Geist & Welt
Ochs und Esel waren als Erste da
FFür die religiösen Traditionen von Juden und Christen scheint das bekannte Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“nicht zu gelten. Weder im Judentum noch im Christentum werden Bilder zur Begründung oder Weitergabe des Glaubens überliefert. Grundlage aller Glaubensüberlieferungen ist vielmehr das Wort, näherhin das Buch, das man gern als „Buch der Bücher“tituliert. Und doch hat man im Christentum schon früh damit begonnen, die Botschaft auch durch Bilder zu vermitteln und zu erklären. Im Rückblick auf die lange und schier unüberschaubare Bildtradition im Christentum scheint es ganz selbstverständlich, dass alle möglichen biblischen Erzählungen zu Bildthemen geworden sind.
Doch die christlichen Bilder zur Bibel waren zuerst einmal keine Illustrationen oder Hilfen für Menschen, die des Lesens unkundig waren. Sehr gut ist dies am Motiv der Geburt Christi nachzuvollziehen. Die uns so vertrauten Weihnachtsbilder mit Maria, Josef, dem Jesuskind, Ochs und Esel und Hirten mit ihren Herden oder den Weisen aus dem Morgenland erscheinen uns als bloße Illustrationen des Weihnachtsevangeliums. Das Motiv gehört auch zu den ältesten bildlichen Darstellungen im Christentum.
Bei den Anfängen dieser bildlichen Darstellung ist der tiefere Sinn der Bilder jedoch noch gut zu erkennen, denn dargestellt findet sich bei den Bildern des 4./5. Jahrhunderts zumeist nur das Jesuskind in der Krippe mit Ochs und Esel. Auffallend ist dabei nicht nur, dass Maria und Josef fehlen, sondern dass mit Ochs und Esel Tiere auftauchen, die im Neuen Testament nirgends erwähnt werden. Das Bild entfaltet vielmehr einen tieferen Sinn, den die Erzählung des Evangelisten Lukas enthält. Mit dem Stichwort „Krippe“, das bei Lukas drei Mal vorkommt (Lk 2,7;12;16), wird auf den Propheten Jesaja verwiesen, um das Geheimnis dieser Geburt zu deuten.
In der Eröffnung des Buches Jesaja heißt es: „Hört, ihr Himmel, horch auf, Erde! Denn der HERR hat gesprochen: Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind mir abtrünnig geworden. Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“(Jes 1,2f.) Dieses
Wort will als Appell an die ganze Welt verstanden sein, dass sie erkenne, welche Bedeutung die Erwählung Israels für sie hat. Das Bild von der Krippe mit Ochs und Esel steht folglich für die Kontinuität des Handelns Gottes im Alten wie im Neuen Bund. Es handelt sich bei diesem Bildtyp also gar nicht um eine Illustration der Erzählung von der Geburt Jesu, sondern vielmehr um ein theologisches Programm, das die Christen auf ihren Ursprung in der Bibel Israels und ihre Verbindung zum Judentum verweist.
Dieses Bildmotiv hat sich bald schon verselbstständigt. Es ist durch die Hinzufügung von Maria, Josef, Hirten, Schafen, Engeln und den aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 2, bekannten „Sterndeutern“immer weiter ausgestaltet worden und hat sich von seinem Ursprung weg entwickelt. Auch wenn Ochs und Esel bei fast keiner Darstellung fehlen, sodass sich der Eindruck festgesetzt hat, dass sie irgendwo im Neuen Testament erwähnt sein müssten. Der ursprüngliche Sinn des Bildmotivs vom Kind zwischen Ochs und Esel leuchtet dennoch immer wieder in der Kunst auf, so zum Beispiel, wenn der Prophet Jesaja an der Kathedrale von Reims im 14. Jahrhundert mit seinem geöffneten Buch dargestellt ist, aus dem Ochs und Esel mit dem Kind in der Krippe geradezu herausschauen.
Aus dem Mittelalter sind besonders Bildprogramme bekannt, bei denen Szenen aus dem Alten Testament neutestamentliche Ereignisse deuten. Diese bebilderten Bücher sind unter anderem unter dem Namen „Biblia pauperum“(Armenbibel) bekannt. Sie haben aber nichts damit zu tun, dass es sich um Bilderbibeln für Analphabeten handeln würde. Vielmehr sind es komplexe Kompositionen, bei denen man sehr viele Erzählungen aus dem Alten Testament kennen muss, um die Bezüge zu verstehen.
Immer flankieren zwei alttestamentliche Bilder die im Zentrum stehende neutestamentliche Szene. Beim Bild der Geburt Jesu findet sich hier auf der einen Seite eine Darstellung der Moseberufung am brennenden Dornbusch (Ex 3) und auf der anderen Seite die Geschichte von der Wahl Aarons durch das Aufblühen seines Stabs (Num 17). Oberflächlich steht der Gedanke des
Wunders als verbindendes Element zwischen den drei Bildern: der Dornbusch, der im Feuer brennt und nicht verbrennt, der wurzellose Stab Aarons, der ausschlägt und Blüten und Früchte hervorbringt, und die Jungfrau, die ein Kind gebiert.
Beim genaueren Bedenken der aufeinander bezogenen Bilder erschließt sich für den Betrachter, dass es um Erwählung und die Erfahrung der Nähe Gottes geht, sodass mit der Geburt Jesu nicht etwas völlig Neues beginnt, sondern Gottes lange Geschichte mit Israel einen neuen Höhepunkt erhält. Weitere Bilder aus dem Alten Testament, die diese Gedanken vertiefen, wurden im Laufe der Zeit hinzugefügt. Als mit der Renaissance das Bewusstsein für die menschlichen Individuen und ihre Geschichte stärker wird, gibt die Kunst neue Impulse durch entsprechende Darstellungen von Verkündigung, Geburt oder Anbetung durch Hirten oder Könige zur Veranschaulichung des Gedankens der Menschwerdung Gottes.
Variationsreich wird die Geburt Christi in die Landschaft und Zeit der jeweiligen Künstler hineingesetzt. Damit rückt die Darstellung von der Illustration einer biblischen Erzählung aus ferner Zeit und an fremdem Ort ab und wird zum Ereignis im konkreten Leben der Betrachter, was daran zu erkennen ist, dass der Stall von Bethlehem in einer winterlichen Landschaft erscheint, weil das Weihnachtsfest in Mitteleuropa in die Winterzeit fällt und die dargestellten Personen durch Kleidung und Aussehen Zeit und Lebensraum der jeweiligen Maler spiegeln.
Bilder können mehr als Worte sagen, was die Beispiele zur Geburt Jesu zu zeigen versuchten. Sie können aber auch, wenn sie bei der bloßen Illustration von Erzähltem stehen bleiben, den Zugang zu tieferen Sinnstrukturen der Texte verstellen.
Aus: „Lebensbuch Bibel“, Jahrbuch 2020 der Diözese Gurk. 312 S., 12 Euro, SHOP.KATH-KIRCHE-KAERNTEN.AT Christoph Dohmen ist Ordinarius für Exegese des Alten Testaments an der Universität Regensburg. Das Jahrbuch enthält weiters Beiträge u. a. von Bischof Werner Freistetter, Schriftsteller Alois Brandstetter, Burgtheaterdirektor Martin Kušej und dem früheren Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg. Zwölf Kärntnerinnen und Kärntner stellen ihre persönliche Lieblingsbibelstelle vor.