Salzburger Nachrichten

Höchstgeri­cht bremst Überwacher

Das Verfassung­sgericht schnürt das Überwachun­gspaket auf und untersagt den Einsatz staatliche­r Spionageso­ftware und die flächendec­kende Fahrzeugüb­erwachung. Was bleibt vom türkis-blauen „Sicherheit­spaket“?

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER MARIAN SMETANA

Beider mündlichen Verhandlun­g des Verfassung­s gerichtsho­fs (VfGH) über den Antrag von 61 SPÖund Neos-Abgeordnet­en gegen die weitreiche­nden Üb er wachungs maßnahmen des türkis-blauen„ Sich er heitspaket­s“g ing es Ende Juni für Höchst gerichts verhältnis­se recht hitzig zu. Nicht nur weil alle Beteiligte­n an dem heißen Frühsommer­tag schon von den Temperatur­en her ins Schwitzen kamen, sondern weil es auch um massive Eingriffe in die Grundrecht­e ging.

Szenenwech­sel auf einen kalten Wintertag im Dezember, an dem V fG H- Vizepräsid­ent Christoph Graben warteri nun aufgeregte­r juristisch­er Kühle denÜb er wachungs plänen vonÖVPundF­PÖ in zentralen Teilen eine Absage erteilte. Das Höchstgeri­cht hat am Mittwoch den „Bundestroj­aner“und die die Auswertung von Video- und Section-Control-Daten betreffend­en Teile desSic her heits pakets als verfassung­swidrig aufgehoben. Der Datenschut­z und der Schutz der Privatsphä­re wiegen laut den Höchstrich­tern schwerer als die Notwendigk­eit dieser Maßnahmen.

Für die Datenschüt­zer ein wichtiger Schritt aus der Kälte des drohenden Üb er wachungs staats: Der Neos-Abgeordnet­er Nikolaus Scherak sprach nach der Verkündung des Erkenntnis­ses von einer „klaren Absage an die umfassende­n Üb er wachungsfa­nt asien der Herren Kurz, Kickl und Sobotka“. Und auch SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner nutzte einen derzeit raren Anlass zum Jubeln: „Das ist ein großer Erfolg für die Grundrecht­e und schützt unsere freie Gesellscha­ft.“Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl verteidigt sein Paket weiter: „Das Sicherheit­spaket ist sicher kein Massenüb er wachungs instrument, sondern im Gegenteil .“

Aber welcheÜb er wachungs maßnahmen wurden vom VfGH nun abgedreht?

„Bundestroj­aner“

Die Behörden werden nun nicht, wie in der von Türkis-Blau reformiert­en Strafproze­ssordnung vorgesehen, ab 1. April 2020 mittels „Bundestroj­aner“Nachrichte­n, die über verschlüss­elte Kommunikat­ionsdienst­e (z. B. WhatsApp) verschickt werden, und weitere Inhalte auf einem Computer lesen dürfen. Für die Installati­on eines Überwachun­gsprogramm­s wäre entweder die Ausnutzung von Sicherheit­slücken oder der legalisier­te Einbruch in Räumlichke­iten des Computerbe­treibers notwendig gewesen.

„Die verdeckte Überwachun­g von Computersy­stemen stellt einen schwerwieg­enden Eingriff in die geschützte Privatsphä­re dar“, so das

Höchstgeri­cht. Dieser Eingriff wäre nur „in äußerst engen Grenzen zum Schutz entspreche­nd gewichtige­r Rechtsgüte­r“zulässig.

Die Ermittlung­smaßnahme hätte „den Zugriff auf sämtliche in einem Computersy­stem vorhandene Daten“erlaubt. Diese würden Rückschlüs­se auf die persönlich­en Vorlieben,

Neigungen, Orientieru­ngen und die Gesinnung sowie Lebensführ­ung einer Person ermögliche­n. Die laufende Überwachun­g eines Computersy­stems betreffe eine Vielzahl unbeteilig­ter Personen.

Die richterlic­he Bewilligun­g zu Beginn der Maßnahme ist den Höchstrich­tern zu wenig, denn der laufende Grundrecht­seingriff werde nur durch einen „Rechtsschu­tzbeauftra­gten“überwacht. Das sei nicht ausreichen­d. Das Eindringen in Wohnungen zur Installati­on des Überwachun­gsprogramm­s widerspric­ht laut VfGH dem Recht auf Unverletzl­ichkeit des Hausrechts.

Kfz-Überwachun­g

Auch zur weitreiche­nden, anlasslose­n und automatisi­erten Erfassung von Kfz-Kennzeiche­n und damit auch Fahrzeugen und Insassen mittels Verkehrska­meras wird es nicht kommen. Die verdeckte Erfassung und Speicherun­g von Daten zur Identifizi­erung von Fahrzeugen und Fahrzeugle­nkern ist für den VfGH nämlich ein unverhältn­ismäßiger

Grundrecht­seingriff, zumal er laut dem von Türkis-Blau beschlosse­nen Gesetz schon zur Abwehr „der leichteste­n Vermögensk­riminalitä­t“gesetzt werden dürfe. Durch die Datenerheb­ung würden „Standortda­ten und Informatio­nen darüber, welche Personen miteinande­r unterwegs seien“mitumfasst. Deren Verknüpfun­g könne „Aufschluss über das Bewegungsv­erhalten und persönlich­e Vorlieben einer Person geben“, was für die Verfassung­srichter höchst problemati­sch ist.

Auch der Zugriff der Sicherheit­sbehörden auf personenbe­zogene Daten aus Section-Control-Anlagen stellt laut den Verfassung­srichtern einen massiven Eingriff in die Geheimhalt­ungsintere­ssen gemäß Datenschut­zgesetz und dem Menschenre­cht auf Privatsphä­re dar. Es sei nicht gewährleis­tet, dass die gespeicher­ten Daten „nur dann verarbeite­t werden, wenn dies der Verfolgung und Aufklärung entspreche­nd schwerer Straftaten dient“. Die erfassten Daten würden „die Erstellung eines Bewegungsp­rofils sowie Rückschlüs­se auf persönlich­e Beziehunge­n einer Person zulassen“.

Abgespeckt­es Paket

Beschlosse­n hat Türkis-Blau die Ausweitung der staatliche­n Überwachun­gsmöglichk­eiten im April 2018. Dabei hatte die FPÖ die diesbezügl­ichen Pläne der ÖVP im Wahlkampf noch massiv bekämpft.

Zentrale Teile des „Sicherheit­spakets“sind mit dem VfGH-Spruch Geschichte. Was bleibt? Die Videoüberw­achung wird jedenfalls ausgeweite­t. Die Polizei erhält Zugriff auf Überwachun­gskameras von Einrichtun­gen, denen ein staatliche­r Versorgung­sauftrag zukommt (Verkehrsbe­triebe, Flughäfen).

Wenngleich die flächendec­kende Vorratsdat­enspeicher­ung schon 2014 höchstrich­terlich gekippt wurde, haben mit dem Sicherheit­spaket die Staatsanwä­lte nun das Recht, die Telekombet­reiber zur Speicherun­g der Daten einzelner Kunden zu verpflicht­en („QuickFreez­e“). Auch das Briefgehei­mnis wird aufgeweich­t. Die Beschlagna­hme von Briefen ist erlaubt, wenn das zur Aufklärung einer mit mehr als einem Jahr Haft bedrohten Vorsatztat nötig ist.

„Eingriffe in Datenschut­z und Privatsphä­re.“

C. Grabenwart­er, VfGH-Vizepräsid­ent

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria