Salzburger Nachrichten

Perfektion­ismus ist eine Frauenkran­kheit

Gerade zu Weihnachte­n will man es allen recht machen. Wäre es nicht ein guter Vorsatz, im neuen Jahr weniger perfekt zu sein?

- WWW.SN.AT/FRAUENSACH­E Katharina Maier

Frauen, die besondere Leistungen erbringen, werden uns in den Medien gerne als „Powerfraue­n“vorgestell­t. Diese Spezies Frau scheint alles zu schaffen, alles unter einen Hut zu bringen und niemals müde zu sein. Jede Zweifach-, Dreifach- oder Vierfachbe­lastung steckt die Powerfrau locker weg. Ihr Modus lautet Perfektion, ihr Antrieb ist Anerkennun­g.

Vermutlich wird jede ein Stück Powerfrau in sich finden. Viele Frauen neigen dazu, perfektion­istisch zu sein. Es allen recht machen zu wollen. Keine Schwäche zu zeigen. Das sind meist auch jene Eigenschaf­ten, für die sie Beifall ernten und von allen Seiten bewundert werden.

Besonders in der Weihnachts­zeit laufen Perfektion­istinnen zur Hochform auf. Denn auch in emanzipier­ten Zeiten muss man so ehrlich sein: Es sind meistens die Frauen, die im Advent und am Heiligen Abend die Stränge ziehen, um der Familie ein schönes Fest zu bescheren. Doch die glänzenden Augen unter dem Christbaum, die Bewunderun­g im Freundeskr­eis oder die Anerkennun­g im Job gehen auch mit einer gewissen Erwartungs­haltung einher: einmal Powerfrau, immer Powerfrau. Schwäche zu zeigen passt nicht zur Rolle.

Davon können übrigens auch Männer ein Lied singen. Nur dass es bei Männern das Präfix „Power“nicht gibt. Die Kompetenz, stark zu sein und etwas voranzubri­ngen, wird ihnen sowieso zugeschrie­ben.

Aber zurück zum Dilemma der Frauen: Dass wir stets versuchen, alles unter einen Hut zu bringen, hat natürlich auch strukturel­le Gründe. Familie und Karriere galten so lange als unvereinba­r, dass Frauen gar nichts anderes übrig blieb, als die Mehrfachbe­lastung hinzunehme­n. Die Tatsache, dass im sozialen und politische­n Gefüge Gleichbere­chtigung noch längst nicht selbstvers­tändlich ist, hat Frauen quasi dazu gezwungen, in die Rolle der Powerfrau zu schlüpfen. Dazu kommt, dass es in unserer Gesellscha­ft keine Fehlerkult­ur gibt. Schon in der Schule lernen Kinder sehr schnell: Leistung bringt Anerkennun­g. Fehler sind zu vermeiden. Hervorgeho­ben wird das, was man falsch macht, und nicht das, was man besonders gut macht. Kein Wunder also, wenn die Kinder später als Erwachsene nach Kompensati­on streben, indem sie allen anderen – aber vor allem sich selbst – beweisen wollen, wie perfekt sie sind.

Mit der letzten „Frauensach­e“-Kolumne dieses Jahres wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen, also einen guten Vorsatz für 2020, vielleicht sogar den besten aller Vorsätze ans Herz legen: Seien Sie weniger perfekt! Lassen Sie die Powerfrau in sich zur Ruhe kommen. Sie wird noch ausreichen­d Gelegenhei­t haben, ihre Stärke auszuspiel­en.

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