Bauen statt die Miete bremsen
Agenda Austria hat sich den österreichischen Wohnungsmarkt genauer angesehen und warnt vor weiteren gesetzlichen Eingriffen in den ohnehin schon stark regulierten Markt. Falsch, sagt die Arbeiterkammer.
WIEN. Mieten sind in Österreich seit 2005 im Durchschnitt um mehr als die Hälfte gestiegen. Am stärksten fiel die Verteuerung mit 63,9 Prozent in der Bundeshauptstadt aus. Mit einem Nettomietzins von durchschnittlich 5,90 Euro pro Quadratmeter sind Mietwohnungen in Wien – insbesondere für Altmieter – aber noch immer billig im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten und auch günstiger als in den westlichen Bundesländern. Am höchsten sind die Nettomieten in Vorarlberg, gefolgt von Salzburg und Tirol.
Dass Salzburg seit Jahren zu den teuersten Wohnpflastern gehöre, habe nicht zuletzt mit den hohen Preisen in der Landeshauptstadt zu tun, sagt Hanno Lorenz von Agenda Austria. Er hat für die Denkfabrik im Licht der wiederkehrenden Forderungen nach einer gesetzlichen Begrenzung der Mieten den heimischen Wohnmarkt analysiert. Darin kommt er zum Schluss, dass nur durch der Bau von mehr und günstigeren Wohnungen längerfristig die Situation entschärft werden kann.
Der Anstieg der Mieten habe alle Segmente betroffen, betont Lorenz, am stärksten aber frei vermietete, private Wohnungen, die nur elf Prozent des Markts ausmachen. Dort kletterte der Nettomietzins von 2009 bis 2018 um 48 Prozent, bei Genossenschaften um 31 Prozent und bei Gemeindewohnungen um 26 Prozent. Für die Steigerungen gibt es laut Agenda Austria viele Gründe – ganz abgesehen von den Niedrigzinsen, die Häuser und Grundstückspreise anheizen, weil Anleger auf „Betongold“setzen: die wachsende Bevölkerung, die vor allem in Ballungszentren drängt, höhere regulatorische Anforderungen bis zu steigenden Wohnansprüchen und um 20 Prozent höhere Baukosten als vor zehn Jahren. Hier sollte die Politik korrigieren, empfiehlt Agenda Austria, etwa durch beschleunigte Planungsverfahren, flexiblere Baunormen und bessere Anbindung der Städte an das Umland.
Die Lücke auf dem heimischen Wohnungsmarkt von 31.000 Einheiten (2018) sollte laut Oesterreichischer Nationalbank 2021 geschlossen sein – mit Ausnahme von Wien, wo der Zuzug drei Mal so stark war wie die Zahl der bewilligten Wohnungen. Generell decke das Angebot an meist teuren Neubauten aber nicht den Bedarf an günstigem Wohnraum, sagt Lorenz.
Er warnt vor weiteren Eingriffen in den ohnehin schon stark regulierten Wohnungsmarkt, gerade in Wien. „Es heißt immer, das ist Marktversagen. Das stimmt nicht, es ist Politikversagen“, argumentiert der Ökonom. Kein Instrument werde in wissenschaftlichen Studien als unbestritten schlecht beurteilt wie die Mietpreisbremse. Sie bringe keine Entspannung auf dem Markt, sondern „Ausweichreaktionen“. Außerdem zeige sich, dass eingesessene Mieter von Preisobergrenzen profitieren, Wohnungssuchende aber verlieren. Langfristig schade sie sogar dem Ziel, angemessenen Wohnraum bereitzustellen.
„Stimmt nicht“, kontert Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer. Langfristig schade ein Mietdeckel Spekulanten und verhindere Wuchermieten. Für die Bevölkerung gebe es nur Vorteile. Auch das Argument, wonach Vermieten unattraktiv werde, sei durch die Mietzinsbegrenzung für Neuvermietungen in den 1980er-Jahren „historisch entkräftet“. Denn damals seien sehr viel Altbauwohnungen auf den Markt gekommen.
Die Arbeiterkammer fordert seit Langem eine Ausweitung der für
Gebäude, die vor 1945 bzw. 1953 gebaut wurden, geltenden Richtwertmietzinse. Nur Gebäude, die jünger als 30 Jahre und frei finanziert sind, sollten ausgenommen werden, sagt AK-Experte Rosifka. So ließe sich das vorhandene Kapital in Richtung Neubau umleiten statt in die Sanierung bestehender Häuser, durch die kaum neuer Wohnraum entstehe und nur die Preise erhöht würden. Zusätzlich sollten, wie seit März in Wien der Fall, Umwidmungen stärker an geförderten Wohnbau geknüpft werden. „Die Frage ist nicht, ob es genug Wohnungen gibt, sondern ob es genügend Wohnungen gibt, die sich die Menschen leisten können“, so Rosifka. Wenig kann er auch einer anderen Idee von Agenda Austria abgewinnen. Sie schlägt vor, Gemeindewohnungen an lang dort lebende Mieter zu verkaufen und mit den Einnahmen neue zu schaffen. Das würde das Angebot an Sozialwohnungen reduzieren.
„Es stimmt nicht, dass es Marktversagen ist, es ist Politikversagen.“Hanno Lorenz, Agenda Austria