Miró macht gute Laune
Was verstaubt klingt, hat die Fäden am Puls der Zeit: Die Kunsthalle München zeigt Gobelins der letzten 100 Jahre.
MÜNCHEN. Es ist schon einmal entspannter zugegangen zwischen Angela Merkel und Emmanuel Macron. Auch das Flittern liegt eine Weile zurück, der politische Alltag zwischen Gelbwesten, EU-Zerreißproben und der NATO ist doch ernüchternd. Wenn sich aber Joan Miró unter die beiden mischt, wird ein Besuch der Bundeskanzlerin beim französischen Staatspräsidenten plötzlich zum farbglühend witzigen Rendezvous.
Erst im Oktober lief das entsprechende Foto aus dem Elysée-Palast über Merkels Instagram-Kanal, jetzt hängt Mirós viereinhalb mal drei Meter große „Komposition Nr. 1, Frau am Spiegel“im zentralen Saal der Kunsthalle München. Neben Entwürfen von Le Corbusier, Fernand Léger oder Alexander Calder ist diese heiter skurrile Spielerei aus Wolle ein Höhepunkt der Ausstellung „Fäden der Moderne“mit französischen Gobelins des 20. und 21. Jahrhunderts. Spätestens in dieser Runde hat man vergessen, dass gewebte „Wandbilder“nicht das beste Image vor sich hertragen.
Alte Schlösser sind ja voll davon, und der Staub, der ihnen anhaftet, kann für empfindsame Nasen zur Herausforderung werden. Früher hat das keinen interessiert, denn während man heute in der vollgedämmten Wohnung am Thermostatkopf dreht, mussten einst Teppiche die Wärme halten und für Behaglichkeit sorgen. Mit ihrer Pracht konnte man auch den Gästen imponieren, daran hat sich nicht viel geändert, wie man am Elysée-Palast sieht, der vor solchen Textilien fast überquillt.
Die Franzosen pflegen überhaupt eine intensive Beziehung zu dieser Kunst, das demonstrieren schon die Begrifflichkeiten. Als Gobelins dürfen übrigens auch nur die Tapisserien bezeichnet werden, die in der von der Färberfamilie Gobelin 1662, zu Zeiten Ludwigs XIV., gegründeten Pariser Manufaktur gefertigt werden. Natürlich ging dieses höchst aufwendige Kunsthandwerk durch einige Krisen; wovon der Adel einst nicht genug bekommen konnte, das verlor nach der Französischen Revolution und im Lauf des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. Und hätte der Staat die Manufacture des Gobelins sowie die vergleichbaren Werkstätten in Beauvais und die Savonnerie-Manufaktur nicht übernommen, wäre die Produktion längst eingestellt worden.
Allein, es fehlte an Inspiration. Die Malerei nachzuahmen, war von Beginn an eine fade Angelegenheit, doch es hat lang gedauert, bis Bildkonzeptionen und Dekor überwunden wurden, die sich letztlich an Barock und Historismus orientierten. Der Kick kam mit der Moderne: Raoul Dufy etwa platzierte um 1950 Badende vor eine Stadt am Meer, die in einem irren Kolorit leuchtet – 116 Farbtöne waren dafür nötig. Henri Matisse reduzierte die Ornamentik seiner „Lautenspielerin“(Entwurf von 1946) auf das Wesentliche und rekurrierte durch den roten Hintergrund und das Sujet sogar lässig auf die berühmte spätmittelalterliche Millefleur-Teppichserie der „Dame mit dem Einhorn“(um 1500, Musée Cluny). Picasso hat 1937 mit den „Frauen bei ihrer Toilette“eine vor Stoffmustern flirrende kubistische Papiercollage als Webvorlage entworfen. Punkte, Blümchen, Streifen und Zacken können die Schrecken des drohenden Krieges allerdings kaum kaschieren.
Dagegen hatte man sich in und zwischen den Weltkriegen wieder auf die Heimat besonnen. Im ersten Raum taucht man in die PyrenäenLandschaft (1917) von Edmond Yarz ein, in der die alte Detailfreude früher Tapisserien auf acht Metern Breite fröhliche Urständ feiert, von den winzigen Walderdbeeren bis zur niedlichen Fuchsfamilie. Ab und an lässt die Grande Nation dann aber auch die Muskeln spielen. Pierre-Henri Ducos de la Hailles Gobelin „Mekong“von 1935 verherrlicht den Kolonialismus, und auf historisierenden Sitzmöbeln donnern Panzer und knattern die ersten Flugzeuge (1922/23). Der Staat zahlt, also schafft er auch an.
Diese Kuriositäten sind nichts gegen den gewebten Größenwahn eines Hermann Göring. Während des Vichy-Regimes orderte der kunstmanische NS-Reichsmarschall 1940 über 70 Quadratmeter Tapisserien für seine Residenz Carinhall bei Berlin. Fertig geworden sind nur eine halbe Erdkugel mit viel allegorisch-mythologischem Pipapo und – für die Dienstwohnung von Außenminister Joachim Ribbentrop – ein Gobelin voll brauner Propaganda, für den sogar pures Gold herhalten musste. 3,5 Kilogramm sind am Streitwagen einer martialisch aufgedonnerten Fruchtbarkeitsgöttin samt Reichsadler-Feldzeichen mit Hakenkreuz verwoben. Dass es für große Flächen jahrelange Feinstarbeit braucht, wurde bei diesem abgeschmackten Auftrag zum Vorteil.
Das Prozedere von Weben und Knüpfen ist bis heute zeitintensiv. Auch deshalb schätzen die Künstler der schnelllebigen Moderne dieses Medium. Das zeigen die abstrakten Entwürfe von Sonia Delaunay (1954, 1967), die mit Textilem und Farbreizen sowieso umgehen konnte, und die in ihrer Wirkung gar nicht mehr so kühlen Op-Art-Tapisserien von Victor Vasarely (Mitte der 1970erJahre). Selbst dem baskischen Bildhauer Eduardo Chillida gelang es 1986, durch geschickte Einschnitte und ein ausgetüfteltes Spiel von positiven und negativen Formen die Wucht seiner Eisenskulpturen in die Fläche zu holen.
Dabei greifen manche Kreationen tatsächlich weit in den Raum oder wirken wie ein frisches Ölgemälde, dessen pastos aufgetragene Farben noch fließen und tropfen. Alain Séchas’ „Karte Japans“von 2010 ist so ein Fall. Weil auch diese verblüffende Arbeit zum „Mobilier national“für die Ausstattung französischer Spitzeninstitutionen gehört, könnte es leicht sein, dass die deutsche Kanzlerin beim nächsten Besuch im Elysée-Palast den Kopf einzieht.
Göring ließ NS-Symbole auf Gobelins weben
Ausstellung: „Die Fäden der Moderne – Matisse, Picasso, Miró und die französischen Gobelins“, Kunsthalle München, bis 8. März 2020.