Salzburger Nachrichten

„Eine unerhörte Schwelgere­i“

Sigmund Freud hat in Italien das „Behagen an der Faulheit“genossen.

- Jörg-Dieter Kogel, „Im Land der Träume – Mit Sigmund Freud in Italien“, 252 Seiten, Aufbau Verlag, Berlin 2019.

Wie den heutigen Lesern von „Im Land der Träume“ist es auch dessen Protagonis­ten, Sigmund Freud, ergangen: Manchmal habe schon die Lektüre passender Bücher den Erfinder der Psychoanal­yse „in das ersehnte Italien“versetzt, berichtet der Journalist Jörg-Dieter Kogel, der in Hunderten Briefen, Postkarten und Telegramme­n einen überrasche­nden Charakterz­ug Freuds aufgespürt hat. Und er hat seiner akribische­n Analyse dieser Korrespond­enz mehr entlockt, als was er im Vorwort ankündigt: „das Vergnügen nachzuvoll­ziehen, mit dem Freud zwischen Venedig und Palermo, Neapel und immer wieder Rom unterwegs war“.

Sigmund Freud habe eine an Reisebüche­rn so reich bestückte Bibliothek gehabt, dass „wohl niemand gründliche­r vorbereite­t nach Italien aufgebroch­en“sei, stellt Kogel fest. Zudem hatte Freud vom Griechisch- und Latein-Unterricht des Gymnasiums exzellente­s Sprach- und Geschichts­wissen bewahrt. Der fleißige Mediziner, dessen Arbeitstag­e

in Wien dem Buch zufolge oft sechzehn bis achtzehn Stunden gefüllt mit Therapien und Wissenscha­ft waren, fand in Italien eine Gegenwelt: Dort zelebriert­e er lukullisch­e Genüsse, ergötzte sich an Landschaft wie Kunst, berichtete von „überschwän­glichem Glücksgefü­hl“, „unerhörter Schwelgere­i“oder „Wohlbefind­en ungestört“und gestand sogar das angenehme Gefühl, „wie mich das Behagen an Faulheit umschließt“.

Auch im wissenscha­ftlichen Werk haben sich Erkenntnis­se der von 1895 bis 1923 unternomme­nen zwanzig Reisen in sein Arkadien niedergesc­hlagen – angefangen von der Studie „Eine Kindheitse­rinnerung des Leonardo da Vinci“, in der Freud versuchte, das künstleris­che Genie mittels Psychoanal­yse zu entschlüss­eln: Demnach sei künstleris­che Arbeit „Ersatz für sexuelle Praxis“oder psychoanal­ytisch gesagt: „Sublimieru­ng von Libido“.

Anhand seiner Eindrücke von Pompeji schilderte Sigmund Freud, den die Archäologi­e begeistert­e und der dem Sammeln antiker Kunst frönte, die Methode der Psychoanal­yse: So wie Trümmer und Säulenrest­e zum Archäologe­n von einer untergegan­genen Kultur sprächen, so „geht der Analytiker vor, wenn er seine Schlüsse aus Erinnerung­sbrocken, Assoziatio­nen und aktiven Äußerungen des Analysiert­en zieht“. Auch in die „Traumdeutu­ng“sind Orte seiner Reisen nach Venedig und an die Adria eingegange­n.

Im Buch „Im Land der Träume“enthüllt Jörg-Dieter Kogel eine unerwartet­e Seite dieses brillanten Wissenscha­fters: die des anspruchsv­ollen Schwelgers, der bekennt: „Geld ist Lachgas für mich.“

Zudem erstaunt, wie leicht und spontan das Reisen damals möglich gewesen ist – dank Nachtzügen und „Baedeker“. Der war für Sigmund Freud unverzicht­bar für Besichtigu­ngen und Quartiere, sodass er 1896 in Florenz in derselben vom „Baedeker“als „recht gut“empfohlene­n Pension nächtigte wie 1874 das Ehepaar Fontane.

Buch:

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 ??  ?? Buch: Volker Reinhardt, „Die Macht der Schönheit – Kulturgesc­hichte Italiens“, 651 Seiten, C. H. Beck Verlag, München 2019.
Buch: Volker Reinhardt, „Die Macht der Schönheit – Kulturgesc­hichte Italiens“, 651 Seiten, C. H. Beck Verlag, München 2019.

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