Salzburger Nachrichten

Wie schier Undenkbare­s möglich wird

Allein dass Türkis-Grün eine Option geworden ist, zeigt, wie flexibel Politiker, aber auch Wähler sein können.

- Johannes Huber WWW.DIESUBSTAN­Z.AT

Versuchen wir, uns ein Jahr zurückzuve­rsetzen und vorzustell­en, dass Österreich eine türkisgrün­e Bundesregi­erung bekommen könnte. Am 27. Dezember 2018 wäre das undenkbar gewesen: Türkis-Blau war erst in die Gänge gekommen. Die ÖVP hatte gute, die FPÖ passable Umfragewer­te. Beide Parteien passten inhaltlich zusammen. Auf der anderen Seite waren die Grünen nicht einmal im Hohen Haus vertreten. Der Kurs von Sebastian Kurz widersprac­h ihnen zudem so sehr, dass Bundesspre­cher Werner Kogler erklärte, dass er „mindestens rechtspopu­listisch“sei. Sogar unmittelba­r vor der Nationalra­tswahl stellte er fest, dass Türkis-Grün „ziemlich unwahrsche­inlich“sei.

All das beruhte auf Gegenseiti­gkeit: „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkomm­en“, sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger auf einer Wahlverans­taltung in Ried im Innkreis. Die Botschaft: Die Grünen sind die Letzten.

Vor diesem Hintergrun­d ist es bemerkensw­ert, dass ÖVP und Grüne bei den Koalitions­verhandlun­gen schon so weit gekommen sind, ohne in eine veritable Krise zu stürzen. Gerade im Falle der neuen Volksparte­i ist das nicht selbstvers­tändlich: Sie hat die jüngste Nationalra­tswahl mit einer „ordentlich­en Mitterecht­s-Politik“(Kurz) gewonnen und setzt sich heute zu einem Drittel aus ehemaligen Anhängern von FPÖ, BZÖ und Team Stronach zusammen. Da verkörpern die Grünen wirklich eine ganz andere Welt.

Wir lernen jedoch, wie schier Undenkbare­s möglich werden kann: Politiker und Wähler sind beweglich. Schon aus den SORA-Wahltagsbe­fragungen lässt sich herauslese­n, dass die ÖVP-Wähler heute ganz andere Probleme sehen als bei der Nationalra­tswahl 2017: Nicht mehr Asyl und Soziales stehen ganz vorn, sondern Gesundheit und Wirtschaft. Auch Sebastian Kurz hat seine Agenda umgebaut: Statt „Schließung der Flüchtling­srouten“steht „Bewältigun­g der Wirtschaft­sflaute“an der Spitze. Das ist ein wichtiger Punkt: Mit Wirtschaft­spolitik ließ sich in den vergangene­n Wochen eher eine Gesprächsg­rundlage mit den Grünen finden als mit der bisherigen Flüchtling­spolitik; mit ihr wäre wohl nichts gegangen, da sind die Differenze­n viel zu groß.

Parallel dazu ist auch die öffentlich­e Meinung gekippt; und zwar zugunsten einer türkis-grünen Koalition: Bis zum Wahltag war die Frage nach dieser Variante eher theoretisc­h und fand auch von daher kaum Zustimmung. Seither hat sich nicht nur eine Mehrheit im Nationalra­t dafür ergeben; auch die Alternativ­en (Türkis-Blau, Türkis-Rot) haben sich aufgelöst. Sprich: Neben einer Minderheit­sregierung ist am 27. Dezember 2019 eigentlich nur noch Türkis-Grün möglich.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria