Jetzt muss die Regierung das Kleingedruckte liefern
Die Feierstunde ist vorbei, die Mühen der Ebene beginnen. ÖVP und Grüne müssen das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen.
Als die neue Bundesregierung nach ihrer Angelobung von der Präsidentschaftskanzlei über den Ballhausplatz ins vis-à-vis gelegene Kanzleramt schritt, gab es zwar einige verirrte Buhrufe, aber auch verhaltenen Applaus einiger Passanten für Kanzler, Vizekanzler und die Damen und Herren Minister. Das ist ein schönerer Auftakt als vor zwei Jahren. Als damals Bundespräsident Alexander Van der Bellen die türkisblaue Bundesregierung angelobte, war der Ballhausplatz weiträumig abgeriegelt und auf dem Heldenplatz protestierten Tausende.
Es wäre unzulässig, aus der Zustimmung einiger Ballhausplatz-Zaungäste abzuleiten, dass sich die Regierung Kurz/Kogler größerer Akzeptanz in der Bevölkerung erfreut als die abgewählte Regierung Kurz/Strache. Fest steht indes, dass die neue Regierung weit weniger polarisiert als die alte. Und fest steht, dass das Vertrauen in die Politik, das nach der Ibiza-Affäre rettungslos erschüttert schien, einigermaßen wiederhergestellt sein dürfte. Daran hat die wohltuend sachliche und unpolemische Amtsführung der Übergangsregierung Bierlein einen übergroßen Anteil. Doch auch ÖVP und Grüne haben bereits eine Vorleistung in puncto Vertrauenserwerb geleistet. Und zwar dadurch, dass die monatelangen Koalitionsverhandlungen weitgehend ohne Fouls und gegenseitige Anschüttungen vonstattengingen. Man erinnert sich dunkel an die letzten Jahre der SPÖ-ÖVPKoalition, als die beiden Partner habituell in aller Öffentlichkeit aufeinander einschlugen. Entsprechend desaströs waren die Wahlergebnisse. Die neue Regierung will es offenkundig besser machen.
Einfach wird das Versöhnungswerk der so unterschiedlichen Partner ÖVP und Grüne freilich nicht werden. Denn das türkis-grüne Regierungsprogramm birgt jede Menge Streitpotenzial. Viele Vorhaben beschränken sich auf Überschriften. Das Kleingedruckte muss die Regierung erst nachliefern. Wie soll beispielsweise das Steuersystem umgebaut werden, ohne neue Schulden zu machen und ohne die Steuerlast zu erhöhen? Können es die Grünen ihren Wählern (und der Verfassung) zumuten, die Präventivhaft einzuführen? Werden sich die Regierungsparteien bei der nächsten Migrationskrise auf eine gemeinsame Politik einigen können? Wie sollen die ehrgeizigen Vorhaben, von der Absicherung der Pflege bis zur Dekarbonisierung der Energiegewinnung, finanziert werden? Die Regierungszusammenarbeit wird mindestens so schwierig, wie es die Regierungsverhandlungen waren.