Die Suche nach dem Vatermörder
Edward Norton verwirklicht seinen Langzeitwunsch: „Motherless Brooklyn“.
WIEN. „Wenn!“Ja, wenn nur. Wenn sie früher eingegriffen hätten, wenn Frank Minna nicht erschossen worden wäre. „Wenn!!“Privatdetektiv Lionel Essrog (gespielt von Edward Norton) versucht den Ausruf in der Armbeuge zu verstecken, wie einen Niesanfall. Er hat Tourette, er hat Tics, schreit Wörter und Reime, ohne es zu wollen, ohne es zu sollen, es ist ein Zustand, es macht den Umgang mit ihm anstrengend, andauernd entschuldigt er sich für seine Ausrufe. „Wenn!!!“Ja, wenn.
Es ist, im Grunde, der Ausruf aller Unglücklichen. Wenn nur. Wenn Lionel Essrog, den sein Boss Frank Minna „Motherless Brooklyn“nannte, doch nicht in einem Waisenhaus aufwachsen hätte müssen, weil seine Mutter ihn nicht mehr wollte. Wenn doch nur etwas anders gelaufen wäre.
Der Film ist seit fast 20 Jahren das Herzensprojekt von Edward Norton, und dessen erst zweiter Film, lang und detailverliebt und mit hinreißender Besetzung: Norton selbst in der Hauptrolle, Bruce Willis als sein väterlicher Boss, Michael K. Williams als Jazztrompeter, Alec Baldwin als machtgeiler Stadtplaner und Willem Dafoe als zwielichtiger Idealist, und natürlich eine schöne Frau (Gugu Mbatha-Raw).
Zu Beginn trifft sich Frank Minna, Inhaber einer kleinen Detektei, mit fragwürdigen Auftraggebern. Er bittet Lionel und einen zweiten Kollegen, den Termin diskret zu überwachen. Die beiden sind nicht schnell genug, Frank wird erschossen, wer die Auftraggeber waren, weiß niemand. Merkwürdigerweise interessiert es auch niemanden, weder Franks zynische Frau noch die Polizei noch die Kollegen.
„Motherless Brooklyn“ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jonathan Lethem. Norton verlegt die Handlung von den 90ern in die 50er-Jahre, was hervorragend funktioniert, wenn auch streckenweise sehr schwelgerisch.
Anrührend ist die geschwisterliche Zuneigung zwischen den kaputten Detektiven, dieser Bruderschaft der Staubmäntel, breiten Hutkrempen und hochgestellten Mantelkrägen, die einander umsorgen, wenn einer mit zerdroschenem Gesicht von einem Auftrag zurückkehrt. Der eigentliche Fall bleibt lang Nebensache, irgendwann entspinnt sich eine solide Noir-Handlung: „Motherless Brooklyn“ist reueloser Genuss für Genrefans. Nur der ThomYorke-Soundtrack, der soeben bei den Golden Globes nominiert wurde, wird irgendwann penetrant.
Film: