Es werde Licht
Kein Licht ist romantischer als der Schein einer Kerze. Das alte Gewerbe aber hat es zunehmend schwer. In Salzburg ist die Kerzenmanufaktur Nagy die letzte ihrer Art. Andere, größere Hersteller gehen digitale Wege.
SALZBURG. Auf dem Papier betrachtet, ist der Wachszieher in Österreich längst ausgestorben. Seit 15 Jahren gibt es ihn als Lehrberuf nicht mehr, auch eine Innung als standesgemäße Vertretung fehlt dem alten Gewerbe. „Wir sind jetzt Gastmitglied in der bayerischen Wachszieherinnung“, erklärt Wolfgang Svoboda. Als Geschäftsführer der Lebkuchen- und Kerzenmanufaktur Nagy ist er der Letzte seiner Art in Salzburg.
Seit 140 Jahren gibt es den Betrieb, den Svoboda heute gemeinsam mit seinen Schwestern Elisabeth Maislinger und Gabriela Adelmanseder in fünfter Generation führt. Dass es in der Kerzenproduktion an der Sterneckstraße auch eine Backstube gibt, hat historische Gründe. Aus einem Produkt – dem Honig respektive den Honigwaben – wurden zwei erzeugt: Lebkuchen und Kerzen. Im Kollektivvertrag ist man deshalb, seit der Wachszieher ein freier Beruf ist, bei den Konditoren beheimatet.
Bei den Kerzen konzentriert sich die Hauptsaison auf die Zeit von Allerheiligen bis Weihnachten. Mehr als ein Drittel des Jahresumsatzes wird dann gemacht, die Mitarbeiterzahl bei Nagy steigt von 15 auf 25. „Retten tun unser Geschäft aber die Anlasskerzen“, erklärt Svoboda. Sie werden individuell gestaltet, etwa für Taufen oder Hochzeiten. „Wir erfüllen persönliche Wünsche, das unterscheidet uns von allen anderen, das kann man nicht so einfach im Internet bestellen.“Per Hand bemalt oder mit Figuren aus Wachsfäden liebevoll verziert, werden die Kerzen oft zu lebenslangen Erinnerungsstücken.
Neue Wege der Umweltfreundlichkeit geht man mit der Gastronomie. Über ein Recyclingsystem werden Kerzengläser wiederbefüllt. Überhaupt werde der Trend zur Nachhaltigkeit immer deutlicher, sagt Svoboda. So steige auch wieder die Nachfrage nach Bienenwachskerzen, „obwohl die ein Vielfaches im Vergleich zur normalen Kerze kosten“. Dass der herkömmliche Rohstoff Paraffin ein Nebenprodukt der Erdölproduktion sei, mache das Kerzengeschäft mitunter schwer kalkulierbar, erklärt der Nagy-Chef. Zudem sei durch die Konzentration auf nur mehr ein paar wenige große Hersteller eine Monopolstellung entstanden.
Mit Alternativen zu Paraffin beschäftigt man sich auch bei der European
Candle Association (ECA), dem Europäischen Verband der Kerzenhersteller mit Sitz in Stuttgart. Dort heißt es, Zertifizierungen für neue Rohstoffe wie Fette oder Stearin seien mit erheblichen Kosten und Aufwand verbunden. Händler und Verbraucher seien derzeit noch nicht bereit dazu, die Mehrkosten mitzutragen.
Generell erfährt die Kerze seit einigen Jahren wieder einen Nachfrage-Boom – mitgetragen auch von heimeligen Entschleunigungstrends wie dem dänischen Hygge oder Lagom aus Schweden. Dem jüngsten Branchenbericht Herbst/Winter 2018/19 zufolge wurden in einem neuen Allzeitrekord europaweit 790.000 Tonnen Kerzen verkauft.
Gleichzeitig hätten sich die Umsatzzahlen leicht verringert. Verantwortlich macht man dafür auch den Fall der Antidumpingzölle für Billigimporte aus China vor drei Jahren. Seither würden die Importe aus China und aus anderen Billiglohnländern in Asien wieder deutlich zunehmen und vor allem bei den Diskontern landen, klagt der Verband. Aber auch die zuletzt langen und heißen Sommer in Europa hätten das Kerzengeschäft gebremst, erklärt Geschäftsführer Stefan Thomann. „Es ist halt schon so: Schmuddelwetter ist Kerzenwetter.“
Zum mit Abstand größten Produktionsland hat sich Polen entwickelt. Mehr als die Hälfte der in Europa hergestellten Kerzen stammt mittlerweile von dort. Auch Österreichs Marktführer Hofer Kerzen aus Weyer in Oberösterreich bezieht einen Teil seiner Kerzen von dort. Das seit 1823 als Familienbetrieb geführte Unternehmen hat 2004 die heimische Produktion stillgelegt. Seither beziehe man die Kerzen von verschiedenen Lieferanten aus Polen, der Slowakei oder den baltischen Ländern, sagt Firmenchef Herbert Hofer.
Mit der Veränderung der Firmenstrategie hinein in ein Netzwerk habe sich der Umsatz mehr als verdoppelt. „Das Geschäft funktioniert, wir sind happy. Die Kerze hat sich als Gegentrend zur Digitalisierung etabliert.“Jährlich rund 60 Millionen Kerzen verkauft Hofer.
Seit etwa einem Jahr gibt es aber auch am Firmensitz in Oberösterreich wieder eine kleine Produktion, wenn auch in ganz neuem Stil – und der ist digital. Auf der interaktiven Website amicanda.com können Kunden ihre Kerzen individuell gestalten, etwa auch mit eigenen Fotos. „Innerhalb von 24 Stunden wird die Kerze dann bei uns in Weyer bedruckt“, erklärt Hofer. Ziel sei es, mit dem individualisierten Kerzendruck international erfolgreich zu werden.
Bei Nagy in Salzburg dagegen bleibt man der Tradition treu. Auf drei Stockwerke verteilt sich die Produktion der Lebkuchen und Kerzen, die es in 60 verschiedenen Größen und Farben gibt. Das „größte Ungetüm“sei die Zugmaschine für die Dochterzeugung, sagt Firmenchef Wolfgang Svoboda. Etwa einen Meter Durchmesser misst die große Metalltrommel, auf der die Fäden aufgespannt sind und so durch heißes Wachs gezogen werden. Am Ende sind sie – je nach Bedarf – acht Millimeter bis drei Zentimeter dick.
Zur Weihnachtszeit besonders begehrt sind die Nagy-Kerzen mit christlichen Motiven. Sie werden in Modeln gegossen und per Hand bemalt. Selbst Krippenfiguren werden noch in alter Tradition aus Wachs hergestellt. Das größte Jesuskind ist 25 Zentimeter groß, hat blitzblaue Augen aus Glas und trägt eine Haarpracht aus Mohairwolle. „16 Arbeitsschritte stecken da drin“, erklärt der Firmenchef stolz.
Ob er nie ans Aufhören gedacht hat? Wolfgang Svoboda antwortet mit einem Seufzer. Als man 2012 das Verkaufsgeschäft in der Linzer Gasse in Salzburg zugesperrt und Shop und Produktion an der Sterneckstraße konzentriert habe, da sei der Aufschrei groß gewesen, erzählt er. „Gekauft wird dann aber doch wieder die billige Kerze bei Ikea.“