Statistik der Widersprüche Offizieller Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Im Frühjahr verkündete die russische Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa, in den vergangenen acht Jahren habe man den Alkoholverbrauch pro Kopf von 18 auf 9,3 Liter im Jahr halbieren können. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Österreicher trinkt mehr als zehn Liter im Jahr. Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie der Weltgesundheitsbehörde WHO bestätigt, dass der russische Alkoholkonsum zwischen 2003 und 2016 um 43 Prozent sank. „Wir zerstören hier
Stereotype über Russland“, freut sich die WHO-Expertin Carina Ferreira-Borges.
Aber wenn die Russen nun tatsächlich so wenig Alkohol trinken, scheinen sie ihn inzwischen viel schlechter zu vertragen als andere Völker: Nach einer anderen WHOStudie von 2018 befinden sich 11,6 Prozent der Russen über 15 Jahren in einem Zustand „verhängnisvollen Alkoholmissbrauchs“, die zweithöchste Abhängigkeitsrate in der Welt. Laut WHO waren 2016 fast 22
Prozent aller Todesfälle in Russland mit Alkoholkonsum verbunden, der global viertschlechteste Wert. Laut der Medizinzeitschrift „Lancet“bedeutete das 180.000 männliche und 43.000 weibliche Alkoholtote.
In der Staatsduma begründeten Regierungsparlamentarier einen neuen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der sowjetischen Ausnüchterungsanstalten mit verheerenden Zahlen: Jährlich kämen über 50.000 Menschen im Suff um, von 2011 bis 2018 sei die Zahl der Straftaten
durch Betrunkene um 35 Prozent gestiegen. Und Experten kritisieren, die offizielle Statistik über die Todesopfer des Alkohols sei viel niedriger als die realen Zahlen: Mehrere einschlägige Krankheitsbilder wie Leberzirrhose oder Herzprobleme würden einfach unter anderen Todesursachen kategorisiert.
Das offizielle Russland ist trotzdem hochzufrieden mit sich. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti sank der Verkauf alkoholischer Getränke von 2012 bis 2016 um das Zweieinhalbfache. Die Behörden verweisen als Grund dafür auf staatliche Maßnahmen: Man habe die Preise für alkoholische Produkte stark erhöht und ihren Verkauf auf die Zeit zwischen acht und 23 Uhr eingeschränkt. Außerdem drohen Personen, die in der Öffentlichkeit Alkohol trinken, Bußgelder von bis zu umgerechnet 20 Euro oder gar 15 Tage Arrest. Allerdings ist Alkohol in Russland noch immer viel billiger als etwa in Skandinavien. Und viele Russen brennen ihren Alkohol selbst.