Gefangen in der Wiederholungsschleife des Zorns
Der Skandal blieb aus: Kay Voges’ Endzeit-Musical „Dies irae“am Wiener Burgtheater gibt Rätsel auf.
Am Tag der Uraufführung des Endzeit-Musicals „Dies irae – Tag des Zorns“hat es in Wien 15 Grad. Es ist viel zu warm für die Jahreszeit. Und der letzte Sommer gilt als der drittwärmste, seit es Temperaturaufzeichnungen gibt. Die Erderwärmung schreitet voran und mit ihr die Weltuntergangsszenarien.
Dem brisanten und hochaktuellen Thema hat der designierte Direktor des Wiener Volkstheaters, Kay Voges, sein Musical „Dies irae – Tag des Zorns“gewidmet, das er im Kollektiv mit dem Musiker Paul Wallfisch und dem Dramaturgen Alexander Kerlin entwickelt hat; am Donnerstagabend wurde es im Burgtheater in Wien uraufgeführt. Nach „Bakchen“und „Hermannsschlacht“ist dies die dritte große Neuproduktion im Burgtheater in der Amtszeit Martin Kušejs.
Die Grundlage bildet eine Zitatensammlung zum Thema Apokalypse, ein zusammenhangloses Durcheinander von Texten. Auch die Bühne von Daniel Roskamp wirkt chaotisch: zwischen Gräbern, Waschmaschinen, einem rauchenden Turm und dem Rumpf eines
Flugzeugs blinken die Leuchtbuchstaben eines Stundenhotels namens „Eden“. Auch sie sind durcheinandergeraten und so steht nun „Ende“über dem Eingang des das Paradies versprechenden Ortes. Hier küssen und umarmen sich Andrea Wenzl und Felix Rech und versprechen einander ewige Liebe bis zum Tod. Ihre Leidenschaft wird von zwei Pornodarstellern gedoubelt, die im „Eden“auch live in Aktion treten. Mit „Sex-Skandal im Burgtheater“haben die Schlagzeilen im Vorfeld die Produktion ins Gespräch gebracht, doch von Skandal
kann keine Rede sein. Die Handkamera zeigt ein kopulierendes Paar und fokussiert die ekstatisch entrückten Gesichtszüge der Frau. Erst „ab 18 Jahren“darf man sich das Stück im Burgtheater ansehen, auch wenn im Bett des „Eden“wenig Anstößiges passiert.
„Liebe und Tod“heißt dieser Teil des Abends, dessen allgemeinen Rahmen das Buch mit den sieben Siegeln bildet. Den Liebesakt – im
Burgtheater schlicht eine mechanische Turnübung – überblendet die Regie mit Sterbeszenen. Der 82-jährige Martin Schwab fantasiert über seinen eigenen Tod; sollte er auf der Bühne seinen Atem aushauchen, dann möge es während einer Komödie sein, sagt er im Sterbebett liegend. Währenddessen dreht sich die Bühne ohne Pause, der Moment der Zeugung und des Todes sind nicht voneinander zu trennen.
Zwei Samuel-Beckett-Figuren (Mavie Hörbiger, Katharina Pichler) laufen über Treppen und springen über Gräber. „Wir können nicht warten“, zitieren sie Godot und verweisen auf Becketts Gedanken, dass wir über dem Grab geboren werden.
Nach den ersten Siegeln „Angst, Liebe und Tod“wiederholt das Display in einem fort „History Repeating“. Das spiegelt auch die Problematik des Abends, der in Wiederholungsschleifen retardiert. Der LoopCharakter ist weder durchdacht noch überzeugt er in der Durchführung, das gilt auch für die Kompositionen des in Basel geborenen USAmerikaners Paul Wallfisch. Eine Liveband spielt Rock-Elektro-PopSongs, die Sopranistin Kaoko Amano singt Arien, und Markus Meyer tanzt als Fährmann Charon mit dämonisch funkelnden Augen.
Der Abend gibt viele Rätsel auf: Was Walter Benjamins kurz vor seinem Suizid verfasster Text „Über den Begriff der Geschichte“mit dem Zitat „Die Zeit, sie ist ein sonderbar Ding“aus Hugo von Hofmannsthals „Der Rosenkavalier“zu tun hat, bleibt ebenso unklar wie die Verbindung von Passagen aus Hebbels „Maria Magdalena“mit Sätzen von Trumps Chefstrategen Stephen Bannon. Angesichts der Klimakatastrophe als realer Bedrohung ist „Dies irae – Tag des Zorns“zynisch und weltfremd, in jedem Fall aber hip. Dafür gab es viel Applaus, aber auch einige Buhrufe.
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