Das ewige Dilemma eines liberalen Rechtsstaates
Die Höchstrichter stoppen große Teile des türkis-blauen Sicherheitspakets. Eine Debatte über staatliche Überwachung ist trotzdem weiterhin notwendig.
Wie sehr darf ein liberaler Staat im Kampf gegen seine Feinde die Freiheiten seiner Bürger einschränken? Diese Frage stellt sich immer dann, wenn es um die Ausweitung der Kompetenzen für die Polizei geht. So wurde im Jahr 2018 aus Sicht der damaligen ÖVPFPÖ-Regierung ein notwendiges „Sicherheitspaket“und aus Sicht der damaligen Opposition ein problematisches „Überwachungspaket“beschlossen. Die Frage, ob die Polizei mit Spionagesoftware („Bundestrojaner“) verschlüsselte Kommunikationsdienste wie WhatsApp auslesen darf oder mittels Kameras bald auch Bilder von Autolenkern automatisch erfassen und speichern darf, wurde nun vom Verfassungsgerichtshof mit Nein beantwortet. Der Schutz der persönlichen Daten und das Recht auf Privatleben wiegen laut Höchstgericht schwerer als die Überwachungsmaßnahmen zur Strafverfolgung. Vor allem weil auch Bürger betroffen wären, gegen die gar nicht ermittelt wird.
Die Hüter der Verfassung haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Das ist gut so. Die Diskussion darüber, wie weit der Staat in die Freiheit seiner Bürger eingreifen darf, muss sorgfältig geführt werden. Überstürzte Entscheidungen haben hier nichts verloren. Die türkis-blauen Maßnahmen waren zum Teil offenbar überstürzt. Das zeigte sich bereits bei der mündlichen Höchstgerichtsverhandlung im Juni. Regierungsvertreter wollten einen Missbrauch der Überwachungsmöglichkeiten mit Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit in Abrede stellen. Die Frage, wo die beginnt und wo sie endet, blieb unbeantwortet. Aber genau bei solchen heiklen Grundrechtsfragen müssen die Grenzen klar definiert, abgesteckt und einbetoniert werden. Unverrückbar.
Die Höchstrichter haben nun die Grenzen gesetzt. Aber natürlich gibt es dabei einen gewaltigen Haken. Terroristen und organisierte Verbrecherbanden halten sich nicht an die Regeln, die sich der Rechtsstaat selbst auferlegt. Kann sich der Staat erlauben, den technischen Möglichkeiten seiner Feinde hinterherzuhecheln? Nein. Es wird deshalb nicht das letzte Gesetzespaket gewesen sein, das die Sicherheitsbehörden aktualisieren wollen und das damit wohl auch mehr Überwachung bringen wird. Das ist in einer digitalisierten Gesellschaft auch nötig. Dann muss die Grenzlinie unter den wachsamen Augen der Höchstrichter neu verhandelt und nach sorgfältiger Diskussion neu gezogen werden. Unverrückbar. Bis zum nächsten Mal. Das ist das Dilemma des Rechtsstaates. Das macht ihn aus.