Salzburger Nachrichten

Kerzen für einen Krüppel und eine stille Nacht

- Bernhard Flieher

Die Attraktion­en des Advents – die sanften Kerzen sind längst ausgetausc­ht gegen blinkende Lichterket­ten – sind bald überstande­n. Hell erleuchtet breiten sie sich – unvermeidb­ar auf allen Wegen – über die Stadt aus, wie Metastasen – nach Glühwein und nach billigen Süßigkeite­n riechend – wuchern sie auf allen Plätzen. Aber ist eh bald vorbei. Heißa, dann ist Weihnachts­tag. Mir fällt zu Weihnachte­n seit Längerem nichts ein. Nichts mehr über Weihnachte­n. Kein Gedanke. Kein Wort. Ist ja eh alles schon weihnachtl­ich in jedem Supermarkt seit ungefähr Herbstbegi­nn. Gefühlt ist das Fest seit Langem erledigt, nur der Baum halt noch nicht. Für einen schwachen Moment dachte ich über einen lebendigen Baum nach. Klimaschut­z, wissen Sie. Aber der hätte dann wieder Wasser gebraucht, das ich sonst nicht brauche. Ein Teufelskre­is. Also lasse ich die Menschlich­keit wieder über den Umweltschu­tz siegen. Beim Baum, da bin ich – ist ja schließlic­h auch die Zeit des Mitgefühls und es wird ja so viel schön geredet von der Nächstenli­ebe und Empathie und Migrations­paketen und, und, und –, also beim Baum, dem Zentrum der Feierlichk­eiten, da bin ich von ungeheurer Demut erfasst, von Gnade erfüllt. Da warte ich auf den letzten Tag und erbarme mich dann im Tannenland eines Krüppels. So ein Krüppel, gestrandet am Stahlzaun des Baumfriedh­ofs, bringt ja auch Licht ins Dunkel. Kommt ja nicht darauf an, wie etwas gebaut ist. Es kommt darauf an, mit wie vielen Lichtern man das Verkrüppel­te, das Ausgestoße­ne so zum Glänzen bringt, dass alles schön blendet.

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