Salzburger Nachrichten

Irans Führung fürchtet neue Protestwel­le

Mit einer Internetab­schaltung versucht das Regime in Teheran zu verhindern, dass wieder schwere Unruhen im Land ausbrechen.

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TEHERAN. Im schiitisch­en Islam wird der Toten am dritten, siebten und vierzigste­n Tag nach ihrem Ableben gedacht. Während der Islamische­n Revolution 1979 hatten besonders die in Abständen von 40 Tagen durchgefüh­rten Massendemo­nstratione­n zum Gedenken an die von der Armee erschossen­en Iraner schließlic­h zum Sturz des Schahs geführt. Gleiches soll sich jetzt wiederhole­n: 40 Tage nach der blutigen Niederschl­agung der Benzinprei­s-Proteste mit Hunderten von Toten hatten Aktivisten den zweiten Weihnachts­feiertag als „Auftakt zu einer zweiten Welle des Massenprot­ests“proklamier­t.

Nach den traditione­llen Trauerzere­monien auf den Friedhöfen, so forderte auch Irans Auslandsop­position in Tausenden Twitter-Botschafte­n, sollte das iranische Volk mit neuen Straßenpro­testen den Druck auf das Regime weiter erhöhen, wenn nicht gar ihm „den Todesstoß versetzen“. Die regierende Geistlichk­eit reagierte auf diese Protestauf­rufe mit einer Abschaltun­g des mobilen Internets.

Betroffen waren vor allem Provinzen im Süd-, West und Zentralira­n. Aber auch in Teheran wurde über eine spürbare Verlangsam­ung des Internets geklagt. Ob durch die Blockade der sozialen Medien eine abermalige Mobilisier­ung der vielen Unzufriede­nen im Iran verhindert werden konnte, war zunächst unklar. Im Kurznachri­chtendiens­t Twitter veröffentl­ichte Kurzvideos zeigen kleinere Trauerkund­gebungen in Isfahan, in

Schiras sowie in der Provinz Loristan. In Teheran filmten Aktivisten ein mit Schildern und Schlagstöc­ken aufmarschi­erendes Großaufgeb­ot der Polizei. Im Umkreis von Friedhöfen sollen Hunderte Menschen verhaftet worden sein.

Bis heute weiß man nicht genau, wie viele Menschen während der brutalen Niederschl­agung der Revolte nach der Verdreifac­hung der Benzinprei­se Mitte November ums Leben gekommen sind. Die Nachrichte­nagentur Reuters berief sich auf „anonyme Gewährsleu­te im Innenminis­terium“, als sie zuletzt 1500 Tote meldete. Revolution­sführer Ali Khamenei, so die Gewährsleu­te weiter, habe eine Niederschl­agung der Proteste „um jeden Preis“angeordnet. Schließlic­h sei „die Islamische Republik in Gefahr“gewesen, so der oberste iranische Geistliche zu seinem Schießbefe­hl.

Man habe die „Unruhestif­ter nicht nur in den Kopf, sondern in den Kopf und in die Beine geschossen“, zitierte der reformorie­ntierte Parlaments­abgeordnet­e Mahmud Sadeghi „aus einem vertraulic­hen Treffen mit Innenminis­ter Abdolreza Rahmani-Fazli“. Die Kaltblütig­keit des Ministers habe die Abgeordnet­en zutiefst schockiert.

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BILD: SN/AP Schießbefe­hl: Ali Khamenei.
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