Der Pyrrhussieg des Sebastian Kurz
Werner Kogler hat zwei Optionen: Regieren oder Opposition. Sebastian Kurz hat nur eine Option: Regieren. Das macht ihn bei den Verhandlungen erpressbar.
Es wird verhandelt: So lautet die Standardantwort, wenn man Vertreter von ÖVP oder Grünen fragt, wie es denn um die Koalitionsgespräche stehe. Das Wochenende, an dem einige einen Verhandlungsdurchbruch erwartet hatten, ist ergebnislos verstrichen. Es wird verhandelt. Wahrscheinlich über die Feiertage hinaus bis in den Jänner.
Wobei man hört, dass die ÖVP auf einen baldigen Abschluss der Regierungsgespräche drängt, während die Grünen eher auf der Bremse stehen. Was verständlich ist. GrünenChef Werner Kogler muss, ehe er seine Partei in die Bundesregierung führt, das fertige Verhandlungspaket erst vom grünen Bundeskongress absegnen lassen. Das ist kein geringes Risiko. Denn der grüne Parteichef wird einige schmerzliche Kompromisse eingehen müssen, und er wird einige deutliche Abstriche vom grünen Wahlprogramm vornehmen müssen, wenn er mit der ÖVP eine Bundesregierung bilden will. Man darf schon jetzt davon ausgehen, dass etliche der reinen Lehre verbundene Basis-Grüne dies als „Verkauf der grünen Seele“anprangern werden.
Der grüne Parteichef hat für diesen Fall freilich ein starkes Argument auf seiner Seite, das selbst die grünsten Grünen überzeugen müsste und das ungefähr so lautet: „Wenn wir – die Grünen – nicht in die Regierung eintreten, dann wird Sebastian Kurz umgehend eine Regierung mit der bösen FPÖ bilden, Herbert Kickl und tägliche Einzelfälle inklusive. Wollt ihr das tatsächlich verantworten?“
So sieht also die Drohkulisse aus, die Kogler beim grünen Bundeskongress aufbauen kann. Wobei man hinzufügen muss: Besagte Drohkulisse verliert von Tag zu Tag an Drohpotenzial. Denn selbst wenn man dem designierten Bundeskanzler Kurz unterstellt, dass er eigentlich viel lieber mit den Freiheitlichen regieren würde als mit den Grünen: Es geht nicht. Die FPÖ liefert jeden Tag den Beweis, dass sie nicht regieren kann. Eine Partei, deren führendes Personal Goldbarren in alpinen Safes und Eurobündel in Sporttaschen hortet und bei der nicht ganz klar ist, wer gerade wen bespitzeln und überwachen lässt, ist kein Regierungspartner. Ganz abgesehen davon, dass die von Straches Freunden angesagte Sprengung der Wiener FPÖ auch die Bundespartei in Trümmer legen könnte, und dann stünde Kurz plötzlich ohne Koalitionspartner da. Also exakt so wie im Mai 2017 (damals stellte Kurz der SPÖ den Regierungssessel vor die Tür) und im Mai 2019 (als Kurz der FPÖ die Freundschaft aufkündigte). Beide Male gewann Kurz hinterher die Wahl. Ob die Wähler im Fall eines neuerlichen Scheiterns auch ein drittes Mal auf Sebastian Kurz setzen würden, ist eher fraglich.
Somit hat der Triumph, den Kurz bei der Nationalratswahl vom 29. September feiern konnte, alle Anzeichen eines Pyrrhussiegs. Zwar ist die ÖVP seit diesem Wahltag, was es in der Geschichte dieser Republik noch nie gegeben hat, stärker als SPÖ und FPÖ zusammen. Doch es ist alles andere als einfach für den ÖVP-Chef, diesen Erfolg in politische Macht umzuwandeln.
Denn Kurz hat nur eine einzige sinnvolle Regierungsoption: jene mit den Grünen. Sollte sich Werner Kogler vom Verhandlungstisch erheben und die Gespräche platzen lassen, stünde der designierte Kanzler ohne Alternative da: Die FPÖ will zwar regieren, sie kann es aber nicht. Die SPÖ wiederum ist zwar regierungstauglich, derzeit aber führungslos. Die Neos sind zu klein, um gemeinsam mit der ÖVP eine parlamentarische Mehrheit darzustellen. Bleibt als Option eine türkise Minderheitsregierung, die niemand will. Oder Neuwahlen, die zur Folge hätten, dass Österreich ein weiteres Dreivierteljahr ohne Führung bleibt.
Diese strategische Ausgangslage ist auch prägend für die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen ÖVP und Grünen. Die ÖVP würde den Verhandlungssack gern so schnell wie möglich zumachen, um Tatsachen zu schaffen. Die Grünen hingegen wollen jedes Detail liebevoll ausverhandeln, um guten Gewissens vor den Bundeskongress treten zu können.
Und falls es nichts wird mit dem Regieren – kein Problem für Werner Kogler und die Seinen. Eher im Gegenteil, die Grünen hätten in diesem Fall sogar ein leichteres Leben. Sie müssten ihre Basis nicht mit Kompromissen verprellen, die sie als Regierungspartei notwendigerweise einzugehen haben. Sie könnten es sich in der Opposition behaglich einrichten und möglicherweise demnächst die SPÖ als wichtigste Kraft links der Mitte ablösen.
Werner Kogler hat also zwei Optionen: Regieren oder Opposition. Sebastian Kurz hat nur eine Option: Regieren. Was ihn bei den Verhandlungen erpressbar macht.
Doch seine Gegner mögen sich nicht zu früh freuen: Dieser junge Mann war seinen Gegnern in puncto Strategie und Taktik bisher immer überlegen.
Die Grünen hätten es in der Opposition eigentlich bequemer Noch ein Dreivierteljahr ohne politische Führung?