Salzburger Nachrichten

„Bräuche geben im Leben Halt wie ein Stiegengel­änder“

Sie schaffen Verbundenh­eit innerhalb einer Gruppe – und damit auch Abgrenzung. Experte Michael Greger geht der Frage nach, wie sich Bräuche entwickeln.

- Michael Greger, Brauch-Experte

SALZBURG. Mit Begriffen wie „echten“oder gar „heidnische­n Bräuchen“tut sich Michael Greger schwer. Seine Disziplin – die der Europäisch­en Ethnologie – war von heute nicht mehr haltbaren Thesen der völkischen Wissenscha­ft geprägt. Die Europäisch­e Ethnologie bzw. die heute verpönte Bezeichnun­g „Volkskunde“

hat sich erst in den 1920er-Jahren an den Universitä­ten etabliert. Zur Zeit des Nationalso­zialismus sei versucht worden, christlich geprägten Bräuchen einen germanisch­en Ursprung zu geben. „Aber nur weil die Germanen vielleicht schon einen grünen Kranz aufgehängt haben, geht der Adventkran­z nicht darauf zurück. Auch der Schwerttan­z hat seinen Ursprung nicht bei den Germanen, sondern bei den Knappen des frühen Bergbaus“, erklärt Greger. Schmunzeln müsse er, wenn der „heidnische Brauch“als Ursprung mancher Tradition bemüht werde.

Denn: Dieses „heidnisch“taucht bei Fürsterzbi­schof Colloredo – einem Verfechter von Reformen im Sinn der Aufklärung – auf. Für ihn galten viele Bräuche als „nicht aufgeklärt“, er ließ viele Prozession­en verbieten. „Keinesfall­s hat er mit ,heidnisch‘ aber einen germanisch­en oder gar keltischen Ursprung der kritisiert­en Bräuche angesproch­en.“

Seit den 1960er-Jahren widmet sich die Europäisch­e Ethnologie der Aufarbeitu­ng ihrer Forschungs­geschichte. Auch in den Beständen des Salzburger Instituts für Volkskunde befinden sich Nachlässe von Vertretern der völkischen Wissenscha­ft. „Wertlos sind die Nachlässe für uns deshalb nicht“, sagt Michael Greger. So gebe es darin viele Fotografie­n, die Bräuche des vergangene­n Jahrhunder­ts abbilden. „Wir katalogisi­eren und bearbeiten diese Nachlässe quellenkri­tisch“, sagte Michael Greger.

Der 48-jährige Steirer ist durch Zufall zum Ethnologen geworden. „Beim Inskribier­en für Germanisti­k wurde mir gesagt, dass ich dazu ein weiteres Studienfac­h wählen müsse. Im Lehrverans­taltungsve­rzeichnis bin ich bei einer Vorlesung über Weihnachts­bräuche hängen geblieben. Ich war fasziniert von der Vorstellun­g, dass man sich da ein Semester

lang wissenscha­ftlich mit Weihnachts­geschenken auseinande­rsetzt“, schildert er. „Das war natürlich sehr naiv von mir. Ich habe schnell gemerkt, dass es um Bräuche und ihre Geschichte geht. Und dass viele Bräuche viel jünger sind, als man annehmen würde. Den Adventkran­z gibt es zum Beispiel erst seit 1839. Und der erste Salzburger Christbaum – für den es einen Beleg gibt – stand zu Weihnachte­n 1826 im Haus des aus dem Schwäbisch­en zugezogene­n Spitzenhän­dlers Koch am Alten Markt.“Zwar habe es schon im 16. und 17. Jahrhunder­t in den Zunftstube­n zu Weihnachte­n Bäume gegeben. Darauf hingen Äpfel und Nüsse, die Kinder heruntersc­hütteln durften. „Das waren aber noch keine Christbäum­e – die gibt es erst seit Anfang des 19. Jahrhunder­ts

und nur im hochadelig­en und großbürger­lichen Milieu“, schildert Greger. Unter den vielen Geschichte­n, die er zu erzählen hat, ist auch diese Anekdote aus der Zeit von Metternich­s Überwachun­gsstaat: „Als im Salon der Fanny von Arnstein 1814 der erste Christbaum Wiens stand, befand sich unter den Gästen ein Polizeispi­tzel. Er berichtete von einer Christbaum­feier nach Berliner Sitte und davon, dass die Gäste ein Souvenir vom Christbaum mitbekamen.“Michael Greger kam vor sechs Jahren als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an das Landesinst­itut für Volkskunde. Seine erste berufliche Station war das steirische Universalm­useum Joanneum in Graz, seiner Geburtsund Studiensta­dt. „Dort habe ich während des Studiums als Museumsauf­sicht gearbeitet.“Später arbeitete er für das Center for Interameri­can Studies an der Universitä­t Graz und für den Verein Schloss Trautenfel­s – das Schloss gehört zum Joanneum. Der Wechsel nach Salzburg habe ihm zunächst „Lehrjahre“beschert, sagt er. Denn auch wenn er die Bräuche des inneralpin­en Raumes schon vorher kannte: In Salzburg gebe es doch einige Besonderhe­iten. Diese thematisie­rt Greger in seinem Buch „Salzburgs immateriel­les Kulturerbe“, das im Jänner erscheinen wird.

„Bräuche wandeln sich. Sie bleiben, solange wir sie brauchen.“

SN-Info: Ein Mal pro Monat lädt Michael Greger zur telefonisc­hen Sprechstun­de. Interessie­rte können ihre Fragen per E-Mail (MICHAEL.GREGER@SALZBURG.GV.AT) oder am Telefon (0662 8042 2353) stellen. Die nächste Gelegenhei­t dazu bietet der 9. Jänner (16 bis 18 Uhr).

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BILD: SN/SCHENKER Michael Greger leitet seit neun Monaten das Salzburger Institut für Volkskunde.
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