„Weihnachten muss nicht perfekt sein“
Der Bestseller-Autor und Psychiater Manfred Stelzig gibt Tipps, wie man zu Weihnachten nicht in Stress und Chaos versinkt.
SN: Was macht man falsch, wenn man vor Weihnachten das Gefühl hat, alles wächst einem über den Kopf?
Manfred Stelzig: Entscheidend ist, dass man alles gut untereinander aufteilt und plant. Man muss sich wirklich eine Liste machen: Was ist alles einzukaufen? Wer kauft was ein und wer kauft was wann ein?
Und diese Planung geht weiter bis zum Heiligen Abend, da muss die Rollenverteilung klar sein. Man muss eine gemeinsame Idee entwickeln, wie man das Weihnachtsfest gestalten will. Manchmal ist das schwierig, weil unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Traditionen kommen. Die einen wollen ihre Mettenwürstel und ihre Würstelsuppe, die anderen wollen einen gebackenen Fisch, der Dritte will einen Truthahn.
SN: Also gute Planung für perfekte Weihnachten. Wollen wir nicht gerade zu Weihnachten alles zu perfekt machen?
Das Allerwichtigste ist: Perfektionismus raus und Beziehung rein. Priorität muss der Draht und die Beziehung zu den anderen haben. Nicht dass alles perfekt funktionieren muss. Ein Freund hat ein Buch mit dem Titel geschrieben: „Das Ziel ist im Weg.“Man kann durchaus die ganze Zeit über die Ziele drüberstolpern, wenn man das zu sehr in den Vordergrund rückt.
Man muss immer danach trachten, die Waage zu halten: auf der einen Seite die Beziehung, die Freude, die Verbundenheit, auf der anderen Seite die Belastung und der Stress.
SN: Aber was nützt zum Beispiel gute Planung, wenn einem dennoch alles zu viel wird und sich nicht mehr alles unter einen Hut bringen lässt?
Es ist immer die Frage: Hat mich der Stress im Griff oder habe ich den Stress im Griff? Wenn ich den Berg an Arbeit in gut verdaubare Happen verkleinere, fällt der Stress schon deswegen weg, weil ich dann sehe, was ich noch schaffe und was nicht.
SN: Aber kommt nicht gerade vor Weihnachten oft zu viel zusammen, auch beruflich, weil 1000 Dinge noch abzuschließen und fertig zu machen sind? Muss man da nicht fast zwangsläufig daran scheitern, seinen Stress zu managen? Richtig, aber verschiedene Sachen muss man auch loslassen können. Es muss eine Prioritätenliste geben. Und wenn man sehr unter Druck ist, muss auch klar sein, dass sich ein paar Dinge nicht mehr ausgehen. Das kann sein, dass man beruflich etwas ins nächste Jahr verschiebt. Und wenn das nicht möglich ist, muss man bei den Einkäufen und Vorbereitungen auf Weihnachten etwas streichen, weil es nicht geht.
SN: Wird in Weihnachten zu viel hineingelegt und hineininterpretiert?
Macht man sich selbst viel zu viel Druck? Das Schlimme ist, dass Weihnachten oft verknüpft wird mit Perfektionismus. Es muss zu Weihnachten alles perfekt sein. Es muss alles gesaugt und geputzt sein. Sogar die Teppichfransen müssen gekämmt werden – das ist meine Erinnerung an die Kindheit. Und dann muss das weltbeste Essen auf den Tisch kommen. Alles muss richtig und gut sein, alle müssen geschnäuzt und gekämmt sein und vielleicht auch noch musizieren. Das kann eigentlich nur schiefgehen.
Deshalb Perfektionismus ersetzen durch Beziehung, durch Zeit, durch Glücklichsein miteinander. Und durchaus noch einmal alles überdenken im Sinne: Was ist wirklich wichtig? Was ist wichtig an Weihnachten? Es hat ja keinen Sinn, wenn ich die tollsten Geschenke eingekauft habe, aber dafür dann den super Ehekrach habe, weil die Nerven blankliegen, man zu wenig Zeit füreinander hat und sich nur noch auf die Nerven geht.
SN: Ist das mit ein Grund, warum gerade zu Weihnachten viele Konflikte aufbrechen?
Natürlich ist die Idee zu Weihnachten, dass alles heil ist, auch schön: Nur das Problem ist, dass die Dinge nicht von selbst heil werden. Zu Weihnachten kommt man drauf, dass verschiedene Themen nicht ausgesprochen und bereinigt sind. Das können Konflikte mit dem Partner, der Partnerin sein, mit , Eltern, Schwiegereltern. – Nein, den kann ich nicht sehen, weil da ist noch eine Rechnung offen. Und dann kommt die Familientradition daher und sagt, dass alle zum Familienfest zusammensitzen müssen. Und da merkt man dann, dass Konflikte da sind. Das muss man im Vorfeld bedenken.
SN: Konflikte also rechtzeitig bereinigen, nicht zu lange anstehen lassen?!
Eigentlich sollte die Adventzeit dazu genutzt werden, zu schauen: Wie plane ich Weihnachten und wwelche Rechnungen sind da noch offen? Mit wem setze ich mich zusammen und spreche mich aus, dass man dann ein friedliches und schönes Weihnachten haben kann?
SN: Kann gerade auch zu Weihnachten weniger mehr sein?
Mut zur Reduktion ist ganz wichtig. Also Mut, die Belastung zu reduzieren. Was ist Belastung? Das ist, dass man noch 100.000 Geschenke einkaufen möchte, dass man dann völlig gestresst im Stau steckt, dass man anderen Leuten den Vogel zeigt und wild hupt, weil man in die Zeiteinheit zu viel hineinpacken möchte.
SN: Hängen wir zu sehr an materiellen Werten, gerade auch zu Weihnachten?
Eindeutig. Darum ist es gut, einige Geschenke nicht zu kaufen, weil es zu Weihnachten um etwas anderes gehen soll. Das sollte man aber auch mit dem Partner besprechen. Denn es hat keinen Sinn, wenn sich der Partner dies und das wünscht und sich das alles zeitlich nicht ausgeht. Dann hat man ein schlechtes Gewissen. Also zusammensetzen und sagen: Okay, jetzt haben wir einmal
Zeit für uns, gehen einmal in die Natur hinaus, gehen Hand in Hand spazieren und entfliehen dem Weihnachtswahnsinn.
SN: Kann man Kindern auch das Entfliehen aus dem Weihnachtswahnsinn erklären, wenn das unter ihren Freunden vielleicht ganz anders abläuft?
Absolut, das ist sogar total wichtig. Das gehört entscheidend zur Kindererziehung, dass sie auch die Mechanismen enttarnen und man bewusst sagt: Nein, wir leben Weihnachten in unserer Familie anders und haben dafür mehr Zeit miteinander, wir machen etwas Schönes miteinander. Aber es muss immer beziehungsorientiert sein.
Es hat keinen Sinn, wenn man dann auf den Christkindlmarkt fährt und flucht, weil man keinen Parkplatz findet und dann der Familienfrieden wieder dahin ist.
Besser ist es zu sagen, wir machen einen Spaziergang, gehen in die Natur, plaudern über Weihnachten und was der Sinn dahinter ist. Es geht um die Geburt Christi, um Liebe, Verbundenheit. Es geht um sehr viel Schönes, es geht um das Faszinierende an der Geburt und all das, was wir mit einem Säugling, mit einem Kind verbinden: Zuwendung, Schutz, Geborgenheit.
Rücken wir mehr das Romantische in den Vordergrund, was Weihnachten auch haben sollte.
„Mut zur Reduktion ist wichtig.“Manfred Stelzig, Autor, Psychiater