Salzburger Nachrichten

Sie sagen uns nicht, was sie wirklich wollen Einigung vielleicht noch vor Weihnachte­n

Die Chance auf eine türkis-grüne Regierung lebt. Beide Parteien sagen uns aber nur, was sie nicht wollen. Was sie wollen, sagen sie uns nicht.

- MANFRED.PERTERER@SN.AT Manfred Perterer

Egal

mit wem in den politische­n Zirkeln man derzeit spricht: Die meisten halten eine Regierungs­koalition aus ÖVP und Grünen für sehr wahrschein­lich. Die Verhandlun­gen liefen gut, heißt es. Hinter vorgehalte­ner Hand betonen Insider, dass es selbst in inhaltlich schwierige­n Fragen eine Annäherung gebe. Oft sei es nur eine Frage der Wortwahl.

Der Verfassung­sgerichtsh­of hat in diesen Tagen zusätzlich Prügel aus dem Weg zu einer türkis-grünen Kooperatio­n geräumt, indem er sozial unverträgl­iche Gesetze aus der türkis-blauen Phase wieder aufgehoben hat. So kann die ÖVP aus ihrer rechten Zeit ohne großen Gesichtsve­rlust aussteigen.

Es passt also vieles zusammen. Umso unverständ­licher ist die Herangehen­sweise der Parteichef­s von ÖVP und Grünen an dieses politische Jahrhunder­tprojekt. Beide werden nicht müde uns zu erklären, was in einer solchen europaweit einzigarti­gen Zusammenar­beit alles nicht gehe. So hat Sebastian Kurz nach wochenlang­em Schweigen in Wiener Zeitungen vorbeugend erklärt, was die ÖVP auf keinen Fall machen werde: vom Nulldefizi­t abrücken, Vermögens- oder Erbschafts­steuern einführen oder die bisherige Sozialgese­tzgebung aufweichen.

Auch sein grüner Verhandlun­gspartner rückt zumeist die „großen inhaltlich­en Entfernung­en“in den Vordergrun­d, und dass man beim Thema Kinderarmu­t schon weiter sein könnte. Werner Kogler hört sich zwar um eine Spur weniger pessimisti­sch an als sein Gegenüber

Sebastian Kurz, von zukunftsfr­oh kann aber auch bei ihm keine Rede sein. Wer weiß, vielleicht wollen die beiden die Erwartunge­n nicht zu hoch schrauben. Ein prickelnde­s Koalitions­feuer entfachen sie so sicher keines.

Es ist österreich­ische Tradition, dass sich die Bürgerinne­n und Bürger vor der Gründung einer neuen Regierungs­koalition eher fürchten, als sich danach sehnen. In den Köpfen der Menschen schweben mehr Gedanken an neue finanziell­e und politische Belastunge­n als an große politische Vorhaben.

Türkis-Grün könnte mit dieser Tradition brechen und erstmals in der Geschichte eine politische Führung installier­en, auf die sich viele Menschen richtig freuen. Derzeit geht das nicht. Weil niemand weiß, was Türkis-Grün überhaupt will.

Die größten Hinderniss­e auf dem Weg zur neuen Regierung liegen nicht so sehr in den unterschie­dlichen Lebensentw­ürfen von Türkis und Grün. Die ließen sich bei gutem Willen überbrücke­n. Nein, es sind die Ängste vor ihrer jeweiligen Stammklien­tel, die die Verhandlun­gspartner bremsen. So fürchtet sich die ÖVP vor jenen, die sich traditione­ll schwer mit den Grünen tun: den Bauern, den Bürgermeis­tern, den neu hinzugewon­nenen ehemaligen FPÖ-Wählern. Die Grünen hingegen scheuen ihre Basis, die Fundis, die ihre politische Heimat weit links der Mitte haben. Es scheint, dass die Hauptsorge, die manche Verhandlun­gsstratege­n plagt, nicht die Zukunft Österreich­s ist, sondern die der eigenen Partei.

Daher hört man bisher auch wenig über Leuchtturm­projekte, wie sie Werner Kogler ins Spiel bringt, aber nicht beim Namen nennt. Man erfährt, wo der jeweils andere nicht mitgehen kann, aber man erfährt nicht, wo der gemeinsame Weg möglich ist.

Viele Menschen in Österreich haben sich nach der Wahl eine neue Regierung bis Weihnachte­n gewünscht. Gut möglich, dass uns Sebastian Kurz und Werner Kogler nach dem Wochenende eine grundsätzl­iche Einigung unter den Christbaum legen. Die Details werden dann wohl über die Feiertage ausverhand­elt.

Im Prinzip gibt es zu Türkis-Grün keine Alternativ­e. Eine Regierung mit der FPÖ ist nach Ibiza, Spesen, Strache und Kickl unmöglich geworden. Eine mit der SPÖ, die sich gerade selbst zerfleisch­t, ebenso. Eine Minderheit­sregierung bei rechnerisc­h genügend möglichen Mehrheiten will niemand. Bleiben Neuwahlen, bei denen alle verlieren würden.

Türkis-Grün ist daher logisch. Das genügt aber für den Erfolg nicht. Diese Koalition muss von ihren Protagonis­ten auch gewollt werden. Nur dann wird sie nicht von Beginn das Image einer Notlösung verpasst bekommen. Die Geschichte von der Hochzeit zweier Partner, die überhaupt nicht zusammenpa­ssen, darf gar nicht erst aufkommen. Sonst ist die Scheidung nur eine Frage der Zeit.

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WWW.SN.AT/WIZANY Das ewige Vorspiel . . .

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