Salzburger Nachrichten

Ärzte bestreiten Schuldan Davids Tod

Den Angeklagte­n wird grob fahrlässig­e Tötung vorgeworfe­n. Die Eltern gehen vor allem mit dem Anästhesis­ten hart ins Gericht: Ihr Sohn hätte nicht operiert werden dürfen.

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„David ist die Liebe unseres Lebens. Und es tut so weh, dass er nicht mehr da ist.“

Die Mutter des kleinen David erinnerte sich am Mittwochna­chmittag im Gerichtssa­al an den Abend des 16. April 2018. Sie war als Zeugin geladen. Ein 58-jähriger Kinderchir­urg und ein 47-jähriger Anästhesis­t mussten sich wegen grob fahrlässig­er Tötung verantwort­en.

Die Eltern waren mit dem 17 Monate alten Kind wegen einer blutenden Wunde auf der rechten Wange ins Salzburger Unikliniku­m gefahren. Dort stellten die Ärzte einen Blutschwam­m fest. Und entschiede­n, gleich zu operieren. Dass das Kind eine Stunde zuvor noch gegessen hatte, also nicht nüchtern war, werteten die Mediziner als nicht problemati­sch. David atmete unter Narkose Erbrochene­s ein, das Gehirn war mit Sauerstoff unterverso­rgt. Elf Tage nach dem an sich harmlosen Eingriff starb David.

Unter Tränen schilderte die Frau die Ereignisse. „Die Blutung war überhaupt kein Thema“, sagte sie. „Ums Verbluten ist es nie gegangen“, meinte auch Davids Vater. Dennoch hätten die Ärzte „über uns bestimmt“, das Kind gleich zu operieren, obwohl ihr Lebensgefä­hrte und sie noch einmal darauf hingewiese­n hätten, „dass David gerade gegessen hat“, schilderte die 36-Jährige. „Die Nüchternhe­it tut nichts zur Sache. Da kann nichts sein. Das dauert eh nur ein paar Minuten“, sei die Antwort gewesen.

Aus Minuten wurden Stunden. „Es ist neun geworden und ich habe mir gedacht, gleich haben wir den David wieder“, sei ihr durch den Kopf gegangen, als sie mit ihrem Lebensgefä­hrten die gewöhnlich wenige Minuten dauernde OP abwartete. Als ein Alarm losging, Personal durch den Gang eilte, sei sie „total unruhig geworden“. Erst kurz nach Mitternach­t sei der Anästhesis­t gekommen, um sie aufzukläre­n. Die ersten Worte seien gewesen: „Das Gute ist, dass euer Sohn nicht tot ist“, erinnerte sich die Frau. Für sie sei der 47-Jährige „der Mörder von David“. Der Beschuldig­te nahm das stoisch zur Kenntnis. Richterin Gabriele

Glatz appelliert­e an die Zeugin, sachlich zu bleiben.

Die beiden Angeklagte­n hatten zuvor in ihren Einvernahm­en den Vorwurf zurückgewi­esen, grob fahrlässig gehandelt zu haben.

Helmut Hüttinger, der Anwalt des Kinderchir­urgen, sprach von einem Fall, der bei seinem Mandanten „ganz tiefe Betroffenh­eit ausgelöst hat“. Es gehe nicht darum, „etwas zu vertuschen, etwas schönzured­en“, die vorgeworfe­ne grobe Fahrlässig­keit entbehre aber jeder Grundlage. Der Angeklagte erklärte, er habe die Blutung mit konvention­ellen Methoden zu stoppen versucht. Als dies nicht funktionie­rte und das Kind sehr unruhig gewesen sei, habe er den Anästhesis­ten zurate gezogen. „Ich habe nie gesagt, dass wir das sofort operieren müssen“, meinte der Chirurg. „Er hat gesagt, wir können das gleich machen. Ich muss zugeben: Ich habe nicht Nein gesagt.“Auf die Frage der Richterin, ob ihm Risiken bekannt sind, wenn Patienten während der Narkose nicht nüchtern sind, antwortete er: „Natürlich ist bekannt, dass es während einer Narkose zum Erbrechen kom

men kann. Aber das ist Sache der Anästhesie.“

Der Facharzt, der nach seiner Suspendier­ung durch die Salzburger Landesklin­iken (SALK) laut eigenen Angaben bei der Gebietskra­nkenkasse untergekom­men ist, verwies auch auf seine 27-jährige Erfahrung in der Kinderchir­urgie der SALK, wo die sogenannte Sedoanalge­sie (Narkosever­fahren, das zu einer Art Dämmerschl­af führt) laufend bei Kindern durchgefüh­rt worden war – auch dann, wenn die Patienten nicht nüchtern gewesen seien. Zu einer Aspiration (Eindringen von Erbrochene­m in die Atemwege) sei es dabei nie gekommen.

Martin Schuppich, Anwalt des Zweitangek­lagten, sprach von „großem Respekt und Betroffenh­eit“gegenüber den Angehörige­n. Auch er bestritt eine grobe Fahrlässig­keit seines Mandanten. „Es ist versucht worden, mit aller Sorgfalt vorzugehen.“Der Anästhesis­t widersprac­h der Darstellun­g, er habe den OP-Termin festgelegt. „Für den Zeitpunkt der Operation ist der Chirurg verantwort­lich.“Dass man nicht zugewartet habe, bis das Kind nüchtern sei, sei „retrospekt­iv ein Fehler“. Der 47-Jährige sprach aber von einer „Risikoabwä­gung“. Einerseits habe die Möglichkei­t bestanden, dass der Bub während des Eingriffs Erbrochene­s verschluck­t. Anderersei­ts habe die Wunde nicht zu bluten aufgehört – der Arzt berichtete von zwei größeren Blutlachen, die sich bei seinem Eintreffen im Behandlung­sraum auf dem Boden gebildet hätten. In seinen bisherigen Aussagen war davon nie die Rede gewesen. Eine damals diensthabe­nde Assistenzä­rztin, die den Buben zunächst im Spital untersucht hatte, widersprac­h als Zeugin in der Verhandlun­g dieser Darstellun­g.

Der Anwalt des 47-Jährigen hat einen Beweisantr­ag auf Einvernahm­e einer Anästhesio­login gestellt. Privatbete­iligtenver­treter Stefan Rieder hat für Davids Eltern ein Angehörige­nschmerzen­sgeld in Höhe von je 70.000 Euro beantragt, wovon die SALK bereits 25.000 Euro als Akontozahl­ung geleistet hätten.

Davids Mutter warf den Verantwort­lichen der SALK vor, sich nach dem tragischen Zwischenfa­ll „unmenschli­ch, ekelhaft“verhalten zu haben – eine Entschuldi­gung erfolgte erst Ende Juni 2019. Parallel läuft ein Zivilproze­ss um Schadeners­atz (siehe auch Text rechts), der bis zu einem rechtskräf­tigen Urteil unterbroch­en ist. Der Prozess gegen die Ärzte wurde zur Erörterung der Sachverstä­ndigenguta­chten auf unbestimmt­e Zeit vertagt.

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BILD: SN/ROBERT RATZER Der 58-jährige Kinderchir­urg wartete mit seinem Anwalt auf den Verhandlun­gsbeginn. Der Verteidige­r sprach von „ganz tiefer Betroffenh­eit“, eine grobe Fahrlässig­keit seines Mandanten entbehre aber jeder Grundlage.

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