„Eine wichtige Grenze der Rechtsstaatlichkeit“Ein Grundrechts experte erklärt die Entscheidung des Höchst gerichts
Der Datenschützer Christof Tschohl hat gemeinsam mit dem Anwalt Ewald Scheucher für den Bundesrat die VfGH-Beschwerde verfasst. Er erklärt, wie ein vernünftiges Sicherheitspaket aussehen müsste.
SN: Waren die vom Höchstgericht gekippten türkisblauen Gesetzesvorhaben ein Überwachungs- oder ein Sicherheitspaket? Christof Tschohl: Aus unserer Sicht ein klares Überwachungspaket, weil nicht erkennbar war, inwieweit es mehr Sicherheit gegeben hätte. Mehr Überwachung aber auf jeden Fall.
SN: Warum sehen Sie die Entscheidung des VfGH als Erfolg? Weil eine extrem wichtige Grenze der Rechtsstaatlichkeit eingezogen wurde. Der VfGH hat etwa festgestellt, dass bei solchen tiefen und breit gestreuten Eingriffen in die Grundrechte der Rechtsschutz durch einen Richter nicht ausreicht. Es müsste eine Kontrollinstanz geben, die technisch und personell so ausgestattet ist, dass die Rechtmäßigkeit der Überwachung überprüft werden kann. Das ist aus unserer Sicht eine extrem wichtige Entscheidung.
SN: Kann sich der Staat so strenge Regeln auferlegen, wenn es darum geht, Verbrecher zu erwischen? Der VfGH hat in der Gesamtschau entschieden, dass in diesem Fall das soziale Bedürfnis nach Sicherheit nicht schwer genug wiegt. Der Zweck heiligt also nicht die Mittel. Das Bedürfnis nach Strafverfolgung und die Schwere des Grundrechteeingriffs müssen abgewogen werden. Der VfGH spricht ja von einem besonders schweren Eingriff mit besonders großer Streubreite. Unserer Meinung nach ist es überhaupt infrage zu stellen, wie effektiv die angedachten Überwachungsmaßnahmen überhaupt bei der Bekämpfung von schweren Straftaten wären. Die Überwachungsbefürworter sind in der Argumentation bisher immer die Fälle schuldig geblieben, die man nur aufgrund solcher Maßnahmen gelöst oder gar verhindert hätte.
SN: Wie müsste ein vernünftiges Sicherheitspaket aussehen? Der Weg dorthin ist entscheidend. Wenn man bei solchen Gesetzen eine vernünftige Evaluierung machen würde, müsste das der VfGH nicht im Nachhinein reparieren. Einen konkreten Lösungsvorschlag zum Bundestrojaner: Man könnte, etwa auf EU-Ebene, mit den großen Chat-Anbietern über eine Möglichkeit sprechen, wie der Staat legal Chat-Verläufe einsehen könnte. Wie bei der Telefonüberwachung.
SN: Leben wir nicht bereits in einem Überwachungsstaat? Wir geben Google, Facebook und Co. nahezu alle persönlichen Infos. Warum soll der Staat das nicht dürfen? Das eine kann man nicht mit dem anderen aufwiegen. Nur weil im privaten Bereich unglaublich viele Rechtsverletzungen passieren, kann der Staat da nicht mitspielen. Aber: Ja, wir sind bereits in einem Überwachungsstaat. Aus diesem Grund muss man auch an beiden Fronten kämpfen.
Christof Tschohl ist als Jurist und IT-Experte wissenschaftlicher Leiter und Miteigentümer des Forschungsunternehmens „Research Institute – Digital Human Rights Center“.