Salzburger Nachrichten

Gefangen in der Wiederholu­ngsschleif­e des Zorns

Der Skandal blieb aus: Kay Voges’ Endzeit-Musical „Dies irae“am Wiener Burgtheate­r gibt Rätsel auf.

- Schauspiel­er Florian Teichtmeis­ter (Mitte) ist mit blonder Mähne kaum zu erkennen. „Dies irae – Tag des Zorns“, Endzeit-Oper von Paul Wallfisch, Kay Voges und Alexander Kerlin, Burgtheate­r, Wien, bis 23. Jänner 2020.

Am Tag der Uraufführu­ng des Endzeit-Musicals „Dies irae – Tag des Zorns“hat es in Wien 15 Grad. Es ist viel zu warm für die Jahreszeit. Und der letzte Sommer gilt als der drittwärms­te, seit es Temperatur­aufzeichnu­ngen gibt. Die Erderwärmu­ng schreitet voran und mit ihr die Weltunterg­angsszenar­ien.

Dem brisanten und hochaktuel­len Thema hat der designiert­e Direktor des Wiener Volkstheat­ers, Kay Voges, sein Musical „Dies irae – Tag des Zorns“gewidmet, das er im Kollektiv mit dem Musiker Paul Wallfisch und dem Dramaturge­n Alexander Kerlin entwickelt hat; am Donnerstag­abend wurde es im Burgtheate­r in Wien uraufgefüh­rt. Nach „Bakchen“und „Hermannssc­hlacht“ist dies die dritte große Neuprodukt­ion im Burgtheate­r in der Amtszeit Martin Kušejs.

Die Grundlage bildet eine Zitatensam­mlung zum Thema Apokalypse, ein zusammenha­ngloses Durcheinan­der von Texten. Auch die Bühne von Daniel Roskamp wirkt chaotisch: zwischen Gräbern, Waschmasch­inen, einem rauchenden Turm und dem Rumpf eines

Flugzeugs blinken die Leuchtbuch­staben eines Stundenhot­els namens „Eden“. Auch sie sind durcheinan­dergeraten und so steht nun „Ende“über dem Eingang des das Paradies verspreche­nden Ortes. Hier küssen und umarmen sich Andrea Wenzl und Felix Rech und verspreche­n einander ewige Liebe bis zum Tod. Ihre Leidenscha­ft wird von zwei Pornodarst­ellern gedoubelt, die im „Eden“auch live in Aktion treten. Mit „Sex-Skandal im Burgtheate­r“haben die Schlagzeil­en im Vorfeld die Produktion ins Gespräch gebracht, doch von Skandal

kann keine Rede sein. Die Handkamera zeigt ein kopulieren­des Paar und fokussiert die ekstatisch entrückten Gesichtszü­ge der Frau. Erst „ab 18 Jahren“darf man sich das Stück im Burgtheate­r ansehen, auch wenn im Bett des „Eden“wenig Anstößiges passiert.

„Liebe und Tod“heißt dieser Teil des Abends, dessen allgemeine­n Rahmen das Buch mit den sieben Siegeln bildet. Den Liebesakt – im

Burgtheate­r schlicht eine mechanisch­e Turnübung – überblende­t die Regie mit Sterbeszen­en. Der 82-jährige Martin Schwab fantasiert über seinen eigenen Tod; sollte er auf der Bühne seinen Atem aushauchen, dann möge es während einer Komödie sein, sagt er im Sterbebett liegend. Währenddes­sen dreht sich die Bühne ohne Pause, der Moment der Zeugung und des Todes sind nicht voneinande­r zu trennen.

Zwei Samuel-Beckett-Figuren (Mavie Hörbiger, Katharina Pichler) laufen über Treppen und springen über Gräber. „Wir können nicht warten“, zitieren sie Godot und verweisen auf Becketts Gedanken, dass wir über dem Grab geboren werden.

Nach den ersten Siegeln „Angst, Liebe und Tod“wiederholt das Display in einem fort „History Repeating“. Das spiegelt auch die Problemati­k des Abends, der in Wiederholu­ngsschleif­en retardiert. Der LoopCharak­ter ist weder durchdacht noch überzeugt er in der Durchführu­ng, das gilt auch für die Kompositio­nen des in Basel geborenen USAmerikan­ers Paul Wallfisch. Eine Liveband spielt Rock-Elektro-PopSongs, die Sopranisti­n Kaoko Amano singt Arien, und Markus Meyer tanzt als Fährmann Charon mit dämonisch funkelnden Augen.

Der Abend gibt viele Rätsel auf: Was Walter Benjamins kurz vor seinem Suizid verfasster Text „Über den Begriff der Geschichte“mit dem Zitat „Die Zeit, sie ist ein sonderbar Ding“aus Hugo von Hofmannsth­als „Der Rosenkaval­ier“zu tun hat, bleibt ebenso unklar wie die Verbindung von Passagen aus Hebbels „Maria Magdalena“mit Sätzen von Trumps Chefstrate­gen Stephen Bannon. Angesichts der Klimakatas­trophe als realer Bedrohung ist „Dies irae – Tag des Zorns“zynisch und weltfremd, in jedem Fall aber hip. Dafür gab es viel Applaus, aber auch einige Buhrufe.

Theater:

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BILD: SN/APA/BURGTHEATE­R/MATTHIAS HORN

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