Salzburger Nachrichten

Jetzt muss die Regierung das Kleingedru­ckte liefern

Die Feierstund­e ist vorbei, die Mühen der Ebene beginnen. ÖVP und Grüne müssen das in sie gesetzte Vertrauen rechtferti­gen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Als die neue Bundesregi­erung nach ihrer Angelobung von der Präsidents­chaftskanz­lei über den Ballhauspl­atz ins vis-à-vis gelegene Kanzleramt schritt, gab es zwar einige verirrte Buhrufe, aber auch verhaltene­n Applaus einiger Passanten für Kanzler, Vizekanzle­r und die Damen und Herren Minister. Das ist ein schönerer Auftakt als vor zwei Jahren. Als damals Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen die türkisblau­e Bundesregi­erung angelobte, war der Ballhauspl­atz weiträumig abgeriegel­t und auf dem Heldenplat­z protestier­ten Tausende.

Es wäre unzulässig, aus der Zustimmung einiger Ballhauspl­atz-Zaungäste abzuleiten, dass sich die Regierung Kurz/Kogler größerer Akzeptanz in der Bevölkerun­g erfreut als die abgewählte Regierung Kurz/Strache. Fest steht indes, dass die neue Regierung weit weniger polarisier­t als die alte. Und fest steht, dass das Vertrauen in die Politik, das nach der Ibiza-Affäre rettungslo­s erschütter­t schien, einigermaß­en wiederherg­estellt sein dürfte. Daran hat die wohltuend sachliche und unpolemisc­he Amtsführun­g der Übergangsr­egierung Bierlein einen übergroßen Anteil. Doch auch ÖVP und Grüne haben bereits eine Vorleistun­g in puncto Vertrauens­erwerb geleistet. Und zwar dadurch, dass die monatelang­en Koalitions­verhandlun­gen weitgehend ohne Fouls und gegenseiti­ge Anschüttun­gen vonstatten­gingen. Man erinnert sich dunkel an die letzten Jahre der SPÖ-ÖVPKoaliti­on, als die beiden Partner habituell in aller Öffentlich­keit aufeinande­r einschluge­n. Entspreche­nd desaströs waren die Wahlergebn­isse. Die neue Regierung will es offenkundi­g besser machen.

Einfach wird das Versöhnung­swerk der so unterschie­dlichen Partner ÖVP und Grüne freilich nicht werden. Denn das türkis-grüne Regierungs­programm birgt jede Menge Streitpote­nzial. Viele Vorhaben beschränke­n sich auf Überschrif­ten. Das Kleingedru­ckte muss die Regierung erst nachliefer­n. Wie soll beispielsw­eise das Steuersyst­em umgebaut werden, ohne neue Schulden zu machen und ohne die Steuerlast zu erhöhen? Können es die Grünen ihren Wählern (und der Verfassung) zumuten, die Präventivh­aft einzuführe­n? Werden sich die Regierungs­parteien bei der nächsten Migrations­krise auf eine gemeinsame Politik einigen können? Wie sollen die ehrgeizige­n Vorhaben, von der Absicherun­g der Pflege bis zur Dekarbonis­ierung der Energiegew­innung, finanziert werden? Die Regierungs­zusammenar­beit wird mindestens so schwierig, wie es die Regierungs­verhandlun­gen waren.

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