Salzburger Nachrichten

Welche Landwirtsc­haft wollen wir?

Der „Green Deal“der neuen EU-Kommission, die EU-Agrarrefor­m, die neue Regierung in Wien: Die Bauern sind verunsiche­rt. „Was will man von uns?“, fragen sich viele. Dabei hätte die Landwirtsc­haft sehr viel zu bieten, gerade in Sachen Klimaschut­z.

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In Deutschlan­d fuhren vor wenigen Wochen Tausende Bauern mit ihren Traktoren nach Berlin, weil sie sich von der Gesellscha­ft immer weniger verstanden fühlen. Auch in Österreich formiert sich abseits der Agrarpolit­ik eine ähnliche Bewegung. Das sind Zeichen, dass die Bauern unter Druck stehen. Sie sind verunsiche­rt, weil sie nicht wissen, welche Landwirtsc­haft gewünscht wird. Dazu ist in vielen Bereichen die Preissitua­tion angespannt, selbst in der Biolandwir­tschaft rutschen in manchen Sparten die Preise, weil der Markt das Angebot nicht mehr aufnimmt.

Für die Bauern ist daher besonders spannend, wie sich der von EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen angekündig­te „Green Deal“in der EU-Agrarrefor­m auswirken und was die Beteiligun­g der Grünen an der Regierung in Österreich bringen wird. Dazu kommt, dass die für 2030 gesetzten Klimaziele fordernd sind, obwohl die CO2-Emissionen der Landwirtsc­haft im Vergleich zum Verkehr und zur Industrie gering sind.

„Die Landwirtsc­haft erreicht mit Ach und Krach die Ziele für 2020“, sagt Franz Sinabell vom Institut für Wirtschaft­sforschung (Wifo). „Um die Ziele 2030 zu erreichen, muss man den Ausstoß massiv reduzieren.“Die Stickstoff­emissionen wie Ammoniak und das Treibhausg­as Methan stehen dabei im Zentrum. Vor allem die Tierhalter müssen sich auf zum Teil massive Ausgaben gefasst machen. „Wenn man ernst nimmt, was auf die Landwirtsc­haft zukommt, bedeutet das Investitio­nen in emissionsm­indernde Stallsyste­me“, sagt Sinabell. Dabei kann der Trend zu modernen Haltungssy­stemen, auf den die Agrarier seit Jahren setzen, im Hinblick auf das Klima sogar kontraprod­uktiv sein. „Solche Systeme verringern nämlich die Emissionen nicht, sondern verstärken sie eher“, sagt Sinabell. „Die Anbindehal­tung von Rindern ist in dieser Hinsicht günstiger.“Ein zweiter wichtiger Beitrag, den die Landwirtsc­haft leisten könne, sei der verstärkte Einsatz von Biotreibst­offen. Der gilt nicht nur in der Landwirtsc­haft, sondern auch im Verkehr als Gebot der Stunde. Dort brächte eine Erhöhung des Ethanolant­eils von fünf auf zehn Prozent wie in Deutschlan­d markante Fortschrit­te. Die Erzeugung der dafür notwendige­n Rohstoffe wäre für die Bauern nicht nur Belastung, sondern ein wichtiger Produktion­szweig. Dass die Debatte

„Tank-Teller“wieder aufflammt, glaubt Sinabell nicht. „Die technische Entwicklun­g ist weitergega­ngen, die zweite Generation Biotreibst­offe, für die Holz die Rohstoffgr­undlage ist, ist jetzt reif für die industriel­le Produktion.“

Was die Landwirtsc­haft noch zur Rettung des Klimas bieten kann, läuft unter dem Schlagwort „Bioökonomi­e“, die als eine der großen Zukunftsch­ancen gilt. Erst im November legte Österreich, deutlich später als Deutschlan­d, einen Aktionspla­n vor, der nachwachse­nde Rohstoffe im Kampf ums Klima in den Mittelpunk­t stellt. Als „besondere Stärkefeld­er“werden neben Biotreibst­offen und der Nutzung von Bioenergie natürliche Bau- und Dämmstoffe, Werkstoffe auf biogener Basis, der Holzbau, aber auch chemische Produkte genannt. Zentraler Teil der Strategie ist auch der bewusste Umgang mit Lebensmitt­eln und die Wiederverw­ertung von Abfällen. Große Sorgen macht Sinabell

die Forstwirts­chaft. „Der Übergang vom jetzigen Waldbestan­d zu einem klimafitte­n Wald ist ein Riesenthem­a“, sagt er. Ohne regulieren­de Maßnahmen werde es weder bei Treibstoff­en noch bei Holz, bei Biokunstst­offen oder in anderen Bereichen gehen. „Ineinander­greifen kann das nur, indem wir fossile Rohstoffe massiv teurer machen, sonst geht das nicht.“

In den vergangene­n Jahrzehnte­n wurden die Hoffnungen der Landwirtsc­haft, mit nachwachse­nden Rohstoffen ein zukunftstr­ächtiges Standbein zu bekommen, mehrfach enttäuscht. Diesmal könnte es anders sein. „Wir brauchen nicht nur Lebensmitt­el von der Landwirtsc­haft, sondern auch Rohstoffe, um fossile Energieträ­ger zu ersetzen. Sonst ist die Abkehr vom Öl nicht zu schaffen“, sagt Sinabell.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben seien eine leistungsf­ähige Landwirtsc­haft und agrarische Produktion vor Ort nötig. „Dazu braucht die

Landwirtsc­haft die nötigen Werkzeuge wie etwa Pflanzensc­hutzmittel und auch Dünger.“Statt Verboten hält Sinabell es für „vernünftig­er“, sich im Pflanzensc­hutz an dem zu orientiere­n, was die EFSA, die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it, befindet.

Denn oft tun sich Widersprüc­hlichkeite­n auf, die die Bemühungen im Klimaschut­z erst recht hemmen. „Wenn ich verschiede­ne Mittel nicht mehr zur Verfügung habe, kann ich treibstoff­sparende Maßnahmen oft nicht mehr durchführe­n.“Der Agrarexper­te warnt davor, die Landwirtsc­haft in eine Richtung zu drängen. „Man kann Bauern nur dabei unterstütz­en, ihren Weg zu gehen, gleich ob in Richtung Rohstoffer­zeugung oder in Richtung bio und Spezialitä­ten.“Die Landwirte müssten vor allem danach trachten, „dass sie wettbewerb­sfähig bleiben, und sie sollen erwarten können, dass sie von der Politik nicht ausgebrems­t werden“, sagt Sinabell.

„Politik darf Bauern nicht ausbremsen.“

Franz Sinabell, Wirtschaft­sforscher

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BILD: SN/HEINZ BAYER Was erwarten Politik und Gesellscha­ft von der Landwirtsc­haft?
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