Kulinarium
Essen im Heiligen Land, Teil II
DDie winterlichen Temperaturen machen Karl zu schaffen. „Ich gehe gerne im Meer schwimmen. Aber erst bei einer Wassertemperatur ab 28 Grad“, sagt er pikiert. Heute hat das Meer nur 22 Grad. Karl fröstelt und bückt sich nach einer Johannisbrotbaumfrucht. „Kauen, bis sie süß wird“, befiehlt er. Früher, so Karl, habe man im Gelobten Land nur mit Dattelhonig und der Frucht des Johannisbrotbaums gesüßt. Schmeckt fantastisch. Wir spazieren weiter. Jetzt bricht er einen Zweig von einem Strauch ab. Er befiehlt erneut, daran zu kauen, verbietet aber zu schlucken. „Anis?“, fragen wir. „Genau“, sagt Karl. „Das hält den Atem frisch.“Dann schlägt er mit seiner Tasche über Lavendel, der am Rothschild Boulevard wächst. „Riechen“, sagt er. Ja. Es duftet himmlisch. Und das mitten im Großstadtverkehr. Kein Zweifel: Israel ist anders. Eigentlich, so fällt in Tel Aviv dem Reisenden schnell auf, müsste dieser Staat „United States of Israel“heißen. „Dort drüben wohnen die tschechischen Juden“, sagt Karl. Gleich dahinter ist das Viertel der türkischen Juden. Die polnischen Juden bleiben in Tel Aviv ebenso unter sich wie die russischen, deutschen, französischen, spanischen, tunesischen und slowakischen. Karl wohnt im Viertel der österreichischen Juden. Er heißt Karl Walter. Sein Vater wuchs im Burgenland auf, seine Mutter in Rumänien. Die Frage nach einer einheitlichen israelischen Küche erübrige sich also, erklärt Karl. Das Einzige, was diese Küche vereine, das sei die Tatsache, dass – obwohl nur eine Minderheit in Tel Aviv streng religiös sei – mehr als 70 Prozent koscher äßen. Das macht auch die Bekömmlichkeit dieser Küche aus. Milch zu Fleisch stellt tatsächlich eine Belastung für den Magen dar. Deshalb ist es auch in Italien ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nach dem Essen ausschließlich Espresso trinkt und keinen Milchkaffee. Außerdem essen Juden keine auf der Jagd erlegten Tiere. „Man weiß, dass gestresste Tiere viel Cortisol ausschütten. Das macht aggressiv. Und dieses Cortisol würde über das Fleisch und Blut der Tiere dann auf den menschlichen Körper übergehen.“Als Basis der Ernährung nennt Karl die sieben biblischen Zutaten: also Weizen, Gerste, Trauben, Feigen, Granatäpfel, Olivenöl und Datteln. Letztere sollen hauptsächlich Honig zum Süßen der Speisen liefern. Diese neue Enthaltsamkeit wird heute allein schon wegen der zunehmenden Beliebtheit des Vegetarismus und des Veganismus befeuert. Die semitische Küche scheint für diese neuen Trends wie gemacht zu sein. Obwohl Karl betont, dass sich diese Art zu kochen niemals einem Trend unterwerfen wird. Der israelische Koch Yotam Ottolenghi etwa betreibt in London gleich mehrere preisgekrönte Restaurants, wo er für seine im Ganzen gebackenen Sellerieknollen nahezu hysterisch verehrt wird. Als Gottseibeiuns der semitischen Küche gilt aber immer noch Eyal Shani. Er betreibt in Tel Aviv, New York und Wien Restaurants. Sein gebackener Blumenkohl, also Karfiol, gilt heute als israelisches Nationalgericht. Gesünder und leichter geht es nicht: Er kocht den Blumenkohl zehn Minuten in Salzwasser, reibt ihn mit Olivenöl ein und schiebt ihn anschließend bei 200 Grad Umluft 40 Minuten in den Backofen. Nach 20 Minuten soll man ihn wenden, erneut mit Olivenöl beträufeln, goldbraun fertig braten und salzen. Wer ganz frech ist, der serviert ihn mit einem Linsencurry, einer Kräutervinaigrette oder Bröseln und Parmesan.
Eine weitere Spezialität ist das Shakshuka. Das ist eine ursprünglich in Nordafrika beheimatete Speise, der in Tel Aviv besonders kreativ gehuldigt wird. Shakshukas sind Gerichte, die wie Eintöpfe oder Ratatouille zubereitet werden. Das Alleinstellungsmerkmal sind die pochierten Eier, die zum Schluss noch auf das Ragout gelegt und ein paar Minuten bei geschlossenem Deckel gegart werden. Besonders gut schmeckt es im rustikal sympathischen Restaurant Dr. Shakshuka, das sich in der Altstadt von Jaffa befindet. Über moderne Variationen kann man im Restaurant Benedict am Boulevard Rothschild staunen. Hier gibt es sogar Shakshuka Bordelais. Das ist Shakshuka mit Champignons, Rotweinsauce und – ja natürlich – zwei pochierten Eiern.
Der Herzschlag der Tel Aviver Gourmetszene ist ganz ohne Zweifel der Carmel-Markt. Nur eine Gehminute von ihm befindet sich das fantastische Restaurant HaBasta von Elon Amir. Auf dem Markt selbst gibt es nur Stände mit Superlativen: bestes Gemüse, bester Hummus, beste Falafeln. Überhaupt wäre das Street Food in Tel Aviv schon allein die Reise wert. Wenn da nicht noch diese schrägen Lokale wären, wo sich auch österreichische Unternehmer wie der Bierbrauer Josef C. Sigl gerne inspirieren lassen. Sigl schwärmt etwa vom Romano & Teder, das in einem alten Bürogebäude untergebracht ist. Hier geht man zuerst ins Romano zum Essen, dann ins Teder auf ein Bier. Oder ins Port Sa’id, wo man das Minutensteak mit Brotsalat kosten sollte. Vom legendären Miznon gibt es mittlerweile auch schon Filialen in Paris und Wien. Und sollten Sie die Gelegenheit haben: Trinken Sie frisch gepressten Granatapfelsaft. Der ist die Eintrittskarte ins kulinarische Paradies.
Am 28. 12. entführen wir Sie ins „Helena“nach Caesarea.