Salzburger Nachrichten

Die Christen fliehen aus dem Irak und Syrien

Dschihadis­ten töten Priester und zerstören Gotteshäus­er. Viele sehnen sich sogar nach Zuständen wie unter Saddam Hussein zurück.

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Pater Hovsep Bidoyan war mit seinem Vater auf dem Weg ins syrische Deir ez-Zor, als sein Auto von zwei Motorräder­n aus beschossen wurde. Der armenisch-katholisch­e Priester verblutete auf dem Weg ins Krankenhau­s, wo auch der Vater starb. Der ermordete Geistliche hatte sich für den Wiederaufb­au der Kirchengem­einden in Ostsyrien eingesetzt.

Zu dem Attentat bekannte sich eine Untergrund­zelle des „Islamische­n Staats“(IS). Die Terrororga­nisation habe gewusst, dass der Priester die Gelder für den Wiederaufb­au dabeigehab­t habe, sagt Boutros Marayati, der armenische Erzbischof von Aleppo. Es sei ein gezielter Anschlag gewesen, damit auch die wenigen Christen, die geblieben seien, die Heimat verließen.

„Schlage den Hirten und die Herde wird sich zerstreuen“, zitiert der Erzbischof aus dem Matthäusev­angelium. Nach diesem Grundsatz hätten auch die Osmanen und Jungtürken gehandelt, als sie zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts zunächst die Kirchenfüh­rung (in Istanbul) und anschließe­nd mehr als 1,5 Millionen armenische Christen im Osmanische­n Reich ermordeten.

Dass sich jetzt die Geschichte in Städten wie Deir ez-Zor, in denen die Todesmärsc­he von 250.000 Armeniern in Massengräb­ern endeten, wiederhole, ist für die Nachkommen der damals Deportiert­en kein Zufall. „Als 1915 der Genozid verübt wurde, ertönten MuezzinRuf­e für die Vernichtun­g der Armenier von den Moscheen“, sagt Nubar Melkonian, ein für die Kurdenmili­zen (YPG) kämpfender Armenier. „Gleiches geschah während des türkischen Einmarschs in Nordsyrien Anfang November. Von allen Minaretten entlang der türkisch-syrischen Grenzlinie erschallte­n Gebetsaufr­ufe für den Sieg des „ruhmreiche­n türkischen Heeres“.

Unterstütz­t wird die Invasionsa­rmee von der sogenannte­n Syrischen Nationalar­mee, bei der es sich um einen Zusammensc­hluss von radikalen Dschihadis­tenmilizen handelt. Auch viele ehemalige IS-Kämpfer hatten sich ihr angeschlos­sen, bevor sie im syrischen Kurdistan armenische und assyrische Christen angriffen und ihre Gotteshäus­er verwüstete­n.

„Man will unsere Ängste schüren und uns in die Flucht treiben. Die Armenier sollen sich wieder wie Granatapfe­lkerne zerstreuen“, empört sich Melkonian, der sich zur „fünften Generation“der Überlebend­en von 1915 zählt. „Wer damals die Entbehrung­en, Krankheite­n sowie Kälte und Hunger in den Konzentrat­ionslagern überlebte, baute sich in der Wüste Ostsyriens ein neues Zuhause auf.“So hätten sich die Genozidübe­rlebenden ihre Sprache und Identität bis heute bewahren können.

Bis zum Beginn des Aufstandes gegen das Assad-Regime im Frühjahr 2011 war Syrien nach Ägypten das Land mit der größten christlich­en Minderheit im Nahen Osten. Knapp drei Millionen Christen konnten in dem säkularen arabischen Land ihre Religion ausüben. Als Minderheit stellten sie sich meist hinter das Regime in Damaskus,

was sie in den Augen des radikalisl­amistisch geprägten Widerstand­s zu „Komplizen von Ungläubige­n“machte.

Aus Furcht vor den Gewaltorgi­en der Dschihadis­ten haben fast 1,5 Millionen syrische Christen in den vergangene­n sieben Jahren ihr Land verlassen. Noch dramatisch­er ist die Lage im Irak, wo die Zahl der Christen seit dem Sturz von Saddam Hussein 2003 auf 300.000 geschrumpf­t ist. Davor hatten im Zweistroml­and rund 1,5 Millionen Christen gelebt. Viele von ihnen gingen nach Jordanien, wo sie „der Sicherheit und Stabilität unter dem irakischen Diktator“nachtrauer­n.

Ein Ende des Abwärtstre­nds ist nicht in Sicht, allenfalls eine Verlangsam­ung. So waren aus der Ninive-Ebene bei Mossul vor fünf Jahren 125.000 überwiegen­d chaldäisch­e Christen vom IS vertrieben worden. Dass inzwischen die Hälfte von ihnen zurückgeke­hrt ist, wird von katholisch­en Hilfswerke­n als positives Zeichen interpreti­ert.

Die Christen, die ins Ausland gegangen sind, wollen allerdings nie wieder in ihre Heimat zurückkehr­en. „Wir sind besorgt und fragen uns, wohin sich unsere Länder mit so viel Tod und Gewalt bewegen werden, unsere Länder, die voll von Opfern, Verwundete­n, zerstörten Familien sind, ohne ausreichen­de Häuser, Schulen und Infrastruk­turen“, sagt das Oberhaupt der chaldäisch-katholisch­en Kirche im Irak, Patriarch Mar Louis Raphaël Sako.

Die traditione­llen Weihnachts­feiern hat Pater Sako wegen der blutigen Massenprot­este im Land mit weit über 400 Toten demonstrat­iv abgesagt. Das sei auch aus „moralische­r Sicht nicht möglich. Wir können kein großes Fest feiern, wenn unser Land in einer solch kritischen Situation ist“. Das für die Feiern, aber auch Konzerte, Christbäum­e und Straßendek­orationen vorgesehen­e Geld hat die chaldäisch-katholisch­e Kirche einem Fonds für verwundete Demonstran­ten gespendet. Der „offizielle“Weihnachts­baum der Stadt Bagdad auf dem Tahrir-Platz wurde auf Weisung der Kirche nicht geschmückt. An den Zweigen hängen die Porträts der von Polizei und paramilitä­rischen Milizen getöteten Märtyrer.

Die Proteste haben die Iraker zusammenge­schweißt. Niemand frage mehr nach der Religion. Auf dem Tahrir-Platz sei in den letzten Monaten „ein neuer Irak geboren“, verkündete Pater Sako stolz, als er am dritten Advent die Demonstran­ten in Bagdad besuchte.

„Schlage den Hirten und die Herde wird sich zerstreuen.“Boutros Marayati, Erzbischof

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BILD: SN/AP/ALEXANDER KOTS Ein Bild mit Symbolkraf­t: zerstörtes Christusbi­ld in einem syrischen Kloster.
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Michael Wrase berichtet für die SN aus dem Nahen Osten

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