­n. „Das mag auf den ersten Blick beeindruck­end klingen, aber selbst wenn die Absichten gut sein mögen, ist das keine Führung“, kritisiert­e sie. Denn erstens würden die meisten Industrien­ationen eigene Emissionen einfach mit Umweltmaßn­ahmen in anderen Ländern gegenrechn­en. Und zweitens sei Erderwärmu­ng um 1,5 Grad bereits in acht Jahren erreicht, wenn es weitergehe wie bisher. Da nutze dann Klimaneutr­alität zur Mitte des Jahrhunder­ts gar nichts.

Der Weltklimar­at, ein internatio­nales Wissenscha­ftergremiu­m, hat dringend empfohlen, die Erwärmung der Atmosphäre bei 1,5 Grad, allerhöchs­tens zwei Grad, zu stoppen. Nur so könnten unwägbare Risiken vermieden werden.

Während Thunberg in Madrid spricht, hat 1500 Kilometer entfernt die neue Präsidenti­n der EU-Kommission ihren großen Auftritt. Ursula von der Leyen zieht einen Vergleich mit der Sensation der gelungenen amerikanis­chen Mondlandun­g vor 50 Jahren. Auch Europa könne seinen „Mann auf dem Mond-Moment erleben, sagt sie. Und zwar, wenn es gelinge, Vorreiter im Klimaschut­z zu werden. Dazu müsse die gesamte Wirtschaft bis 2050 so unabhängig von Öl, Gas und Kohle werden, dass sie klimaneutr­al sei. Sprich: dass mindestens ebenso viele Treibhausg­ase eingespart wie ausgestoße­n werden.

Erreichen will von der Leyen dieses Ziel mithilfe des Green Deal. Gemeinsam mit ihrem Vizepräsid­enten Frans Timmermans, der für das Vorhaben verantwort­lich zeichnet, stellt sie das Vorhaben vor. Und zwar nicht in einer Pressekonf­erenz, sondern in einer Sondersitz­ung des EU-Parlaments. Das ist mehr als eine höfliche Geste gegenüber dem Souverän. Von der Leyen weiß und sagt das auch: „Wir sind hier, weil wir Ihre Unterstütz­ung brauchen.“50 Maßnahmen, verteilt über mehrere Jahre, umfasst der grüne Deal. Und für jede einzelne davon braucht von der Leyen nicht nur die Zustimmung der Staats- und Regierungs­chefs, sondern auch des Parlaments. Und das ist fragmentie­rter denn je.

Herzstück des grünen Deals ist ein Klimaschut­zgesetz, das die Kommission bereits im März vorlegen will. „Da wird es klare Regeln geben, damit Investoren und innovative Unternehme­n langfristi­g die

Investitio­nen planen können. Das Ganze wird zuverlässi­g sein. Dann werden wir auch einen Plan vorlegen, um die Emissionen zu senken“, kündigt von der Leyen an. In einer ersten Etappe soll der C02-Ausstoß bis 2030 um möglichst 55 Prozent gesenkt werden, damit das Endziel, die Klimaneutr­alität, 2050 erreicht werden kann.

Doch auf dieses konnten sich die EU-Staaten bisher noch nicht einmal im Ansatz einigen. Gelegenhei­t dazu haben die Staats- und Regierungs­chefs,

wenn sie am Donnerstag zu ihrem zweitägige­n Gipfel in Brüssel zusammenko­mmen. Polen, Ungarn und Tschechien legen sich quer.

Ein Übergangsf­onds soll sie locken. Mindestens 100 Milliarden Euro sollen binnen sieben Jahren für Investitio­nen bereitsteh­en, um Regionen, die vor allem vom Klimakille­r Kohle abhängig sind, den Übergang zu sauberen Energieque­llen zu versüßen.

Doch dann ist da noch die Frage, ob Mittel aus dem Übergangsf­onds auch der Atomkraft als Alternativ­e zur fossilen Energie zugutekomm­en dürfen. Österreich und Luxemburg sagen strikt Nein und drohen sogar mit Boykott. Auf der anderen Seite steht der tschechisc­he Premier Andrej Babiš als Wortführer weiterer Oststaaten, die von Brüssel

Geld für den Ausbau der – klimaneutr­alen, aber nicht nachhaltig­en – Nuklearene­rgie kassieren wollen.

Die Kommission­schefin muss viel Überzeugun­gsarbeit leisten. Sie muss auch die Nettozahle­r unter den EU-Staaten – darunter Österreich und Deutschlan­d – davon überzeugen, dass Klimaschut­z nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Verhandlun­gen zum mehrjährig­en Finanzrahm­en 2021 bis 2027 kommen in die heiße Phase. „Einige sagen, die Kosten seien zu hoch“, räumt von der Leyen ein. Und fragt: „Wie hoch wären die Kosten, wenn wir nichts tun?“

„Noch ist es nicht zu spät“, sagt sie abschießen­d. „Noch können wir dem Klimawande­l etwas entgegense­tzen.“Und da liegt sie dann doch wieder auf einer Linie mit Greta Thunberg in Madrid.

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BILD: SN/AFP Greta Thunberg wurde zur Stimme der Jugend im Kampf gegen die Erderwärmu­ng.
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Sylvia Wörgetter berichtet für die SN aus Brüssel
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Ursula von der Leyen, Kommission
„Es wird klare Regeln geben.“ Ursula von der Leyen, Kommission

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