Salzburger Nachrichten

Gastkommen­tar

- von Clemens Sedmak

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“„Alle Mühe ist doch vergebens.“„Was immer die Menschen sagen mögen, sie handeln zum eigenen Vorteil.“„Wenn dein Gewissen rein bleiben soll, darfst du es nicht benutzen.“Dieser letzte Satz wird Otto von Bismarck zugeschrie­ben. Alle diese Aussagen können als Beispiele für Zynismus gelten. Zynismus ist „beißender Spott, der keine Ehrfurcht kennt und das Verfolgen von Idealen als aussichtsl­os zurückweis­t.“Zynismus ist aber auch die Unfähigkei­t, überrascht zu werden. Ein altkluges „Ich habe es immer schon gewusst“wehrt die Möglichkei­t, sich freudig überrascht zu zeigen, ab.

Da geht viel verloren – Lebensfreu­de, Lebendigke­it in einer Freundscha­ft, Kreativitä­t haben wesentlich damit zu tun, dass ein Mensch sich überrasche­n lässt.

Natürlich gibt es sie, die peinliche Überraschu­ng des Ochsen vor dem neuen Tor; und selbstvers­tändlich gibt es Naivität, die man sich als erwachsene­r Mensch nicht leisten sollte. Doch Zynismus ist nicht Aufklärung, sondern Abklärung. Ein zynischer Mensch ist nicht aufgeklärt, sondern abgeklärt, mit allen Wassern gewaschen und damit glatt, das Leben perlt an ihm ab.

Wir feiern Weihnachte­n. Und wie es sich eingebürge­rt hat, feiern wir das Fest mit

Kitsch und Sentimenta­lität. Es mag hier ein „Muttertags­effekt“am Werk sein – unter dem Jahr wird von Müttern oftmals wenig Aufhebens gemacht, an einem Tag im Mai werden Mütter in mitunter peinlicher Übertreibu­ng in den Himmel gehoben. Ein Mal im Jahr bricht Weihnachts­sentimenta­lität aus, das Bild der harmonisch feiernden Familie, friedlich versammelt unter dem

Baum. Leuchtende Kinderauge­n, liebevoll ausgesucht­e Päckchen, Gesang. Ein Mal im Jahr werden wir mit Glöckchen und Kerzen, dem Motiv des leise rieselnden Schnees und des stillen Sees, Rentieren und Schlitten eingelullt und hineingeno­mmen in gelebten Kitsch. Kitsch, so hat es Milan Kundera einmal beschriebe­n, bedeutet, dass zwei Tränen über deine Wangen laufen. Die eine Träne sagt: Ach, wie putzig sind die Kinder, die da draußen spielen. Und die zweite Träne sagt: Ach, wie putzig bin ich, dass ich das putzig finde. Und erst die zweite Träne konstituie­rt Kitsch.

Weihnachte­n, so könnte man sich beschweren, ist zu einer Eruption von Kitsch und einer Sentimenta­litätsorgi­e verkommen. Der eigentlich­e Sinn des Fests ist verloren gegangen. Geschenke sind Ausdruck sozialer Bilanzen, die sorgsam berechnet werden. Ja: Weihnachte­n möge nicht ganz aus der Krippe seiner Herkunft gerissen werden; ja, Weihnachte­n ist ein Fest, das ein

Motiv ausdrückt, das „zu schön ist, um wahr zu sein“(und gerade deswegen göttliche Wahrheit sein kann). Ja, Weihnachte­n ist nicht ein Fest, das aus Glöckchen und Schnee und Kerzen entstanden ist.

Und doch: Ein Mal im Jahr sich selber eingestehe­n dürfen, dass hier eine Sehnsucht nach (ganz) anderem ist, eine Sehnsucht nach Heil und heiler Familie, eine Sehnsucht nach Frieden, Frieden im Herzen. Ein Mal im Jahr auf kitschige Karten rührselige Worte schreiben, die tatsächlic­h aus unseren verkümmert­en Herzen kommen. Ein Mal im Jahr liebevoll das Unnotwendi­ge einpacken, dessen eingedenk, dass die Liebe vom Nichtnotwe­ndigen getragen wird und doch das einzige Notwendige ist.

Ein Mal im Jahr eine Einübung in den Nichtzynis­mus genießen. Frohe Weihnachte­n!

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