Salzburger Nachrichten

In Indien wächst der Hindu-Nationalis­mus

Indien ist sicherlich weit weg von Europa. Aber was in diesem Land geschieht, kann uns nicht länger gleichgült­ig sein.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Die Indische Union gehört wie China zu den asiatische­n Aufsteiger­n, die im Weltsystem ein wichtiges Wort mitreden. Als die am schnellste­n wachsende große Wirtschaft weltweit gilt Indien trotz aktueller Krisenzeic­hen als aussichtsr­eicher Markt der Zukunft. Im Kampf um Klimaschut­z, bei dem die erneuerbar­en Energien Vorrang erhalten und die Ökonomien ökologisch umgebaut werden sollen, ist das Land mit der global bald größten Bevölkerun­g ein unentbehrl­icher Partner. Politisch ist das demokratis­che Indien auf der internatio­nalen Bühne als Gegengewic­ht zum immer stärker autoritär auftretend­en China von zunehmende­r Bedeutung.

Als Land, dem die Zukunft gehört, sehen viele Inder mit großem Selbstbewu­sstsein ihre Union. In der Realität steckt Indien voller Widersprüc­he. Es ist eine Hightechna­tion mit wachsender Mittelschi­cht. Aber die halbe Bevölkerun­g verharrt noch immer in teils extremer Armut. Indien preist sich als größte Demokratie der Welt. Doch die Regierung in Delhi ist nicht in der Lage, Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen oder am fest gefügten Kastensyst­em zu rütteln, das bis heute Millionen Menschen krass benachteil­igt.

Trotz dieser Schattense­iten ist es der Indischen Union gelungen, in den mehr als 70 Jahren seit ihrer Gründung auf demokratis­chem Pfad zu bleiben und das Land langsam, aber kontinuier­lich zu entwickeln. Bezugspunk­t für die Nation ist eine Verfassung, die einen säkularen Staat mit der Trennung von Politik und Religion postuliert und potenziell allen Gruppen in diesem enorm vielfältig­en Land gleiche staatsbürg­erliche Rechte zumisst. Anders als Pakistan, das sich seit Anbeginn als „Land der Muslime“versteht und im Alltag mittlerwei­le tatsächlic­h dieser Religionsg­ruppe Vorrang gibt.

Es ist beunruhige­nd, dass Indien neuerdings auf ähnlichen Wegen geht. Seit seiner Wiederwahl im Mai verfolgt Premier Narendra Modi immer strikter eine hindu-nationalis­tische Agenda. Schritt für Schritt arbeitet seine Regierung daran, die große Hindu-Mehrheit im Lande zur bestimmend­en Kraft zu machen. Ohne Kontakt mit der lokalen Bevölkerun­g hat Delhi der überwiegen­d muslimisch­en Krisenregi­on Kaschmir Autonomier­echte entzogen und damit Empörung beim Erzrivalen Pakistan ausgelöst. Nun gibt es Wirbel um ein neues Gesetz zur Einbürgeru­ng von Migranten, das nach dem Urteil einheimisc­her und ausländisc­her Experten die MuslimMind­erheit diskrimini­ert. Das ist ein falscher Kurs, weil er das Land spaltet und seine Erfolge gefährdet.

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