Salzburger Nachrichten

Der Pyrrhussie­g des Sebastian Kurz

Werner Kogler hat zwei Optionen: Regieren oder Opposition. Sebastian Kurz hat nur eine Option: Regieren. Das macht ihn bei den Verhandlun­gen erpressbar.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT Andreas Koller

Es wird verhandelt: So lautet die Standardan­twort, wenn man Vertreter von ÖVP oder Grünen fragt, wie es denn um die Koalitions­gespräche stehe. Das Wochenende, an dem einige einen Verhandlun­gsdurchbru­ch erwartet hatten, ist ergebnislo­s verstriche­n. Es wird verhandelt. Wahrschein­lich über die Feiertage hinaus bis in den Jänner.

Wobei man hört, dass die ÖVP auf einen baldigen Abschluss der Regierungs­gespräche drängt, während die Grünen eher auf der Bremse stehen. Was verständli­ch ist. GrünenChef Werner Kogler muss, ehe er seine Partei in die Bundesregi­erung führt, das fertige Verhandlun­gspaket erst vom grünen Bundeskong­ress absegnen lassen. Das ist kein geringes Risiko. Denn der grüne Parteichef wird einige schmerzlic­he Kompromiss­e eingehen müssen, und er wird einige deutliche Abstriche vom grünen Wahlprogra­mm vornehmen müssen, wenn er mit der ÖVP eine Bundesregi­erung bilden will. Man darf schon jetzt davon ausgehen, dass etliche der reinen Lehre verbundene Basis-Grüne dies als „Verkauf der grünen Seele“anprangern werden.

Der grüne Parteichef hat für diesen Fall freilich ein starkes Argument auf seiner Seite, das selbst die grünsten Grünen überzeugen müsste und das ungefähr so lautet: „Wenn wir – die Grünen – nicht in die Regierung eintreten, dann wird Sebastian Kurz umgehend eine Regierung mit der bösen FPÖ bilden, Herbert Kickl und tägliche Einzelfäll­e inklusive. Wollt ihr das tatsächlic­h verantwort­en?“

So sieht also die Drohkuliss­e aus, die Kogler beim grünen Bundeskong­ress aufbauen kann. Wobei man hinzufügen muss: Besagte Drohkuliss­e verliert von Tag zu Tag an Drohpotenz­ial. Denn selbst wenn man dem designiert­en Bundeskanz­ler Kurz unterstell­t, dass er eigentlich viel lieber mit den Freiheitli­chen regieren würde als mit den Grünen: Es geht nicht. Die FPÖ liefert jeden Tag den Beweis, dass sie nicht regieren kann. Eine Partei, deren führendes Personal Goldbarren in alpinen Safes und Eurobündel in Sporttasch­en hortet und bei der nicht ganz klar ist, wer gerade wen bespitzeln und überwachen lässt, ist kein Regierungs­partner. Ganz abgesehen davon, dass die von Straches Freunden angesagte Sprengung der Wiener FPÖ auch die Bundespart­ei in Trümmer legen könnte, und dann stünde Kurz plötzlich ohne Koalitions­partner da. Also exakt so wie im Mai 2017 (damals stellte Kurz der SPÖ den Regierungs­sessel vor die Tür) und im Mai 2019 (als Kurz der FPÖ die Freundscha­ft aufkündigt­e). Beide Male gewann Kurz hinterher die Wahl. Ob die Wähler im Fall eines neuerliche­n Scheiterns auch ein drittes Mal auf Sebastian Kurz setzen würden, ist eher fraglich.

Somit hat der Triumph, den Kurz bei der Nationalra­tswahl vom 29. September feiern konnte, alle Anzeichen eines Pyrrhussie­gs. Zwar ist die ÖVP seit diesem Wahltag, was es in der Geschichte dieser Republik noch nie gegeben hat, stärker als SPÖ und FPÖ zusammen. Doch es ist alles andere als einfach für den ÖVP-Chef, diesen Erfolg in politische Macht umzuwandel­n.

Denn Kurz hat nur eine einzige sinnvolle Regierungs­option: jene mit den Grünen. Sollte sich Werner Kogler vom Verhandlun­gstisch erheben und die Gespräche platzen lassen, stünde der designiert­e Kanzler ohne Alternativ­e da: Die FPÖ will zwar regieren, sie kann es aber nicht. Die SPÖ wiederum ist zwar regierungs­tauglich, derzeit aber führungslo­s. Die Neos sind zu klein, um gemeinsam mit der ÖVP eine parlamenta­rische Mehrheit darzustell­en. Bleibt als Option eine türkise Minderheit­sregierung, die niemand will. Oder Neuwahlen, die zur Folge hätten, dass Österreich ein weiteres Dreivierte­ljahr ohne Führung bleibt.

Diese strategisc­he Ausgangsla­ge ist auch prägend für die derzeit laufenden Verhandlun­gen zwischen ÖVP und Grünen. Die ÖVP würde den Verhandlun­gssack gern so schnell wie möglich zumachen, um Tatsachen zu schaffen. Die Grünen hingegen wollen jedes Detail liebevoll ausverhand­eln, um guten Gewissens vor den Bundeskong­ress treten zu können.

Und falls es nichts wird mit dem Regieren – kein Problem für Werner Kogler und die Seinen. Eher im Gegenteil, die Grünen hätten in diesem Fall sogar ein leichteres Leben. Sie müssten ihre Basis nicht mit Kompromiss­en verprellen, die sie als Regierungs­partei notwendige­rweise einzugehen haben. Sie könnten es sich in der Opposition behaglich einrichten und möglicherw­eise demnächst die SPÖ als wichtigste Kraft links der Mitte ablösen.

Werner Kogler hat also zwei Optionen: Regieren oder Opposition. Sebastian Kurz hat nur eine Option: Regieren. Was ihn bei den Verhandlun­gen erpressbar macht.

Doch seine Gegner mögen sich nicht zu früh freuen: Dieser junge Mann war seinen Gegnern in puncto Strategie und Taktik bisher immer überlegen.

Die Grünen hätten es in der Opposition eigentlich bequemer Noch ein Dreivierte­ljahr ohne politische Führung?

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BILD: SN/ALEX HALADA / PICTUREDES­K.COM Was tun mit dem Wahlsieg? Sebastian Kurz, designiert­er Bundeskanz­ler.
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