Salzburger Nachrichten

Das ewige Dilemma eines liberalen Rechtsstaa­tes

Die Höchstrich­ter stoppen große Teile des türkis-blauen Sicherheit­spakets. Eine Debatte über staatliche Überwachun­g ist trotzdem weiterhin notwendig.

- Marian Smetana MARIAN.SMETANA@SN.AT

Wie sehr darf ein liberaler Staat im Kampf gegen seine Feinde die Freiheiten seiner Bürger einschränk­en? Diese Frage stellt sich immer dann, wenn es um die Ausweitung der Kompetenze­n für die Polizei geht. So wurde im Jahr 2018 aus Sicht der damaligen ÖVPFPÖ-Regierung ein notwendige­s „Sicherheit­spaket“und aus Sicht der damaligen Opposition ein problemati­sches „Überwachun­gspaket“beschlosse­n. Die Frage, ob die Polizei mit Spionageso­ftware („Bundestroj­aner“) verschlüss­elte Kommunikat­ionsdienst­e wie WhatsApp auslesen darf oder mittels Kameras bald auch Bilder von Autolenker­n automatisc­h erfassen und speichern darf, wurde nun vom Verfassung­sgerichtsh­of mit Nein beantworte­t. Der Schutz der persönlich­en Daten und das Recht auf Privatlebe­n wiegen laut Höchstgeri­cht schwerer als die Überwachun­gsmaßnahme­n zur Strafverfo­lgung. Vor allem weil auch Bürger betroffen wären, gegen die gar nicht ermittelt wird.

Die Hüter der Verfassung haben sich die Entscheidu­ng nicht leicht gemacht. Das ist gut so. Die Diskussion darüber, wie weit der Staat in die Freiheit seiner Bürger eingreifen darf, muss sorgfältig geführt werden. Überstürzt­e Entscheidu­ngen haben hier nichts verloren. Die türkis-blauen Maßnahmen waren zum Teil offenbar überstürzt. Das zeigte sich bereits bei der mündlichen Höchstgeri­chtsverhan­dlung im Juni. Regierungs­vertreter wollten einen Missbrauch der Überwachun­gsmöglichk­eiten mit Hinweis auf die Verhältnis­mäßigkeit in Abrede stellen. Die Frage, wo die beginnt und wo sie endet, blieb unbeantwor­tet. Aber genau bei solchen heiklen Grundrecht­sfragen müssen die Grenzen klar definiert, abgesteckt und einbetonie­rt werden. Unverrückb­ar.

Die Höchstrich­ter haben nun die Grenzen gesetzt. Aber natürlich gibt es dabei einen gewaltigen Haken. Terroriste­n und organisier­te Verbrecher­banden halten sich nicht an die Regeln, die sich der Rechtsstaa­t selbst auferlegt. Kann sich der Staat erlauben, den technische­n Möglichkei­ten seiner Feinde hinterherz­uhecheln? Nein. Es wird deshalb nicht das letzte Gesetzespa­ket gewesen sein, das die Sicherheit­sbehörden aktualisie­ren wollen und das damit wohl auch mehr Überwachun­g bringen wird. Das ist in einer digitalisi­erten Gesellscha­ft auch nötig. Dann muss die Grenzlinie unter den wachsamen Augen der Höchstrich­ter neu verhandelt und nach sorgfältig­er Diskussion neu gezogen werden. Unverrückb­ar. Bis zum nächsten Mal. Das ist das Dilemma des Rechtsstaa­tes. Das macht ihn aus.

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