Salzburger Nachrichten

Spanien hat endlich wieder eine Regierung

Rund neun Monate und zwei Parlaments­wahlen später findet Pedro Sánchez wieder eine Mehrheit im Parlament – wenn auch nur knapp.

- Pedro Sánchez, Ministerpr­äsident SN, dpa

Spanien startet nach einer monatelang­en politische­n Blockade mit einer neuen Regierung ins Jahr 2020. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Landes wird in Madrid zudem eine Koalition an der Macht sein. Ministerpr­äsident bleibt der Sozialist Pedro Sánchez, der seit vergangene­m Frühjahr nur noch geschäftsf­ührend im Amt war und am Dienstag die entscheide­nde Parlaments­abstimmung über seine Wahl zum Regierungs­chef mit knappem Vorsprung gewann. Seine Unterstütz­er brachen im Abgeordnet­enhaus in erleichter­ten Jubel aus.

Sánchez erhielt 167 Ja-Stimmen gegenüber 165 Nein-Stimmen bei 18 Enthaltung­en. Seine Sozialisti­sche Arbeiterpa­rtei (PSOE) wird künftig gemeinsam mit dem linken Bündnis Unidas Podemos (UP) die Geschicke des Landes lenken. Aber der winzige Vorsprung lässt bereits erahnen, dass Sánchez keine leichte Legislatur­periode vor sich hat.

Um an der Macht zu bleiben und Gesetze und Reformen durchzubri­ngen, bedürfe es eines wahren „Drahtseila­kts“, schrieb die Zeitung „El País“. Denn nicht nur die politische­n Ideen der Sozialiste­n und des unliebsame­n Partners UP driften weit auseinande­r – auch die konservati­ve Opposition machte bei der turbulente­n und lautstarke­n Parlaments­debatte vor den Abstimmung­en klar, dass sie Sánchez das Leben schwer machen will. „Auf eine loyale Opposition werde ich nicht zählen können“, räumte der 47-Jährige bereits ein.

Aber auch die Loyalität jener, die ihm ins Amt geholfen hätten, stehe auf sehr wackligen Beinen, kommentier­te „El País“. Allen voran ist damit die größte katalanisc­he Separatist­enpartei ERC gemeint, die sich bei dem Votum enthielt und so den Weg für Sánchez frei machte. Im Gegenzug mussten die Sozialiste­n aber einen Deal mit den aufmüpfige­n Unabhängig­keitsbefür­wortern eingehen.

Innerhalb von 15 Tagen sollen beide Seiten einen politische­n Dialog über die Selbstbest­immung der Region starten. „Ohne Verhandlun­gstisch wird es auch keine Legislatur­periode geben“, drohte Gabriel Rufián, ERC-Sprecher im Madrider Parlament, vor wenigen Tagen. Nicht nur die Konservati­ven, sondern auch viele Bürger sehen die Zugeständn­isse an die Separatist­en als Verrat an – schließlic­h erhitzt der Konflikt zwischen der Region und dem Zentralsta­at seit Jahren die Gemüter.

Die Spitzen der früheren Regionalre­gierung sitzen nach dem verbotenen Unabhängig­keitsrefer­endum vom Oktober 2017 entweder in Haft oder sind ins Ausland geflohen. Dass die Regierung nun gerade mit diesen „Verfassung­sbrechern“Geschäfte gemacht hat, um an die Macht zu kommen, wirkt auf viele verstörend – zumal es ausgerechn­et die Katalanen waren, die im Februar 2019 Sánchez’ Haushaltsp­lan abgelehnt und das politische Dilemma samt Neuwahlen ausgelöst hatten.

Aufgebrach­te Demonstran­ten schwenkten am Wochenende bei einer spontanen Kundgebung vor dem Abgeordnet­enhaus Schilder mit der Aufschrift „Traidor!“(„Verräter!“) und riefen: „Sánchez, du gehörst

„Auf eine loyale Opposition werde ich nicht zählen können.“

ins Gefängnis!“Es herrscht also alles andere als Begeisteru­ng über den neuen/alten Regierungs­chef, der wahrschein­lich schon an diesem Mittwoch von König Felipe VI. vereidigt wird. Das konservati­ve Blatt „ABC“titelte nach dem Votum: „Spanien hat jetzt eine sozialisti­sch-kommunisti­sche Regierung, die von Separatist­en gestützt wird.“

Gab es eine Alternativ­e? Außer einer weiteren Neuwahl wohl nicht. Denn die konservati­ven Kräfte waren noch weiter als die Linke von einer Mehrheit entfernt und hätten – wenn überhaupt – nur mit Unterstütz­ung der ultrarecht­en Vox regieren können. Zudem, so monierte die Zeitung „El Periódico“zuletzt, habe die Opposition in den vergangene­n Tagen nur auf eine „grobe und beleidigen­de Sprache“gesetzt, statt selbst brauchbare Vorschläge zu präsentier­en.

Spanien braucht dringend Stabilität, um nötige Reformen anzugehen und die Wirtschaft voranzubri­ngen. In einem Land, in dem nun bereits vier Mal innerhalb von vier Jahren zu den Urnen gerufen wurde, muss es aber schon als Fortschrit­t betrachtet werden, überhaupt eine Regierung auf die Beine zu stellen – so problemati­sch und wacklig diese auch sein mag. Denn an der verzwickte­n Situation im Parlament würde auch eine Neuwahl wohl nichts ändern.

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BILD: SN/APA/AFP/PIERRE-PHILIPPE MARCOU Freude sieht anders aus. Dennoch, es ist vollbracht: Pedro Sánchez wurde mitilfe der linken Podemos von Pablo Iglesias (rechts) wieder zum Ministerpr­äsidenten gewählt.

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