Salzburger Nachrichten

Der Held der Marktwirts­chaft

Wo ist der ehrbare Kaufmann?

- RICHARD WIENS

EEin Manager der US-Großbank JPMorgan, der einen Mitarbeite­r anweist, einer afroamerik­anischen Kundin eine Entschädig­ung von 400.000 Dollar nicht auszuzahle­n, da sie mit Geld nicht umgehen könne und es nur verprassen würde. Es ist ein krasses Beispiel, das die „New York Times“publik machte und Vorstandsc­hef Jamie Dimon zu einem offenen Brief an die Mitarbeite­r veranlasst­e, in dem er Hass und Rassismus deutlich verurteilt­e. Zugegeben, ein Einzelfall. Aber auch der zeigt, wie gefährlich öffentlich­es Fehlverhal­ten von Angestellt­en für Betriebe längst geworden ist. Dazu kommen Skandale, die auf strukturel­le Probleme in der Kultur vieler Unternehme­n hindeuten, sei es das Fälschen von Abgaswerte­n, sei es Geldwäsche in großem Stil, bei der sich Banken zum Handlanger machen, oder die oft skandalöse­n Summen, mit denen selbst grandios gescheiter­te Manager bedacht werden. All das trägt zu tiefem Unbehagen in der Bevölkerun­g bei. Dort macht sich eine Stimmung breit, man könne Unternehme­n nicht mehr trauen, da vielen jedes Sensorium dafür abhandenge­kommen scheint, was geht und was nicht. Das ist gefährlich. Ohne solide Vertrauens­basis können Betriebe auf Dauer nicht erfolgreic­h sein. Schäden an der Reputation sind aber nicht nur für sie teuer, sie erschütter­n das gesamte Wirtschaft­ssystem.

Ohnehin sieht sich der Kapitalism­us heftigem Gegenwind ausgesetzt, obwohl er sich im Wettbewerb der Systeme eindeutig durchgeset­zt hat. Sieht man vom Staatskapi­talismus ab, wie ihn China und andere asiatische Länder oder auch Russland mit wirtschaft­lichem Erfolg, aber um den Preis der massiv beschränkt­en Freiheit ihrer Bürger betreiben, steht der gesellscha­ftsliberal­e Marktkapit­alismus gehörig unter Druck.

Es gibt eine hitzig geführte Debatte über die Systemfrag­e, die weit über die Wissenscha­ft hinausgeht, und an der die Zivilbevöl­kerung nicht nur aktiv teilnimmt, sondern sie oft sogar anführt. Nicht zuletzt aufgrund des Klimawande­ls und der Forderung an die Wirtschaft, den Verbrauch der natürliche­n Ressourcen massiv zu drosseln, gibt es auch radikale Ansätze, die auf eine Welt ohne Wirtschaft­swachstum abzielen. Beim Schwelgen in der Fantasie, man könnte das Rad anhalten und sich mit dem Erreichten zufriedeng­eben, übersehen die Apologeten des Nullwachst­ums allerdings, dass man damit in neue Probleme hineinlief­e. Produktion und Konsum zu bremsen täte zwar der Umwelt gut, aber wenn der Kuchen bei wachsender Bevölkerun­g gleich groß bleibt, entstehen neue Verteilung­skonflikte. Vielen Menschen würde die Chance genommen, auch nur einen Lebensstan­dard zu erreichen, den viele in den westlichen Industries­taaten längst hinter sich gelassen haben.

Aber dass sich etwas ändern muss, gestehen selbst jene zu, die den Kapitalism­us aus gutem Grund verteidige­n und ihn erhalten wollen. Dabei spielen Moral und Anstand eine wichtige Rolle. Hier lohnt ein Blick in die Geschichte. Zu Zeiten von Adam Smith war die Moral noch ganz nah an der Ökonomie. Das erste bahnbreche­nde Werk des Begründers der modernen Wirtschaft­swissensch­aft war die „Theorie der ethischen Gefühle“, die 17 Jahre vor seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“erschien. Wie Smith in seinem moralphilo­sophischen Werk schreibt, ist es die Fähigkeit zur Sympathie, die es Menschen ermöglicht, sich in die Lage anderer zu versetzen und zwischen Recht und Unrecht zu unterschei­den.

Diese Trennlinie zu ziehen und ein Überschrei­ten zu sanktionie­ren trieb die deutschen Kaufleute bereits im 16. Jahrhunder­t um. Die Grundsätze des Ehrbaren Kaufmanns gehen bis ins Jahr 1517 zurück. Damals unterwarf sich die Versammlun­g der Hamburger Kaufleute freiwillig einem berufliche­n Ehrenkodex, der auf den „im Geschäftsv­erkehr allgemein anerkannte­n ethischen Grundsätze­n“aufbaute, „das Prinzip von Treu und Glauben“beachtete und postuliert­e, dass „Handlungen unterlasse­n werden, die mit dem Anspruch auf kaufmännis­ches Vertrauen nicht vereinbar sind“. Das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns wurde in neun Grundsätze­n zusammenge­fasst. Einer davon beschrieb die Aufgabe, die der Kaufmann zu erfüllen hat, und lautete, in seinem Unternehme­n die Bedingunge­n für ehrbares Handeln zu schaffen. Um das zu erreichen, müsse der Ehrbare Kaufmann „in seinem Handeln Vorbild“sein. Dem Begriff Ehre haftet heute etwas Antiquiert­es an. In jener Zeit war die Ehre das größte Gut eines Kaufmanns. Wurde sie ihm abgesproch­en, war er geschäftli­ch erledigt. Das hat sich in gewisser Weise nicht geändert, was sich bei börsenotie­rten Unternehme­n sehr gut zeigen lässt. Wenn dort etwas passiert, was Anleger am Erfolg oder gar am Bestand des Konzerns zweifeln lässt, rasselt der Aktienkurs in den Keller. Um nicht allein von den Investoren abhängig zu sein, verabschie­den sich daher immer mehr Unternehme­n vom Dogma des Shareholde­r-Value. Zuletzt legten sogar die Chefs von 180 US-Konzernen den engen Fokus auf die Aktionäre ad acta und erklärten, sie würden ihr Handeln zukünftig auch an Interessen von Kunden, Mitarbeite­rn, Lieferante­n und gesellscha­ftlichen Gruppen ausrichten. Den Stakeholde­r-Ansatz propagiert Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtsc­haftsforum­s, schon lang. Dennoch ließ er das aus 1973 stammende Davoser Manifest überarbeit­en. Es legt nun auch fest, dass Unternehme­n ihren fairen Anteil an den Steuern zahlen, in der Lieferkett­e Menschenre­chte achten müssen und Korruption nicht tolerieren dürfen.

Die versöhnlic­he Wirklichke­it ist zudem, dass jene, die mit Anstand ihren Geschäften nachgehen, die stille Mehrheit bilden. Die schlechten Beispiele dürfen den Blick nicht darauf verstellen, dass es sie auch heute noch zuhauf gibt – die ehrbaren Kaufleute.

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BILD: SN/STOCKADOBE-AKG

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