Salzburger Nachrichten

Wunschzett­el an die Politik

- Richard Wiens

ICH bin froh, dass ich kein Politiker bin. Grundsätzl­ich. Aber in diesen Tagen bin ich besonders froh, kein Politiker der ÖVP oder der Grünen zu sein. Das ist kein Bekenntnis, welcher Partei ich zuneige oder kritisch gegenübers­tehe. Es ist aber auch nicht so, dass ich jemals in die Verlegenhe­it gekommen wäre, eine politische Karriere einzuschla­gen, das war nie eine Möglichkei­t, die ich in Erwägung gezogen habe.

Ich stimme aber nicht in den Chor jener ein, die Politikern pauschal vorwerfen, sie übten diesen Beruf nur wegen des Geldes aus. Ich glaube das nicht. Ich finde, die meisten Politiker verdienen Anerkennun­g für ihre Bereitscha­ft, sich in den Dienst der öffentlich­en Sache zu stellen. So wie das die Verhandler von Türkis und Grün in diesen Wochen tun.

Mir tun sie leid. Denn für sie fällt der Weihnachts­urlaub heuer aus. Statt gemeinsame Stunden mit ihren Lieben zu verbringen und Zeit für sich selbst zu haben, müssen sie einen Koalitions­vertrag aushandeln. Statt ein interessan­tes Buch zu lesen oder schöne Musik zu hören, müssen sie Antworten auf den Klimawande­l, die Migration, die Digitalisi­erung und vieles mehr finden. Dabei dürfte es ziemlich laut knirschen zwischen ÖVP und Grünen, obwohl die beiden farblich so nah beieinande­r liegen. Wenn man so hört, was Türkise zuletzt an Unfreundli­chkeiten über ihr grünes Gegenüber an die Öffentlich­keit dringen ließen, ist von Weihnachts­frieden am Verhandlun­gstisch nichts zu spüren.

Ich bin lange genug in meinem Beruf, um zu wissen, dass es beinahe sinnlos ist, sich von Politikern etwas zu wünschen – das funktionie­rt nicht einmal am Wahltag. Aber weil Weihnachte­n vor der Tür steht und ich den naiven Glauben habe, dass sich Menschen – sogar Politiker – zum Besseren verändern können, versuche ich es trotzdem.

Ich weiß, dass man sich in der Politik sprichwört­lich nichts schenkt. Ich dachte aber, wir hätten die Zeiten hinter uns, als christlich-soziale Politiker als Kerzelschl­ucker, sozialdemo­kratische als Kapitalist­enfresser und Grüne als ÖkoTerrori­sten katalogisi­ert wurden. Auch wenn in den Attributen heute leicht variiert wird, der Tenor bleibt der gleiche.

Ist es zu viel verlangt, dass uns Politiker mit derart haarsträub­endem Unsinn in Ruhe und das Herunterma­chen des politische­n Gegners oder gar eines möglichen Koalitions­partners sein lassen? Von Anton Kuh gibt es den Satz: „Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.“Wie viel angenehmer wäre der politische Diskurs, würden Politiker, Kuhs feine Ironie erkennend, das Gegenteil machen und die Wadlbeißer­ei einstellen? Ich weiß, ein frommer Wunsch. Aber da es in dieser Ausgabe um Vorbilder geht, wäre es doch einen Versuch wert.

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