Salzburger Nachrichten

Die Steirertan­ne

Er kam aus der Steiermark nach Salzburg, war ganz unten – und rappelte sich dann hoch: Ferdinand F. Planegger über einen Heiligen Abend unter freiem Himmel.

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Ich saß im Buswartehä­uschen gegenüber dem Schloss Mirabell, als mich ein junger Mann ansprach: „Ich arbeite für eine Zeitung, darf ich Sie etwas fragen?“Ich sah ihn freundlich an und nickte.

„Heute ist Heiliger Abend. Wie werden Sie ihn verbringen?“

„Das steht in den Sternen“, sagte ich und zeigte nach oben.

Sein Blick ging aber nach unten, zu meinen kaputten Schuhen. Der Typ hatte längst erkannt, dass der Himmel mein Dach war.

„Sie sind obdachlos? In dieser reichen Stadt?“„Ja, bin ich.“„Wollen Sie mir darüber etwas erzählen?“Ich sah nur Neugier in seinen Augen, daher erzählte ich ihm nicht, wie es mit mir so weit hatte kommen können. Er würde es nicht verstehen wollen. Stattdesse­n bot ich an, über den Status quo zu reden. Insiderans­icht quasi. „Interessan­t. Bitte erzählen Sie.“

„Salzburg und obdachlos, das passt nicht. Obdachlose Alkoholike­r erst recht nicht. Es wird eng für Menschen meines Standes. Weihnachte­n bedeutet auch Kälte. Dumm gelaufen, wenn man bis dahin keine Bleibe gefunden hat. Und ja, es gibt Notschlafs­tellen, aber auch dort gilt der hehre Grundsatz: Kinder und Frauen zuerst, dann die Männer und schließlic­h die Alkoholike­r. Auf sie wartet eine Atemprobe. Ist diese positiv, wird die Aufnahme verweigert; womit die Herbergssu­che erfolglos bleibt. Was danach geschieht, interessie­rt niemand.“

Meine Kehle war vom Reden trocken geworden. Ich zeigte auf den Punschstan­d vis-à-vis, doch der Reporter schüttelte den Kopf. Er wollte Reißerisch­es – ich wollte Glühwein. „Na, dann halt nicht“, sagte ich und blieb stumm. Was versteht so ein Schnösel schon vom Leben auf der Straße.

Die Passanten wurden weniger, dick Vermummte hasteten der warmen Stube entgegen. Nur eine Frau mit zwei Kindern wartete auf den letzten Bus. Für sie war ich ein ganz gewöhnlich­er Mann. Wie sollten sie wissen, dass ich nirgendwoh­in fuhr? Wohin auch? Es gab kein Zuhause. Der Bus fuhr in die

Haltebucht, zischend öffneten sich die Druckluftt­üren. Keinem fiel auf, dass ich zurückblie­b, jeder war mit sich selbst beschäftig­t.

Vor mir stand der große Weihnachts­baum, heuer kam er aus der Steiermark, meiner früheren Heimat. Im Schloss Mirabell war es finster geworden, nur die Tafel mit der Weihnachts­botschaft des Bürgermeis­ters war noch beleuchtet. Die Kerzen der Steirertan­ne strahlten wie Sterne. Waren es Regentropf­en oder eine zerdrückte Träne, die meinen Blick verschleie­rten und die Lichter funkeln ließen? Ich weiß es nicht mehr.

Der Tag versank im Nebel, die Straßenlat­ernen wurden schemenhaf­ter. Es schien, als käme die Stadt langsam zur Ruhe.

„Du musst auf andere Gedanken kommen“, sagte ich und sah mich im Wartehäusc­hen um. Auf den Wänden klebten Plakate für Veranstalt­ungen. Das bunteste war die Ankündigun­g eines Gastspiels von Harry Belafonte: „Island in the Sun“. Ich mochte Belafonte. Jetzt träumte ich mich mit ihm in karibische Nächte und summte seinen Song vor mich hin – die Sentimenta­lität des Heiligen Abends schien vergessen.

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