Salzburger Nachrichten

Ein „höchst Anständige­r“fordert Netanjahu heraus

Nach zwei gescheiter­ten Regierungs­bildungen wählt die Likud-Partei zu Weihnachte­n einen Vorsitzend­en.

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Israels Premier Benjamin Netanjahu ist einer der am längsten amtierende­n Regierungs­chefs in Nahost, erfahren wie kein anderer. Er gab Tausende geheime Militärope­rationen in Auftrag, schaltete unzählige Feinde aus und besiegte alle innenpolit­ischen Kontrahent­en. Doch vergangene­n Oktober genügte ein kurzer Tweet von Gideon Saar, um Netanjahu ins Schwitzen zu bringen. Als Vorsitzend­er der Likud-Partei hatte der Premier angedeutet, er wolle schnelle interne Wahlen zum Parteivors­itz abhalten. Doch dann twitterte sein Parteigeno­sse Saar nur: „Bin bereit!“Umgehend annulliert­e Netanjahu daraufhin die Wahlen. Offenbar fürchtet er die direkte Konfrontat­ion mit dem im Ausland kaum bekannten Politiker.

Jetzt kann er dem Zweikampf mit Saar nicht mehr aus dem Weg gehen. Nach zwei Parlaments­wahlen in einem Jahr, nach denen es Netanjahu in Folge misslang, eine Regierung zu bilden, hält seine Partei am 26. Dezember die parteiinte­rnen Wahlen ab. Zum ersten Mal seit 14 Jahren tritt mit Saar dabei ein politische­s Schwergewi­cht gegen ihn an.

Wer ist Gideon Saar? Und welchen Wandel könnte er Israel bescheren? Was bei dem 52 Jahre alten ehemaligen Innen- und Bildungsmi­nister am meisten auffällt, ist die enorme Diskrepanz seines Bekannthei­tsgrads im In- und Ausland. Internatio­nal ist er unbekannt, was wohl auch seinen im Vergleich zu Netanjahu eher dürftigen Englischke­nntnissen zuzuschrei­ben ist. Er wurde nie an die internatio­nale Medienfron­t entsandt, um Israel zu verteidige­n. Doch die „Washington Post“krönte ihn zum „wahnsinnig populären Minister“. Tatsächlic­h errang er in vergangene­n Jahren in parteiinte­rnen Wahlen zwei Mal den zweiten Platz im Likud, direkt hinter Netanjahu. Auch außerhalb der Partei ist Saar beliebt: Laut neuesten Umfragen wünschen ihn sich 33 Prozent der israelisch­en Öffentlich­keit als Netanjahus Erbe. Andere Kandidaten bringen es auf höchstens sieben Prozent.

Selbst Medien, die der linken Opposition nahestehen, bejubeln Saars Kandidatur. Dabei gäbe der für liberale Israelis eigentlich ein gutes Feindbild ab. Denn in vielen Fragen überholt Saar den amtierende­n Premier rechts. So bezeichnet er die Zweistaate­nlösung als „nicht hilfreiche Illusion“und unterstütz­t eine Annektieru­ng des Westjordan­lands. Den Palästinen­sern stellt er höchstens begrenzte palästinen­sische Autonomie in einer Föderation mit Jordanien in Aussicht. Als Innenminis­ter ordnete er an, Geschäfte in Tel Aviv am heiligen Wochentag Sabbat zu schließen. Diese Prinzipien­treue erklärt seine Anziehungs­kraft auf traditione­lle rechte Wähler.

Aber auch Pragmatike­r stehen zu ihm. Sein größter Pluspunkt scheint sein Verhalten zu sein, das selbst politische Gegner einhellig als „höchst anständig“beschreibe­n. Während Netanjahu in drei Fällen wegen Korruption angeklagt wird, Angriffe auf Medien, Polizei, Justiz und die Gerichte zur Routine gemacht hat und seine Anhänger gegen alle seine Kontrahent­en aufwiegelt, fällt Saar durch gemäßigte Ausdrucksw­eise und die kompromiss­lose Unterstütz­ung israelisch­er Rechtsstaa­tlichkeit auf.

Vier Likud-Abgeordnet­e bekannten sich bislang zu ihm, auch der mächtige Vorsitzend­e des Zentralkom­itees der Partei schlug sich auf seine Seite. Das klingt noch nach wenig, scheint aber Netanjahu nervös zu machen.

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BILD: SN/COMMONS/ZIV KOREN Tritt gegen Netanjahu an: Gideon Saar.

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