Lieber nackt als im Pelz aus dem Computer
Tom Hooper hat versucht, das Musical „Cats“zu verfilmen. Das Ergebnis ist ein Desaster – und zwar eines, das nachdrücklich verstört.
Zunächst eine Warnung: Schauen Sie sich diesen Film nur an, wenn Sie viel übrig haben für ungewollt Surreales. Als Musicalverfilmung ist „Cats“unter der Regie von Tom Hooper wirklich sehr danebengegangen. Wenn man ihn als seltsamen Horrorfilm betrachtet, dann geht’s.
Prinzipiell liegt die Idee ja nahe: In Zeiten der Internetdauerpräsenz von Katzen müsste das ewige Erfolgsmusical mit den singenden Miezen fantastisch ankommen im Kino, zumal die Melodien von Andrew Lloyd Webber seit den 1980ern Hits sind. Ursprünglich waren die Songs ein unzusammenhängender Liederzyklus gewesen, nach einer absurd-heiteren Gedichtesammlung, die T. S. Eliot in den 1930ern geschrieben hatte. Eine durchgängige Handlung war daher immer schon eine der Schwächen des Musicals. Dem seit bald 40 Jahren anhaltenden Erfolg hat das nicht geschadet.
Das Problem von Tom Hoopers „Cats“ist auch nicht der Inhalt, es sind diese vermaledeiten Viecher. „Cats“ist ein Mix aus realen Kulissen und CGI, also computergenerierten Bildern, für die die Bewegungen von Schauspielerinnen und Schauspielern in Spezialanzügen aufgezeichnet wurden. Da die Besetzung schierer Luxus ist – Judi Dench, Ian McKellen, Jennifer Hudson, Taylor Swift und viele andere – haben die Katzen im Film menschliche Gesichter und auch weitgehend menschliche Körper, allerdings mit Katzenhaar bedeckt.
Das wäre noch hinzunehmen, würde der Film dieses visuelle Konzept durchhalten. Aber manche Katzen tragen zum Fell noch üppige Pelzmäntel. Außerdem sind die Größenverhältnisse zwischen Katzen und Kulisse außer Kontrolle: Manchmal ist ein menschlicher Fingerring so groß, dass eine Katze ihn um den Hals tragen kann, eine andere Katze wiederum trägt Ringe an ihren Katzenfingern. Eine Mieze turnt in einem Menschenbett dessen Format vermuten lässt, sie müsse einer erwachsenen Person zumindest zur Hüfte reichen. Manche Katzen laufen auf den Hinterbeinen,
manche mit dem Hintern in der Höhe auf allen Vieren, manche kriechen. Verwirrend.
Die katzenhaften Figuren der Filmgeschichte sind Legion, die Cat Women, Black Panthers und Leopardenfrauen, alle sind unweigerlich sexy. „Cats“hingegen ist unerotisch, mit diesen geschlechtsteillosen Katzen, die sich offenbar durch Singen und Tanzen fortpflanzen – anders ist die aufdringliche, dabei verstörend sterile Rolligkeit der Miezen nicht zu erklären. Womöglich, der Gedanke ist tröstlich, existiert in Tom Hoopers Safe eine nicht jugendfreie Version, in der sich Judi Dench als Old Deuteronomy von jungen Katern den Pelz putzen lässt, und das Kätzchen Victoria mit ihren Diebsgefährten auf dem Menschenbett nicht nur keusch herumhüpft und Perlenketten anprobiert.
Die Handlung ist etwa folgende: Das unerfahrene Kätzchen Victoria (Francesca Hayward) wird von einer
Bande Straßenmauzis aufgelesen, und lernt, wie es unter Londons Katzen zugeht. Es gibt verwöhnte Hauskatzen, magische Katzen, es gibt einen Theaterkater und einen steppenden Eisenbahnkater, und es gibt den bösen Kater Rum Tum Tugger, der offenbar auch Katze Grizabellas Zuhälter ist. Alle Miezen warten auf Old Deuteronomy, die in der Nacht des Jellicle-Balls jene Katze bestimmt, die in den Himmel kommen soll, aber Rum Tum Tugger will das verhindern, oder so. Egal.
Im Schlepptau der Ohrwürmer tauchen in den folgenden Tagen im Kopf der Zuschauerin Bildfetzen auf, die schwer zu vergessen sind: menschliche Gesichter auf Tierkörpern, Chimären, Wechselwesen wie von Hieronymus Bosch, dabei nicht nur Katzen, sondern auch Mäuse mit Menschengesichtern, sogar Kakerlaken, die – kein Witz! – menschliche Brüste haben, und Momente, die den surrealen Eindruck
noch steigern, etwa wenn Rebel Wilson als Jennyanydots am Hals ihres Fells einen Reißverschluss öffnet, und dann darunter nicht nackt ist, sondern wieder ein Fell trägt, diesmal mit Strass besetzt. Bitte, warum???
Diese Galerie von Abartigkeiten mag reizvoll klingen. Aber Tom Hooper nutzt die Gelegenheit, aus „Cats“einen öden Film zu machen. Zu alledem musste Hooper zugeben, dass die Computereffekte bis zur Premiere kaum fertig geworden waren; aus einem internen E-Mail wurde bekannt, dass manche USKinos nachträglich eine Version mit verbesserten Effekten bekommen sollen. „Cats“ist ein Film, den man gesehen haben muss, um ihn zu glauben – aber guten Gewissens kann man niemanden ins Kino schicken. Wie fatal so ein lange Zeit und mit hohem Budget umgesetzter Film danebengehen kann, ist eine Sonderleistung.