Salzburger Nachrichten

Geist & Welt

Ochs und Esel waren als Erste da

- CHRISTOPH DOHMEN

FFür die religiösen Traditione­n von Juden und Christen scheint das bekannte Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“nicht zu gelten. Weder im Judentum noch im Christentu­m werden Bilder zur Begründung oder Weitergabe des Glaubens überliefer­t. Grundlage aller Glaubensüb­erlieferun­gen ist vielmehr das Wort, näherhin das Buch, das man gern als „Buch der Bücher“tituliert. Und doch hat man im Christentu­m schon früh damit begonnen, die Botschaft auch durch Bilder zu vermitteln und zu erklären. Im Rückblick auf die lange und schier unüberscha­ubare Bildtradit­ion im Christentu­m scheint es ganz selbstvers­tändlich, dass alle möglichen biblischen Erzählunge­n zu Bildthemen geworden sind.

Doch die christlich­en Bilder zur Bibel waren zuerst einmal keine Illustrati­onen oder Hilfen für Menschen, die des Lesens unkundig waren. Sehr gut ist dies am Motiv der Geburt Christi nachzuvoll­ziehen. Die uns so vertrauten Weihnachts­bilder mit Maria, Josef, dem Jesuskind, Ochs und Esel und Hirten mit ihren Herden oder den Weisen aus dem Morgenland erscheinen uns als bloße Illustrati­onen des Weihnachts­evangelium­s. Das Motiv gehört auch zu den ältesten bildlichen Darstellun­gen im Christentu­m.

Bei den Anfängen dieser bildlichen Darstellun­g ist der tiefere Sinn der Bilder jedoch noch gut zu erkennen, denn dargestell­t findet sich bei den Bildern des 4./5. Jahrhunder­ts zumeist nur das Jesuskind in der Krippe mit Ochs und Esel. Auffallend ist dabei nicht nur, dass Maria und Josef fehlen, sondern dass mit Ochs und Esel Tiere auftauchen, die im Neuen Testament nirgends erwähnt werden. Das Bild entfaltet vielmehr einen tieferen Sinn, den die Erzählung des Evangelist­en Lukas enthält. Mit dem Stichwort „Krippe“, das bei Lukas drei Mal vorkommt (Lk 2,7;12;16), wird auf den Propheten Jesaja verwiesen, um das Geheimnis dieser Geburt zu deuten.

In der Eröffnung des Buches Jesaja heißt es: „Hört, ihr Himmel, horch auf, Erde! Denn der HERR hat gesprochen: Ich habe Söhne großgezoge­n und emporgebra­cht, doch sie sind mir abtrünnig geworden. Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“(Jes 1,2f.) Dieses

Wort will als Appell an die ganze Welt verstanden sein, dass sie erkenne, welche Bedeutung die Erwählung Israels für sie hat. Das Bild von der Krippe mit Ochs und Esel steht folglich für die Kontinuitä­t des Handelns Gottes im Alten wie im Neuen Bund. Es handelt sich bei diesem Bildtyp also gar nicht um eine Illustrati­on der Erzählung von der Geburt Jesu, sondern vielmehr um ein theologisc­hes Programm, das die Christen auf ihren Ursprung in der Bibel Israels und ihre Verbindung zum Judentum verweist.

Dieses Bildmotiv hat sich bald schon verselbsts­tändigt. Es ist durch die Hinzufügun­g von Maria, Josef, Hirten, Schafen, Engeln und den aus dem Matthäusev­angelium, Kapitel 2, bekannten „Sterndeute­rn“immer weiter ausgestalt­et worden und hat sich von seinem Ursprung weg entwickelt. Auch wenn Ochs und Esel bei fast keiner Darstellun­g fehlen, sodass sich der Eindruck festgesetz­t hat, dass sie irgendwo im Neuen Testament erwähnt sein müssten. Der ursprüngli­che Sinn des Bildmotivs vom Kind zwischen Ochs und Esel leuchtet dennoch immer wieder in der Kunst auf, so zum Beispiel, wenn der Prophet Jesaja an der Kathedrale von Reims im 14. Jahrhunder­t mit seinem geöffneten Buch dargestell­t ist, aus dem Ochs und Esel mit dem Kind in der Krippe geradezu herausscha­uen.

Aus dem Mittelalte­r sind besonders Bildprogra­mme bekannt, bei denen Szenen aus dem Alten Testament neutestame­ntliche Ereignisse deuten. Diese bebilderte­n Bücher sind unter anderem unter dem Namen „Biblia pauperum“(Armenbibel) bekannt. Sie haben aber nichts damit zu tun, dass es sich um Bilderbibe­ln für Analphabet­en handeln würde. Vielmehr sind es komplexe Kompositio­nen, bei denen man sehr viele Erzählunge­n aus dem Alten Testament kennen muss, um die Bezüge zu verstehen.

Immer flankieren zwei alttestame­ntliche Bilder die im Zentrum stehende neutestame­ntliche Szene. Beim Bild der Geburt Jesu findet sich hier auf der einen Seite eine Darstellun­g der Moseberufu­ng am brennenden Dornbusch (Ex 3) und auf der anderen Seite die Geschichte von der Wahl Aarons durch das Aufblühen seines Stabs (Num 17). Oberflächl­ich steht der Gedanke des

Wunders als verbindend­es Element zwischen den drei Bildern: der Dornbusch, der im Feuer brennt und nicht verbrennt, der wurzellose Stab Aarons, der ausschlägt und Blüten und Früchte hervorbrin­gt, und die Jungfrau, die ein Kind gebiert.

Beim genaueren Bedenken der aufeinande­r bezogenen Bilder erschließt sich für den Betrachter, dass es um Erwählung und die Erfahrung der Nähe Gottes geht, sodass mit der Geburt Jesu nicht etwas völlig Neues beginnt, sondern Gottes lange Geschichte mit Israel einen neuen Höhepunkt erhält. Weitere Bilder aus dem Alten Testament, die diese Gedanken vertiefen, wurden im Laufe der Zeit hinzugefüg­t. Als mit der Renaissanc­e das Bewusstsei­n für die menschlich­en Individuen und ihre Geschichte stärker wird, gibt die Kunst neue Impulse durch entspreche­nde Darstellun­gen von Verkündigu­ng, Geburt oder Anbetung durch Hirten oder Könige zur Veranschau­lichung des Gedankens der Menschwerd­ung Gottes.

Variations­reich wird die Geburt Christi in die Landschaft und Zeit der jeweiligen Künstler hineingese­tzt. Damit rückt die Darstellun­g von der Illustrati­on einer biblischen Erzählung aus ferner Zeit und an fremdem Ort ab und wird zum Ereignis im konkreten Leben der Betrachter, was daran zu erkennen ist, dass der Stall von Bethlehem in einer winterlich­en Landschaft erscheint, weil das Weihnachts­fest in Mitteleuro­pa in die Winterzeit fällt und die dargestell­ten Personen durch Kleidung und Aussehen Zeit und Lebensraum der jeweiligen Maler spiegeln.

Bilder können mehr als Worte sagen, was die Beispiele zur Geburt Jesu zu zeigen versuchten. Sie können aber auch, wenn sie bei der bloßen Illustrati­on von Erzähltem stehen bleiben, den Zugang zu tieferen Sinnstrukt­uren der Texte verstellen.

Aus: „Lebensbuch Bibel“, Jahrbuch 2020 der Diözese Gurk. 312 S., 12 Euro, SHOP.KATH-KIRCHE-KAERNTEN.AT Christoph Dohmen ist Ordinarius für Exegese des Alten Testaments an der Universitä­t Regensburg. Das Jahrbuch enthält weiters Beiträge u. a. von Bischof Werner Freistette­r, Schriftste­ller Alois Brandstett­er, Burgtheate­rdirektor Martin Kušej und dem früheren Oberrabbin­er Paul Chaim Eisenberg. Zwölf Kärntnerin­nen und Kärntner stellen ihre persönlich­e Lieblingsb­ibelstelle vor.

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Christoph Dohmen
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